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Voraussetzung für wirkliche Zeitsouveränität durch Regulierung von Werkverträgen, Leiharbeit und co schaffen

Rede von Michael Schlecht,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Antrag der Grünen enthält ein realistisches und unterstützenswertes Element. Das ist die Forderung nach einem Rückkehrrecht auf Vollzeit, wenn jemand zeitweise Teilzeit gearbeitet hat. Ich finde, das muss dringend eingeführt werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber ansonsten ist dieser Antrag schon sehr merkwürdig. Er ist eine Mischung aus Ahnungslosigkeit und Weltfremdheit.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

- Ja, weil Sie die Arbeitswelt anscheinend gar nicht kennen.

(Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nur die Linken haben je gearbeitet!)

Es gibt sicher Beschäftigte, die schon heute ein ausgeprägtes Bedürfnis nach einer persönlichen Flexibilisierung und die Möglichkeit haben, dieses gegenüber ihrem Arbeitgeber im unmittelbaren Diskurs durchzusetzen. Das sind Personenkreise, die zum Beispiel aufgrund ihrer fachlichen Kenntnisse eine starke Stellung gegenüber ihrem Arbeitgeber haben.

Die Ahnungslosigkeit fängt schon damit an, dass Sie in Ihrem Antrag vorschlagen, dass die Rechte der Betriebsräte gestärkt werden sollen, Betriebsvereinbarungen über die Regelung der Arbeitszeit abzuschließen. Ich will nur darauf hinweisen: Das gibt es alles. In § 87 Absatz 1 Ziffer 2 des Betriebsverfassungsgesetzes gibt es längst entsprechende Regelungen; die Betriebsräte können dies machen.

(Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist eine Vereinbarung!)

Viel wichtiger wäre, die Instrumente, die wir seit Jahrzehnten haben, zu schärfen und Möglichkeiten zu schaffen, dass Betriebsräte mehr Möglichkeiten haben, dies in Betriebsvereinbarungen durchzusetzen. Das findet sich aber in Ihrem Vorschlag nicht.

Wenn man sich mit den kollektivvertraglichen Rechten beschäftigt, dann wird deutlich, dass es dringend notwendig wäre, die Rahmenbedingungen ‑ sie sind heute davon gekennzeichnet, dass ein ungeheurer Arbeitsstress besteht, dass viel zu wenig Stellen besetzt werden, dass von denjenigen, die arbeiten, verlangt wird, dass sie alles schaffen, egal wie, häufig auch mit unbezahlten Überstunden ‑ im Betrieb mitzugestalten und ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates über Personal- und Stellenpläne zu bekommen, um dem ungeheuren Stress und der Überlastung von Beschäftigten zu begegnen. Das wäre ganz wichtig, fehlt hier aber komplett.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist übrigens eine Forderung, mit der ich mich schon seit den 80er-Jahren herumschlage, als ich noch Tarifpolitik für die Druckindustrie gemacht habe, die wir aber aufgrund der Kräfteverhältnisse nicht durchsetzen konnten. Es wäre ein Verdienst, dies hier im Bundestag voranzubringen.

Ein weiterer Punkt, den ich unter Weltfremdheit einordne, ist, dass Sie die Individualrechte, also die Rechte der einzelnen Beschäftigten, stärken wollen. Das ist nicht verkehrt. Dann muss man aber erst darüber reden, wie für die übergroße Masse der Beschäftigten die Arbeitsrealität heute aussieht. Glauben Sie, dass jemand, der als Leiharbeiter tätig ist, der befristet beschäftigt ist, der einen Werkvertrag hat, individuell eine so starke Stellung hat, dass er sich traut, seine Wünsche dem Arbeitgeber gegenüber zu artikulieren? Glauben Sie, dass er die Macht hätte, auch nur ansatzweise seine Wünsche gegenüber einem Arbeitgeber zu verwirklichen? Das ist eine vollkommene Illusion. Deswegen sage ich Ihnen: Bevor wir anfangen, über die Stärkung individueller Rechte nachzudenken, sollten Sie endlich mit uns gemeinsam den Murks und den menschenverachtenden Mist, den die Grünen gemeinsam mit der SPD im letzten Jahrzehnt durchgesetzt haben, nämlich die gesamte Deregulierung am Arbeitsmarkt, zurücknehmen und die Disziplinierung, die in der Arbeitswelt herrscht, zurückdrängen. Dann könnten Ihre Forderungen eine realistische Perspektive werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Es geht noch weiter. Durch Ihre Politik, die Sie vor zehn Jahren betrieben haben, haben wir heute eine ungeheure Atmosphäre der Disziplinierung. Das drückt sich zum Beispiel in der Angst der Beschäftigten aus, arbeitslos zu werden, weil sie ganz genau wissen, dass Arbeitslosigkeit in der Folge auch sehr schnell Hartz IV bedeuten kann. Das ist der Absturz in die Armut. Hartz IV ist schlimm für die Betroffenen; aber Hartz IV ist noch viel schlimmer für die 20 Millionen, die noch beschäftigt sind und Angst davor haben, eines Tages in Hartz IV abzurutschen. Deswegen müsste das erst verändert werden. „Weg mit Hartz IV!“, die alte Forderung der Linken, ist auch für die Fragen der Arbeitsgestaltung von zentraler Bedeutung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Martin Rosemann (SPD): Wie wäre es denn mal mit konstruktiven Vorschlägen?)

Insofern ist aus meiner Sicht die Voraussetzung dafür, überhaupt Freiheit in der Arbeitswelt zu schaffen, dass man die Voraussetzungen dafür schafft, dass Beschäftigte ihre Wünsche und Bedürfnisse besser durchsetzen können. Bevor man solche wunderschönen Dinge hier aufschreibt, die sich gut lesen, aber mit der Realität wenig zu tun haben, ist es notwendig, die Arbeitswelt überhaupt zu reformieren und die ganze Prekarisierung, die Sie herbeigeführt haben, zurückzudrängen.

Danke schön.