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Verlustzone Binnenwirtschaft und kein Ende in Sicht!

Rede von Sabine Zimmermann,

Niemand will mehr darüber sprechen, was mit den Menschen passiert ist , die auf der Flucht vor Hartz IV den Schritt in die Selbstständigkeit wagten. Dabei ist die Lage katastrophal. In den letzten drei Jahren hat die Agentur für Arbeit fast 900 000 Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit unterstützt. Aber was ist aus den Existenzgründern geworden? Der jüngsten Mittelstandsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau gibt darüber Auskunft: Nach circa einem Geschäftsjahr operiert noch fast die Hälfte in der Verlustzone und nur knapp ein Viertel der Gründer kann vollständig den Lebensunterhalt bestreiten. Sie haben mit Ihrer Politik eine riesige Gruppe von Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen geschaffen, die jenseits der Arbeitslosenstatistik ein Leben in Armut fristen müssen. Sabine Zimmermann in der Debatte zum Haushalt 2006.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Zuerst zu Herrn Wend. Herr Wend, wollen Sie das Problem der Arbeitslosigkeit lösen oder wollen Sie hier bloß gute Stimmung verbreiten? Das ist meine erste Frage an Sie. Denn von einer guten Stimmung hat ein Arbeitsloser nichts - er braucht einen Arbeitsplatz und einen Lohn, von dem er seine Familie ernähren kann. (Beifall bei der LINKEN) Herr Meyer - Sie haben es sich da hinten so schön bequem gemacht -, was soll ich einem Langzeitarbeitlosen sagen, der zu mir als DGB-Vorsitzende der Region Vogtland/Zwickau kommt, weinend vor mir sitzt und sagt, dass er seine Familie nicht ernähren kann? Wie soll es weitergehen für ihn? Diese Frage haben Sie mir nicht beantwortet. (Vorsitz: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt) Heute hat die „taz“ gut kommentiert: „Zu gute Stimmung für zu wenig Jobs“. Bei diesem Haushalt wird es, wie nicht anders zu erwarten, viele Verlierer, aber wenige Gewinner geben. Damit führen Sie die Politik der Vorgängerregierung fort, die das Großkapital auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und vor allen Dingen auf Kosten des Mittelstandes gefördert hat. (Dr. Rainer Wend [SPD]: Macht den Unternehmern Dampf! Klassenkampf! Klassenkampf!) Trotz der hohen Arbeitslosigkeit und trotz der hohen Zahl von Unternehmensinsolvenzen soll es nach dem Willen der Bundesregierung einfach „weiter so“ gehen. Aber wen wundert das? Was kann man zu einer großen Koalition sagen, die die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen als Bestätigung ihres Kurses sieht, (Beifall bei der LINKEN) obwohl nur jeder Zweite zur Wahl gegangen ist und obwohl beide Parteien, Union und SPD, insgesamt über 1 Million Stimmen verloren haben? Sie, meine Damen und Herren von der Bundesregierung, haben es sich mit Ihrer Mehrheit hier in diesem Hause bequem eingerichtet. Ihnen ist der Bezug zur Lebensrealität und zu den Problemen der Menschen in diesem Land einfach verloren gegangen. (Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber sonst geht es Ihnen noch ganz gut?) Um der zunehmenden Entfremdung zwischen Politik und Gesellschaft entgegenzuwirken, rege ich hier an, die Tätigkeit von Abgeordneten auf zwei Legislaturperioden zu beschränken. Damit hätten viele Abgeordnete hier im Hause die Möglichkeit, sich wieder mit der sozialen Wirklichkeit vertraut zu machen. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Besprechen Sie das einmal mit Ihren Fraktionsvorsitzenden!) Die Gewinne der 30 führenden Konzerne in Deutschland sind im Jahr 2005 - - (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Gysi und Lafontaine wären damit rausgeflogen, Frau Kollegin!) - Ja, Sie, Herr Kampeter, sind damit auch gemeint, denn Sie sind auch länger als zwei Legislaturperioden im Bundestag. - (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Dümmlicher Populismus!) Aber Sie haben nichts anderes zu tun, als bei den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, den Arbeitslosen, den Rentnern und Jugendlichen zuzulangen. Das gilt auch für viele Teile des Mittelstandes. Unter der Mehrwertsteuererhöhung wird ein Kleinstunternehmer doppelt leiden: einmal, weil die Binnennachfrage ausbleibt, und dann, weil ein Einmannunternehmen nun einmal nicht von der Senkung der Sozialversicherungsbeiträge profitiert, ganz im Gegensatz zum Großkapital. Die Bundesregierung kennt nur den Mittelstand, der international exportiert; das wurde heute auch in Ihren Reden deutlich. Das trifft aber lediglich auf 12 Prozent der mittelständischen Unternehmen zu; Herr Wend, Sie werden sicherlich die Zahlen kennen. Das sind meist größere mittelständische Unternehmen mit mehreren hundert Beschäftigten, die in diesem Land gute Gewinne schreiben. Die Mehrheit der kleinen Selbstständigen hat ganz andere Probleme - trotz der leicht verbesserten Konjunktur -, aber die interessieren hier wahrscheinlich niemanden. CDU und SPD - und hier kommen Sie, meine Damen und Herren von der FDP und den Grünen, dazu - empfehlen dauernd den Weg in die Selbstständigkeit. Was mit den Menschen passiert, die auf der Flucht vor Hartz IV den Schritt in die Selbstständigkeit wagten, darüber will niemand mehr sprechen. Dabei ist die Lage katastrophal. In den letzten drei Jahren hat die Agentur für Arbeit fast 900 000 Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit unterstützt. Aber was ist aus den Existenzgründern geworden? Ich zitiere den jüngsten Mittelstandsmonitor der Kreditanstalt für Wiederaufbau: Nach circa einem Geschäftsjahr operiert noch fast die Hälfte in der Verlustzone und nur knapp ein Viertel der Gründer kann vollständig den Lebensunterhalt bestreiten. Sie haben mit Ihrer Politik eine riesige Gruppe von Menschen in unsicheren Beschäftigungsverhältnissen geschaffen, die jenseits der Arbeitslosenstatistik ein Leben in Armut fristen müssen. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der SPD: Wenn sie Geld verdienen würden, wäre es Ihnen doch auch nicht recht! Dann wären es Kapitalisten!) Der Grund dafür liegt auf der Hand. Es fehlt nicht etwa an Export. Das Problem ist die am Boden liegende Binnenwirtschaft, unter der vor allen Dingen das kleine Handwerk überdurchschnittlich leidet. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Mein Gott! Das ist ja traurig für den DGB!) Ihre Politik setzt hier kein anderes Zeichen. Das ist ein düsterer Ausblick für die Zukunft des Mittelstandes. In den aktuellen Haushaltsberatungen setzen wir uns für die Einrichtung eines Handwerkerhilfsfonds ein. Der Fonds soll Klein- und Kleinstunternehmen helfen, deren Existenz unverschuldet gefährdet ist, etwa durch kriminelle Machenschaften oder auch durch die Zahlungsmoral. Das ist eigentlich nichts grundlegend Neues; das gab es bereits einmal im Jahr 2001. Damals waren die Handwerkerfrauen am Brandenburger Tor in einen Hungerstreik getreten. Vielleicht können sich einige von Ihnen hier in diesem Hause daran erinnern. (Zuruf von der SPD: Wir waren sogar dort!) Hat sich die Lage geändert? Wohl kaum. Immer noch liegt die Zahl der Unternehmensinsolvenzen bei deutlich mehr als 30 000. Es sind fast ausschließlich Kleinunternehmen, die es trifft. Noch immer ist die Zahlungsmoral der meist genannte Grund für die Insolvenzen. Das hat auch der Zentralverband des Deutschen Handwerks in einer Erhebung noch einmal bestätigt. Nicht nur die Beschäftigten im öffentlichen Dienst sollen durch längere Arbeitszeiten, Stellenabbau und Gehaltskürzungen die Löcher ausbaden, die die Steuerentlastungen für das Großkapital in die öffentlichen Haushalte gerissen haben, sondern auch der kleine Handwerker mit seiner Existenz. Dabei steht dafür eigentlich genug Geld zur Verfügung. Wir schlagen vor, die Subventionierung der Bestrebungen der Großunternehmen nach Expansion im Ausland zu kürzen. Ich nenne hier nur den Haushaltstitel „Pflege der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland“. Was wird hier gemacht? Ich lese vor: Gefördert werden Unternehmertreffen, Workshops, Kooperations- und Kontaktbörsen oder Tage der Deutschen Wirtschaft sowohl im Ausland als auch im Inland. Das können die großen Verbände eigentlich selbst machen. (Beifall bei der LINKEN) 34 Millionen Euro sollen hier ausgegeben werden. Wir wollen nur 3 Millionen Euro für den Handwerkerhilfsfonds. Ich komme zum Schluss. Meine Damen und Herren von der großen Koalition, Sie müssen sich entscheiden: Wollen Sie die Expansion der Großunternehmen weiter unterstützen, und das, obwohl bekannt ist, dass die Rekordgewinne dort auf Kosten der Beschäftigten und der mittelständischen Zulieferer erzielt werden? Oder wollen Sie Ihren Sparkurs im Inland beenden und damit zeigen, wie ernst es der Regierung mit den Belangen des Menschen und des Mittelstandes in diesem Land wirklich ist? Mit patriotischen Appellen an die deutschen Manager, Herr Stiegler, werden Sie die Probleme wahrscheinlich nicht lösen können. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)