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Vermittlung schwerbehinderter Menschen nicht ausschreiben!

Rede von Ilja Seifert,

Rede Dr. Ilja Seifert am 21.02.2013 im Bundestag zum TOP 11
Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales, Drucksachen 17/11084, 17/10113, 17/4847, 17/5205


In der Behindertenpolitik geht es auch immer um leichte Sprache. Ich präsentiere Ihnen nun in dieser Hinsicht einen linguistischen Leckerbissen. Heute soll die Bundesregierung aufgefordert werden- ich zitiere aus dem Antrag der Koalition: „den nationalen Rechtsspielraum zu nutzen, um insbesondere bei sozialen Dienstleistungen die Berücksichtigung bieterbezogener Qualitätskriterien bei der Zuschlagserteilung stärker zu gewichten…“
Eine Steilvorlage für eine Straßenumfrage der heute-Show. Verstehen Sie diesen Satz wirklich? Oder soll hier jeder alles darunter verstehen können, also nichts?
Mein linkisches Verständnis biete ich als Dienstleistung an. Wir reden hier über arbeitslose Menschen, darunter 180.000 mit schweren Behinderungen. Sie finden am schwersten einen regulären Arbeitsplatz.


Wir reden über 208 Integrationsfachdienste. Deren 1.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen besonders gut, was zu tun ist, um einen schwerbehinderten Menschen auf einen passenden Arbeitsplatz zu vermitteln. Sie wissen, wie man Arbeitgeber motiviert, ihre Vorbehalte zu überwinden. Sie begleiten schwerbehinderte Arbeitnehmer auch im Arbeitsleben, um das Arbeitsverhältnis dauerhaft zu sichern. Mehr als 67.000 Menschen waren das 2011.


Wir reden darüber, dass die Bundesagentur bis 2009 den Auftrag, schwerbehinderte Menschen auf den Arbeitsmarkt zu vermitteln, freihändig vergeben konnte.
Eben an diese Integrationsfachdienste. Eben weil deren Qualität darin besteht, genau zu wissen, worauf es ankommt. Eben weil der Gesetzgeber sie 2001 überhaupt erst geschaffen hat, um diese Qualität zu entwickeln.


Wir reden darüber, dass besondere soziale Qualität seit drei Jahren kein Maßstab mehr ist. Weil schwerbehinderte Menschen nun über öffentliche Ausschreibungen vermittelt werden können. Bei „einer angemessenen Gewährleistung von Markteintrittschancen von Newcomern und einer Vermeidung von `Haus- und Hoflieferantentum`…“, wie es im Koalitionsantrag heißt.

Vor fast zwei Jahren forderten die Oppositionskollegen in zwei Anträgen, diese Ausschreibungspflicht zurückzunehmen. Der Markenkern der Integrationsfachdienste – Vermittlung und Begleitung schwerbehinderter Menschen in reguläre Beschäftigung als Leistung aus einer Hand - sollte erhalten werden. Arbeitsvermittlung darf nicht dem unkontrollierbaren Wettbewerb ausgesetzt werden. Nicht nur für schwerbehinderte Menschen. 8 von 10 Sachverständigen unterstützten bei der öffentlichen Anhörung im Mai 2011 diese Auffassung.

Und heute, nach fast zwei Jahren? Inzwischen werden auch Vermittlungsleistungen im Bereich des Sozialgesetzbuches IX ausgeschrieben, so bei der Unterstützten Beschäftigung. Die Aufträge zur Arbeitsvermittlung an die Fachdienste sanken um fast die Hälfte. Vom gesetzlichen Gründungsanspruch der Integrationsfachdienste „ist die heutige Situation jedenfalls weiter entfernt denn je“, heißt es im Jahresbericht der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter.

Und gleichzeitig stimmen die Oppositionskollegen von SPD und GRÜNE einem Antrag der Koalition zu, der vom Gegenteil dessen ausgeht, was Sie, liebe Kollegen, in ihren Anträgen eigentlich fordern. Man kann über Integrationsfachdienste geteilter Meinung sein. In einer inklusiven Arbeitswelt, ohne Barrieren und ohne Sondereinrichtungen, wären sie wohl überflüssig. Mit ihrem Vermittlungserfolg würden sie sich selbst abschaffen.


Doch eben weil wir davon weit entfernt sind, plädiert DIE LINKE gegenwärtig dafür, Integrationsfachdienste zu stärken und zur freihändigen Vergabe zurückzukehren. Deshalb stimmen wir heute gegen den Koalitionsantrag und damit gegen die Beschlußempfehlung des Ausschusses.

„Qualität gewichten“ heißt : dorthin zu vermitteln, wo Leistungsqualität nachweislich besteht. Freiwillig. Freihändig. Und ohne teure Ausschreibungen. Weder Menschen mit Behinderung noch das Parlament brauchen leeren Worte.