Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Damen und Herren,
Fast über die ganze Legislaturperiode hinweg befassen wir uns mit dem Thema „Netzneutralität“. Die Enquetekommission bildete dazu eine ihrer ersten Projektgruppen. Inzwischen – darüber sind wir sehr froh – haben unsere frühzeitigen Mahnungen, konkrete Maßnahmen für die gesetzliche Festschreibung der Netzneutralität zu ergreifen, dazu geführt, dass sich alle Fraktionen mit dem Thema befassen. Das wäre die sehr positive Lesart der Entwicklung.
Die etwas differenziertere und weniger schöne Interpretation ist, dass wir uns nun endlich so intensiv mit der gesetzlichen Verankerung der Netzneutralität befassen, weil die Telekom genau das gemacht hat, wovor meine Fraktion immer gewarnt hatte. Das Kind liegt also im Brunnen, kann aber noch gerettet werden.
Wir wissen jetzt: Wird die Netzneutralität nicht verbindlich festgeschrieben, werden Unternehmen alle Möglichkeiten zur Steigerung ihres Profits nutzen und dafür gern ein Zwei-Klassen-Internet in Kauf nehmen. Die Telekom macht hier nur den Anfang, es ist eine Frage der Zeit, dass andere sich ein Beispiel daran nehmen. Und es wird sie nicht kümmern, wenn dabei das freie und offene Internet auf der Strecke bleibt. Nun liegen ein Entwurf zur Netzneutralitätsverordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie vor, ein Antrag der SPD und ein Antrag meiner Fraktion, die alle darauf zielen, einen „diskriminierungsfreien, transparenten und offenen Zugang zum Internet, seinen Inhalten und Anwendungen“ gewährleisten zu wollen.
Der Entwurf des Ministeriums sieht eine Verordnung vor, mit der die „grundsätzliche Gleichbehandlung aller Datenpakete unabhängig von Inhalt, Dienst, Anwendung, Herkunft oder Ziel (Best-Effort-Prinzip)“ sichergestellt werden soll. Soweit ist das gut und schön. In Absatz 2 des Ministeriums-Entwurfs heißt es dann allerdings: „Betreiber öffentlicher Telekommunikationsnetze, die den Zugang zu Endnutzern kontrollieren, sind verpflichtet, eine diskriminierungsfreie Datenübermittlung und den diskriminierungsfreien Zugang zu Inhalten und Anwendungen gemäß den nachfolgenden Vorschriften zu gewährleisten. Die willkürliche Verschlechterung von Diensten oder die ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs in den Telekommunikationsnetzen ist unzulässig.“
Die Formulierungen „willkürliche Verschlechterung von Diensten“ und „ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs“ implizieren bereits, dass eine Verschlechterung sowie eine Behinderung oder Verlangsamung dann nicht willkürlich und ungerechtfertigt sein können, wenn sie allen ähnlich oder gleich widerfahren. Heißt, wenn ich alle gleich schlecht behandle, ist es gut. Klingt ein bisschen absurd. In der öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses an diesem Montag waren die anwesenden Ministerien nicht in der Lage zu erklären, was mit „willkürlicher Verschlechterung“ und „ungerechtfertigter Behinderung“ gemeint ist. Es wurde lediglich erklärt, dass die Behörden dies auslegen und die Gerichte entscheiden sollen. Mit anderen Worten, es wird nichts gesetzlich geregelt. Zumindest nichts klar. Sprache ist verräterisch und hier verrät sie uns, dass gut gemeint nicht unbedingt gut gemacht bedeutet. Hier ist ein großes Schlupfloch gelassen, das Unternehmen, wie der Telekom, am Ende doch die Möglichkeit eröffnet, zu tun, was sie tun will und zu lassen, was wir uns eigentlich wünschen und erwarten.
In § 2 „Inhaltsneutrale Datenübermittlung“ heißt es in Absatz 1 der Verordnung:
„Betreiber dürfen eigene Inhalte und Anwendungen nicht zu günstigeren Bedingungen oder zu einer besseren Qualität bevorzugt zugänglich machen.“ Übersetzt bedeutet dies: Werden Vorleistungsangebote – sprich: Priorisierungen oder Managed Services – auch Dritten diskriminierungsfrei – also zu keinen höheren Entgelten als sie ein Netzbetreiber sich selbst oder seinen Tochterfirmen einräumt – angeboten, kann der Betreiber eigene Inhalte und Anwendungen priorisieren. Das künftig zu tun, hatte die Telekom bereits gegenüber der Bundesnetzagentur angekündigt.
Absatz 3 schließlich erteilt der Priorisierung jeglicher Diensteklassen eine Art Generalabsolution, denn da heißt es: „Eine inhaltsneutrale, an technischen Erfordernissen orientierte Transportklassifizierung (Qualitätsdienstklassen) ist keine willkürliche Verschlechterung von Diensten, solange dem Endnutzer Wahlmöglichkeiten erhalten bleiben. Eine Differenzierung von Entgelten nach Qualitätsdienstklassen ist keine ungerechtfertigte Behinderung oder Verlangsamung des Datenverkehrs.“
Eine Verlangsamung von Diensten wie P2P ist nach dieser Vorschrift ebenso möglich, wie es möglich ist, einen spezifischen Dienst – z.B. Spotify – in einen priorisierten Managed Service zu verwandeln, solange a) das unter §2 Abs. 1 Festgestellte gilt und b) Wahlmöglichkeiten – sprich: andere Zugangsprovider – bestehen. Kurzerhand sind damit die bereits bestehenden Bedingungen des mobilen Internet auf das stationäre übertragen.
Man könnte fast auf die Idee kommen, mit dieser Verordnung solle das Vorgehen der Telekom im Nachhinein legitimiert werden. Und es gibt tatsächlich böse Zungen, die das behaupten.
Ich möchte in Bezug auf den Ministeriums-Entwurf noch auf ein weiteres Problem aufmerksam machen. In § 4 „Reichweite der Netzneutralität“ wird der sogenannte Routerzwang thematisiert.
Nach Maßgabe des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen dürfen Betreiber das Gebot der Netzneutralität nicht dadurch beeinträchtigen, dass sie den Netzzugang nur über ein von ihnen bestimmtes Endgerät ermöglichen. Der Netzanschluss muss grundsätzlich über ein vom Nutzer frei wählbares Endgerät technisch zugänglich sein. Noch vor zweieinhalb Wochen hatte das Bundeswirtschaftsministerium auf eine Kleine Anfrage „Aussagen der Bundesnetzagentur zu sogenannten Zwangsroutern“ meiner Fraktion geantwortet, dass Router auch Netzbestandteile sein können. Im Falle von Integrated Access Devices (IAD), also Anschlüssen an Next Generation Networks, bezeichneten diese den Netzabschlusspunkt. In diesem Punkt scheint ein Umdenken im Ministerium eingesetzt zu haben. Allerdings bleibt fraglich, welche Ausnahmen in diesem Zusammenhang das Wort „grundsätzlich“ begründet.
Insgesamt bildet der Verordnungsentwurf keinen großen Wurf, denn die Telekom wird mit solchen Vorschriften gut leben können.
Jenseits all dieser inhaltlichen Unklarheiten, abgesehen von der Tatsache, dass das Ministerium nicht wirklich erklären kann, was mit den Begriffen „willkürlich“, „ungerechtfertigt“ und „grundsätzlich“ gemeint und wie groß der Spielraum ist, den alle drei Begriffe lassen, stelle ich die Frage, warum wir ein Grundrecht nicht gesetzlich festschreiben, statt dessen in eine Verordnung gießen wollen. Das Argument, eine Verordnung könne an dieser Stelle detaillierter sein, genügt mir nicht.
Der Antrag der SPD überzeugt uns auch nur so halb. Leider vermengt die SPD zwei unterschiedliche Themen: die Gewährleitung der Netzneutralität und die Verankerung einer Breitbandversorgung für alle. Während sie für die Netzneutralität zu Recht eine gesetzliche Festschreibung fordert, weil der Markt hier versagt, will sie sich zu einer gesetzlichen Absicherung der Breitbandversorgung nur halbherzig bekennen. Eine gesetzliche Universaldienstverpflichtung soll laut Antrag "für den Fall erfolgen, dass durch wettbewerbliche Lösungen eine Breitband-Grundversorgung nicht zeitnah erfolgt". Dass der Markt und die wettbewerblichen Lösungen bei der Versorgung mit schnellen Internetanschlüssen versagen, ist aber seit Jahren zu beobachten. Wir brauchen die Universaldienstverpflichtung also jetzt, nicht erst irgendwann.
Wir LINKE wollen und bleiben dabei, dass das hohe Gut „Netzneutralität“ auch gesetzlich festgeschrieben wird. Wir finden weiterhin, dass wir dafür den besten Antrag eingebracht haben. Umso verwunderlicher ist es, dass die SPD gegen unseren Antrag gestimmt hat und die Grünen sich enthalten. Allzu ernst scheint es beiden Fraktionen nicht damit zu sein, eine Regelung zu finden, die im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher ist und ein Zwei-Klassen-Internet wirksam verhindert.
Angekündigt wurde, dass die Verordnung am 14. August im Kabinett besprochen werden soll. Da sie der Zustimmung sowohl des Bundestages als auch des Bundesrates bedarf. Bekanntlich findet am 22. September die Bundestagswahl statt, deshalb bleibt es allenfalls eine theoretische Möglichkeit, dass wir vorher noch eine Regelung in Gesetzes- oder Verordnungsform beschließen können.
Noch ein Thema mehr, das auf die lange Bank geschoben, ausgesessen und somit dem künftigen Bundestag als Hypothek überlassen wurde. Sie könnten das heute noch verhindern: Wenn Sie dem Antrag der LINKEN zustimmen, könnte das Ministerium den Verordnungsentwurf noch in diese Richtung umarbeiten. Geben Sie sich doch einfach einen Ruck.