Zum Hauptinhalt springen

Vertrag von Lissabon

Rede von Alexander Ulrich,

Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vertrag von Lissabon vom 13.12.2007

 

Drs. 16/8300, 16/8489, 16/8488, 16/7446

Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Krichbaum, bisher hat nur einer angekündigt, vor das Verfassungsgericht zu ziehen, und der gehört Ihrer Fraktion an. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion muss ihre Hausaufgaben machen. Machen Sie es aber bitte nicht wie die SPD in Hessen: Mobben Sie ihn bitte nicht. Lassen Sie die demokratische Möglichkeit, nach Karlsruhe zu gehen, zu.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Unser Leben wird immer stärker von der Europäischen Union bestimmt. Bis Januar 2009 sollen alle EU-Länder den Vertrag von Lissabon ratifizieren. Die Völker Europas das hat mein Kollege Lothar Bisky schon deutlich zum Ausdruck gebracht sollen aber nicht mitbestimmen, wie die Grundlagen der Europäischen Union gestaltet werden, obwohl dadurch das Leben und Arbeiten der Bevölkerung grundlegend verändert werden. Der Vertrag von Lissabon ich möchte das wiederholen festigt die undemokratische, neoliberale und militärische Entwicklung der Europäischen Union.
(Beifall bei der LINKEN - Markus Löning (FDP): Das ist ja nicht zu fassen!)
Herr Steenblock, das, was Sie hier gesagt haben, zeigt, wie sehr sich die Grünen zum Schlechteren verändert haben.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer zu völkerrechtswidrigen Kriegen die Hand hebt, wer in Jugoslawien, im Kosovo mitgemacht hat, hat natürlich kein Problem damit, zu dieser EU-Verfassung Ja zu sagen. Wer als Grüner kein Problem mit dem Krieg hat, muss zu einem solchen Vertrag natürlich Ja sagen. Schade, dass die Grünen sich so sehr zum Schlechteren verändert haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Niederländer und die Franzosen haben die ursprüngliche EU-Verfassung abgelehnt. Sie wollten zwar eine Verfassung, aber nicht Sozialabbau, Aufrüstung und eine neoliberale Wirtschaftsordnung mit Verfassungsrang.
(Markus Löning (FDP): Das ist doch Volksverdummung, was Sie hier machen!)
Herr Bundesaußenminister, Sie sind nebenher stellvertretender Vorsitzender einer sogenannten Volkspartei. Vor wenigen Monaten hat die SPD in Hamburg ein Grundsatzprogramm beschlossen, in dem steht, dass man für den demokratischen Sozialismus eintritt. Wer das in ein Programm schreibt, aber zu einer neoliberalen EU-Verfassung Ja sagt, begeht einmal mehr Wortbruch, in diesem Fall gegenüber der eigenen Partei. Wortbruch wird zum Tagesgeschäft der SPD.
(Beifall bei der LINKEN - Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie bauen doch die Mauern neu auf, nur an einer anderen Stelle!)
Nach den gescheiterten Volksabstimmungen haben sich die Regierungen eine Denkpause verordnet. Es wurde eine Pause des Denkens. In den Expertengesprächen während der letzten Wochen konnten wir feststellen, dass 90 Prozent des EU-Verfassungsvertrages in dem Vertrag von Lissabon steht. Das zeigt, dass die Behauptung, es handele sich nicht mehr um eine Verfassung, ein undemokratischer Putsch der EU-Regierungen war; denn 90 Prozent von dem, was damals darin stand, steht jetzt in den Verträgen.
(Beifall bei der LINKEN Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Von undemokratisch haben Sie Ahnung!)
Das ist eine Ignoranz gegenüber der Bevölkerung, insbesondere Frankreichs und der Niederlande.
Sie wollen keine Volksabstimmungen und auch keine Öffentlichkeit,
(Gerd Andres (SPD): Sie wollen keine Volksdemokratie! Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?)
weil die Regierung mit ihrer nur auf Wirtschaftsinteressen ausgerichteten Politik gescheitert ist. Wir hoffen, dass dieser Vertrag in Irland abgelehnt wird. Nur dann besteht noch die Chance für ein friedliches und soziales Europa. An die Bevölkerung Irlands sage ich: Gehen Sie zur Wahl, und stimmen Sie mit Nein.
Die soziale Spaltung in den EU-Ländern nimmt immer mehr zu. Das ist kein Zufall, sondern Folge von politischen Entscheidungen. Das Europa der herrschenden Eliten will seine unsoziale und neoliberale Politik jetzt vertraglich absichern. Statt europäische Mindestlöhne, das Verbot der Privatisierung von öffentlichem Eigentum und Mindestsozialstandards umzusetzen, wird die offene und freie Marktwirtschaft im Vertrag festgeschrieben.
(Dr. Carl-Christian Dressel (SPD): Lesen Sie es einmal! Denn wissen Sie es besser!)
Dies bedeutet den Abbau von Schutzrechten für die Beschäftigten, Dumpinglöhne und auch Steuerdumping. Diese Wirtschaftsordnung widerspricht den Interessen der Bevölkerungsmehrheit. Sie dient nur den Banken, Konzernen und Wohlhabenden.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer Armut und Prekarisierung bekämpfen will, muss den Vertrag von Lissabon ablehnen.
(Dr. Stephan Eisel (CDU/CSU): Das ist noch schlimmer als Moskau in den 50er-Jahren!)
Die Grundfreiheiten führen derzeit zur Unfreiheit der Arbeitnehmer. Der EuGH hat auf Grundlage der geltenden europäischen Verträge die erfolgreichsten Wirtschafts- und Sozialmodelle Europas angegriffen. In Finnland und Schweden wurde das Streikrecht mit der Dienstleistungs- bzw. Niederlassungsfreiheit ausgehebelt. Der Europäische Gewerkschaftsbund und die dänischen Gewerkschaften fordern daher, den Vertrag von Lissabon nicht zu ratifizieren.
(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): Wie bitte?)
Wenn der Gerichtshof die Grundfreiheiten der Unternehmen höher bewertet, bedeutet dies, dass Aufträge künftig nur noch an Mindestlöhne gekoppelt werden dürfen. Damit werden Mindestlöhne zu Höchstlöhnen. Das ist doch pervers, das ist Gleichmacherei auf niedrigstem Niveau.
Sie schaffen eine Aufrüstungsverpflichtung. Der Vorsitzende der EU-Verteidigungsagentur hat das der FAZ mitgeteilt. Im Protokoll über die zuständige strukturelle Zusammenarbeit entmachten Sie die Parlamente. Die EU möchte ihre Battle Groups zu Deutsch: Schlachtverbände innerhalb von wenigen Tagen überall in die Welt verlegen können.
(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Schlachtverbände“?)
Wir fordern eine Verfassung für Europa, die an die besten europäischen Traditionen anknüpft. Wir wollen ein soziales und wohlhabendes Europa, ein Europa als Friedensmacht, ein Europa des Völkerrechts. Sie wollen ein Europa der Nokias, der Zumwinkels,
(Widerspruch bei CDU/CSU, der SPD, der FDP und beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
der Konzerne und des Finanzkapitalismus.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege.
Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Ich komme zum Ende. Die Menschen wollen Ihr Europa nicht. Deswegen lehnen wir den Vertrag von Lissabon ab.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN Gerd Andres (SPD): Das war eine Rede von ganz hohem Niveau! Gegenruf der Abg. Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nein, von ganz rechts!)