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Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen (DS 17/8796)

Rede von Halina Wawzyniak,

Wir sind uns darin einig, dass Straftaten gegen Personen aufgrund ihrer Nationalität, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer Religion, Weltanschauung, Behinderung, ihres Alters oder ihres gesellschaftlichen Status zu ächten sind.

Es ist richtig, dass mit dem Antrag der Grünen alle gesellschaftlichen Kräfte aufgefordert werden, solche Straftaten zu verhindern. ABER: Der Antrag der Grünen bezieht eben gerade nicht alle gesellschaftlichen Kräfte ein, sondern er beschränkt sich auf den strafrechtlichen Bereich. Die Bundesregierung wird aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern die Richtlinien für das Strafverfahren dahingehend zu ändern, dass das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung in der Regel zu bejahen ist. Die Bundesregierung wird zugleich aufgefordert, den Volksverhetzungsparagrafen zu ändern und eine Studie über den § 46 Abs. 2 StGB - also die Strafzumessung - vorzulegen.

Dieser Forderungskatalog wirf die Frage auf, ob neue oder veränderte Strafrechtsnormen, also ein größerer Verfolgungsdruck, wirklich neue Straftaten verhindert. Ich möchte an dieser Stelle Zweifel anmelden. Neue oder veränderte Strafrechtsnormen, ein größerer Verfolgungsdruck verhindern aus meiner Sicht nicht wirklich Straftaten, sie reagieren auf begangene Straftaten. Eine Anstrengung aller gesellschaftlichen Kräfte bedeutet und verlangt aber mehr.

Günter Piening, der ausscheidender Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, sagte in der Berliner Zeitung vom 19.03., es sei erschreckend, dass sich Ressentiments gegen Ausländer inzwischen in der Mitte der Gesellschaft niedergeschlagen hätten. Und ich füge hinzu: Nicht nur Ressentiments gegen Ausländer haben sich in der Mitte der Gesellschaft niedergeschlagen. Auch Ressentiments gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität, aufgrund ihrer Behinderung oder ihres gesellschaftlichen und damit auch häufig sozialen Status sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Und diese Mitte der Gesellschaft erreichen sie nicht mit neuen oder veränderten Strafnormen. Die Mitte der Gesellschaft erreichen sie auch nicht über einen höheren Verfolgungsdruck.
Gegen Ressentiments und daraus entstehende Straftaten hilft Prävention und Aufklärung. Wir kommen gegen Ressentiments und Straftaten an, wenn wir laut und deutlich „Nein“ sagen. Nein zu Ausgrenzung und Nein zu Klischees, mit denen diese Ausgrenzung häufig begründet wird. Und dieses „Nein“ darf nicht nur in Reden erfolgen, es muss an jeder Stelle im Alltag deutlich sichtbar werden.
Ob im Sportverein, der Kleingartenkolonie, im Chor oder im Vereinsleben generell.

Und es genügt auch nicht nur „Nein“ zu sagen, sondern wir müssen zivilgesellschaftlichen Protest gegen Ausgrenzung unterstützen und zivilgesellschaftliche Strukturen, die für diesen Protest stehen, ermutigen. Dafür ist die sog. Extremismusklausel aus dem Hause Schröder einfach schädlich, sie sollte endlich abgeschafft werden.Sie Wir müssen auch „Nein“ sagen zur Repression gegen zivilgesellschaftlichen Protest, laut sagen, dass dies nicht in unserem Namen geschieht, wenn wir einen gesellschaftlichen Konsens gegen Ausgrenzung herstellen wollen. Das Problem beginnt nicht erst mit der Körperverletzung, das Problem beginnt bereits mit Beleidigungen und alltäglichen Diskriminierungen, die kein Straftatsbestand sind.

Wenn wir alle gesellschaftlichen Kräfte mobilisieren wollen, um diese Straftaten zu verhindern, dann dürfen wir öffentliche Räume nicht privatisieren. Denn dann fehlen den zivilgesellschaftlichen Strukturen die Orte, um sich zu treffen und präventiv zu arbeiten. Projekte zur Aufklärung und antirassistischen und antifaschistischen Arbeit benötigen endlich eine Regelfinanzierung. Aufklärung und Prävention heißt aber auch, Kultur und politische Bildung ausreichend zu finanzieren.

Mit dem, was die Grünen vorschlagen, verhindern sie wenig. Sie bekämpfen die Auswüchse dessen, was vorher schief gelaufen ist. Wir verschließen uns ihrem Antrag nicht, aber wir glauben, dass mehr dazu gehört, will man künftig, Ausgrenzung, Diskriminierung und Gewalt verhindern.

Wir werden zu diesem Antrag und einem in der Intention ähnlich gelagerten Gesetzentwurf der SPD eine Anhörung im Rechtsausschuss durchführen. Ich freue mich auf diese Anhörung und hoffe, wir reden dort über mehr als Strafrechtsänderungen und größeren Verfolgungsdruck.