"Rede von Kirsten Tackmann (DIE LINKE.) in der Aktuellen Debatte "Aktuelle Entwicklung im Hinblick auf die Vogelgrippe und Schutzmaßnahmen der Bundesregierung"."
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich kann den Optimismus, dass wir auf die Situation, die uns umgibt , gut vorbereitet sind, nicht teilen. Es geht hier ja nicht um ein gefühltes Risiko, sondern um eine objektive wissenschaftliche Bewertung. Man muss sagen, dass es wichtig ist, das Risiko von Verlusten richtig zu bewerten; denn hier geht es wirklich um eine wirtschaftliche Bedrohung, die Herr Priesmeier richtig beschrieben hat, und um ein Infektionsrisiko beim Menschen. Heute Morgen bei der Anhörung haben wir auch wieder gehört, dass die offizielle Datenlage zum großen Teil nicht belastbar, sondern hoch variabel ist. Diese Situation strahlt auch nach Aussagen der Experten eine einmalige Dynamik aus. Daher stellen sich die Fragen, ob wir das wirkliche Risiko kennen und ob die Bedingungen dafür vorliegen, dass wir dieses Risiko wirklich genau definieren und exakt beschreiben können. Nach dem Gesetz ist das Friedrich-Loeffler-Institut für die Beantwortung dieser Fragen verantwortlich. Für die Risikobewertung ist das Institut für Epidemiologie in Wusterhausen federführend zuständig. Es ist die einzige Einrichtung dieser Art. Umso unverständlicher ist es, dass seine Arbeitsfähigkeit zumindest infrage gestellt und in Grenzen belastet wird. (Beifall bei der LINKEN Hans-Michael Goldmann (FDP): Das haben Sie heute Morgen aber nicht gesagt, Frau Dr. Tackmann!) Für eine solche Risikobewertung sind dringend Ressourcen notwendig. Die personelle Ausstattung ist auch im internationalen Vergleich zumindest nur grenzwertig. Es gibt Wissenschaftlerstellen, die nicht besetzt sind. Eine Wissenschaftlerstelle wurde eingezogen. Es gibt zu wenig nicht wissenschaftliches Personal und wir haben Wissenschaftler, die im Moment im Ausland helfen und für die wissenschaftliche Bearbeitung im Inland natürlich fehlen. Insgesamt glaube ich, dass es hier ein Defizit gibt. Daneben soll dieses Institut ab 2010 an einen ungeeigneten Standort verlagert werden. Ich meine, das sind ausgesprochen schwierige Arbeitsbedingungen. Ich finde das Engagement der Wissenschaftler wirklich sehr lobenswert; denn trotz dieser Bedingungen erfüllen sie ihre Aufgaben und geben die Risikobewertung pünktlich und in großer Qualität ab. Ich meine aber, dass man diese Situation ändern muss. (Beifall bei der LINKEN) Wichtige Aussagen der Risikobewertung widersprechen einer Entwarnung. Insbesondere in der Türkei gibt es eine verwirrende und eher beunruhigende Situation, wie die Wissenschaftler sagen. Heute Morgen wurde gesagt, dass es gestern 50 neue Verdachtsfälle gab. Das zeigt die dringende Notwendigkeit, jetzt vor Ort zu helfen; denn wir können uns selbst nur schützen, wenn wir dieses Problem vor Ort lösen. Der Erfolg jedes Schutzversuchs im Inland hängt davon ab, ob die Probleme in den betroffenen Regionen vor Ort gelöst werden. (Hans-Michael Goldmann (FDP): Darin sind wir uns doch einig!) Wir müssen vor Ort epidemiologische Ermittlungen unterstützen und die Ausbreitungsrisiken klären. Wir müssen ebenso die Veterinärbehörden und die Bekämpfungsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten unterstützen. Wir müssen auch wirtschaftlich helfen; denn Geflügel ist in den betroffenen Gebieten oftmals die einzige Quelle tierischen Eiweißes. Insofern könnte der Wegfall dieser Quelle die ganze Region bedrohen. Die Probleme in Rumänien hat Herr Priesmeier schon angesprochen. Es ist unverständlich, warum Waren aus Regionen in Rumänien importiert werden dürfen, in denen die aviäre Influenza nachgewiesen wurde. Das muss dringend abgestellt werden, weil dies ein Einschleppungsrisiko darstellt. Von den bekannten und identifizierten Risiken zur Einschleppung sind viele relativ schwierig oder gar nicht beherrschbar. Der illegale Handel zum Beispiel zeichnet sich dadurch aus, dass er eben illegal ist und damit schwer kontrollierbar. Wir haben heute gehört, dass allein in Frankfurt am Main in 600 Fällen Risikomaterial gefunden wurde. Die Gefahr durch den Vogelzug ist genannt worden. Hier sind die Bundesregierung bzw. die entscheidenden Stellen gerade dabei, die Strukturen zur ornithologischen Beobachtung abzubauen oder infrage zu stellen. Diese sind jedoch für jede epidemiologische Bewertung gerade bei der aviären Influenza dringend notwendig. Die Kürzungen hier sind unbedingt zu verhindern, weil wir diese Strukturen wirklich brauchen. Der Personen- und Handelsverkehr ist als Problem genannt worden. Das gilt sowohl für den Land- als auch für den Luftverkehr. Den Luftverkehr haben wir vielleicht noch einigermaßen im Griff. Eine Kontrolle des Landverkehrs ist außerordentlich schwierig und kaum zu leisten. Wir haben auch keine exakten Kenntnisse über den Handels- und Personenverkehr und die Kreuzungen über Drittländer. Ich gebe der Bundesregierung den Rat, die Gefahren ernster zu nehmen. Die Defizite müssen dringend aufgearbeitet werden und es dürfen keine neuen zugelassen werden. Das heißt für mich eine Stärkung der epidemiologischen Ressourcen, die zur wissenschaftlichen Beratung der Bundesregierung zur Verfügung stehen. Wir brauchen dringend die Unterstützung der betroffenen Regionen, und zwar sowohl in wissenschaftlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Wir brauchen auch die Prüfung der eigenen Kapazitäten, die für Risikomanagementmaßnahmen und für den Krisenfall vorhanden sind. Ich glaube, hier müssen wir kritischer hinsehen. Welche Ressourcen sind tatsächlich vorhanden und welche nur theoretisch? Sind die Krisenübungen, die schon benannt worden sind, wirklich kritisch ausgewertet worden oder sind die Defizite einfach hingenommen worden? Wir brauchen wissenschaftlich erarbeitete Handlungskonzepte, und zwar bezüglich der Auswirkungen auf die Landwirtschaft und der Verhinderung der Infektionen. Wir brauchen auch eine kritische Bewertung der Tötungs- und Entsorgungskapazitäten; denn wenn es zum Krisenfall kommt, wird es an dieser Stelle sehr schnell eng. Deswegen sage ich: Die Bundesregierung hat keinen Grund, sich zurückzulehnen. Wir alle sollten dies nicht tun. Das hat nichts mit Panik zu tun. Vielmehr können aufgeklärte Menschen souverän und sehr ernsthaft mit dem Risiko umgehen. Wir sollten sie dazu in die Lage versetzen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)
Vogelgrippe - es geht nicht um ein gefühltes Risiko, sondern objektive wissenschaftliche Bewertung und Vorsorge
Rede
von
Kirsten Tackmann,