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Verbraucherschutz ist eine staatliche Aufgabe

Rede von Karin Binder,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Seitenlange allgemeine Geschäftsbedingungen oder das Kleingedruckte auf Verpackungen könnten die Verbraucherinnen und Verbraucher ja lesen. Tun sie das nicht, sind sie selbst schuld, wenn sie übervorteilt werden. So lässt sich die verbraucherpolitische Strategie der Bundesregierung kurz zusammenfassen. Als Linke sagen wir: Es ist Aufgabe der Politik, Verbraucherinnen und Verbraucher vor Schönfärberei, Irreführung oder gar Täuschung zu schützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Manchem Unternehmen scheint nämlich jedes Mittel recht zu sein, den Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Verbraucherpolitik darf sich deshalb nicht darauf beschränken, Kundinnen und Kunden gute Ratschläge zu geben.

Entgegen der Vorstellung der SPD in ihrem Antrag behaupte ich: Das Leitbild des sogenannten mündigen Verbrauchers ist nicht weiterzuentwickeln. Es ist Unsinn. Es ist längst überholt, und es ist nicht mehr als eine Verkaufshilfe. Wir brauchen keine verbraucherpolitische Hilfestellung zur Zielgruppendefinition für Industrie und Handel. Dieses sogenannte Leitbild täuscht darüber hinweg, dass die Verantwortung einfach weg von den Herstellern und Händlern auf die Kundinnen und Kunden übertragen werden soll. Das Aigner-Prinzip, der Verbraucher müsse nur lernen, sich richtig zu informieren selbst schuld, wer das Kleingedruckte nicht liest , richtet sich gegen die Verbraucherinnen und Verbraucher. Die Linke macht da nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN Dr. Erik Schweickert (FDP): Dieses Prinzip haben wir nie ausgerufen, Frau Binder!)

Die Voraussetzung für gute Verbraucherinformation sind Transparenz und Offenheit. Ein wichtiges Beispiel sind Lebensmittel. Ministerin Aigner aber macht Essen zur Verschlusssache. Wie sonst kommen irreführende Begriffe für Lebensmittel wie Formfleisch oder Fruchtcremefüllung, die keine Frucht enthält, zustande? Die Deutsche Lebensmittelbuch-Kommission tagt geheim. Ihre Beschlüsse sind unergründlich. Wie gelangen Schadstoffe, zum Beispiel Druckchemikalien, von der Getränkeverpackung in den Saft? Betriebsgeheimnis! Welche Verstöße und Hygienemängel führen zur Schließung eines Schlachthofs? Auch geheim!

(Dr. Erik Schweickert (FDP): VIG!)

Damit muss endlich Schluss sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Verbraucherinnen und Verbraucher haben ein Recht, zu erfahren, welcher Betrieb nicht genug auf Sauberkeit achtet und wie Schadstoffe ins Essen gelangen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Herr Schweickert möchte Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie diese zulassen?

Karin Binder (DIE LINKE):
Aber gern.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.

Dr. Erik Schweickert (FDP):
Frau Kollegin Binder, vielen Dank für die Ermöglichung einer Zwischenfrage. Ist Ihnen bekannt, dass die Bundesregierung das Verbraucherinformationsgesetz novelliert hat, dass wir damit genau in diesen Bereich Transparenz bringen, dass der Verbraucher sehr wohl weiß, wann Grenzwerte überschritten sind, wann und warum ein Schlachthof geschlossen worden ist, und dass wir genau in diesem Bereich gehandelt haben?

Karin Binder (DIE LINKE):
Lieber Kollege Schweickert, ich glaube, auch Sie wissen, wie schwierig es ist, an solche Informationen zu kommen; denn nach wie vor können sich die Betriebe auf das Betriebsgeheimnis berufen und nach wie vor müssen nicht alle Ergebnisse von Kontrollen offengelegt werden. Solange das Ganze unter dem QS-Siegel oder dem Stichwort Eigenkontrolle läuft, hat die Öffentlichkeit keinen Anspruch darauf, das zu erfahren.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Erik Schweickert (FDP): Geschäftsgeheimnisse sind nicht mehr geschützt, Frau Binder!)

Schön wäre es.

(Dr. Erik Schweickert (FDP): Das steht im Gesetz!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Es gäbe jetzt noch eine Zwischenfrage des Kollegen Goldmann. Möchten Sie diese auch zulassen?

Karin Binder (DIE LINKE):
Gerne.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bitte schön.

Hans-Michael Goldmann (FDP):
Frau Kollegin Binder, Sie haben eben die Schließung eines Schlachtbetriebs angesprochen und gesagt, dass die Gründe dafür geheim seien. Können Sie sich daran erinnern, dass wir gestern in der Ausschusssitzung einen Tagesordnungspunkt zum Bericht über die Situation dieses Schlachtbetriebes hatten und ich trotz angespannter Zeitsituation große Anstrengungen unternommen habe, damit Sie rund eine Viertelstunde über die Situation in diesem Schlachtbetrieb informiert werden?

(Alexander Süßmair (DIE LINKE): Geschlossene Sitzung! Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Sehr öffentlich! Sehr transparent!)

Ihre Bedenken im Hinblick auf diesen Schlachtbetrieb waren danach sicherlich weitestgehend ausgeräumt. Es hat in dem Betrieb nämlich einen Umbau gegeben, der zu einer besonderen Situation geführt hat, die aber gegenwärtig keine Hygieneprobleme mit sich bringt.

(Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Überhaupt nichts wurde ausgeräumt!)

Natürlich wurden sie ausgeräumt. Bei Friedrich Ostendorff waren sie natürlich nicht ausgeräumt, weil Herr Ostendorff grundsätzlich keine Bedenken ausräumen lässt, wenn er sich zu einer Sache einmal eine Meinung gebildet hat.

(Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): War das öffentlich oder nicht öffentlich? - Zuruf von der LINKEN: Intransparenz! - Ulrich Kelber (SPD): Das ist ein unwürdiges Verhalten für einen Ausschussvorsitzenden, was Sie hier abliefern! Eine Disqualifikation von Kolleginnen und Kollegen!)

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Entschuldigung, jetzt hat die Kollegin Binder das Wort, um auf die Frage zu antworten. Ansonsten sind Zwischenrufe sehr willkommen.

Karin Binder (DIE LINKE):
Lieber Kollege Goldmann, ich stimme Ihnen zu: Wir hatten eine Ausschusssitzung, die sich mit diesem Thema befasst hat. Allerdings ist diese Ausschusssitzung nicht öffentlich gewesen. Die Öffentlichkeit erfährt nichts darüber, was in Bezug auf diesen Betrieb Ursache und Wirkung war, was die Konsequenzen sind und wie die Bevölkerung, die Verbraucherinnen und Verbraucher künftig vor solchen Konsequenzen geschützt werden. Unsere Ausschusssitzung ist nicht öffentlich. Außerdem wurden unsere Bedenken nicht ausgeräumt. Es gibt noch sehr viel Beratungsbedarf. Ich stimme Ihnen zu: Wir haben ein Stück weit eine Klärung erreicht, aber ganz bestimmt keine endgültige, abschließende. Es muss definitiv noch beraten werden, insbesondere darüber, wie solche Probleme künftig vermieden werden können.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin der Meinung, dass der Staat in der Verantwortung ist, wenn es darum geht, Menschen vor dem Ausverkauf der Daseinsvorsorge zu schützen; denn auch diesbezüglich werden sie mittlerweile zu Verbraucherinnen und Verbrauchern degradiert. Rente, Krankheit, Bildung, Strom, Gas und Wasser gehören nach meiner Auffassung aber zur Daseinsvorsorge. Deshalb können die Menschen diesbezüglich nicht einfach zu Marktteilnehmern degradiert werden. Wenn wir für das Alter vorsorgen wollen, sollen wir heute zur Bank gehen. Ohne es zu wissen, nehmen wir dann plötzlich an Finanzwetten teil oder werden zu Miteigentümern von Immobilien, die es gar nicht gibt. „Selbst schuld“, sagt Frau Aigner. Nach meiner Auffassung muss es aber Bereiche geben, in denen Menschen ausdrücklich geschützt und nicht auf den Begriff der Verbraucherin oder des Verbrauchers reduziert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies gilt besonders bei den gesetzlich zu regelnden Gesundheits- und Pflegeleistungen wie auch bei allen anderen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Für eine verbraucherfreundliche Gesellschaft, die nach dem Anspruch handelt, Verbraucherinnen und Verbraucher zu stärken, zu schützen und zu informieren, benötigen wir erstens die Stärkung der persönlichen und gemeinschaftlichen Verbraucherrechte, zweitens eine wirksame Marktüberwachung zur Kontrolle von Unternehmen und Betrieben, drittens gut ausgestattete und starke Verbraucherorganisationen wie die Verbraucherzentralen, viertens handlungsfähige und gut ausgestattete staatliche Kontrollbehörden, die alle Ergebnisse allgemein verständlich zu veröffentlichen haben, fünftens ein durchsetzungsstarkes Verbraucherministerium, das im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher handelt, und sechstens moderne Ernährungs- und Verbraucherbildung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen. Die Linke fordert eine aktive Verbraucherpolitik, welche die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher in den Mittelpunkt stellt. Das Leitbild muss eine sozial gerechte und ökologisch nachhaltige Verbraucherpolitik sein. Wirksamer Verbraucherschutz braucht handlungsfähige und durchsetzungskräftige öffentliche Institutionen sowie starke, finanziell gut ausgestattete Verbraucherorganisationen. Gleichzeitig setzen wir uns für die Rekommunalisierung bereits privatisierter Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge ein.

(Dr. Erik Schweickert (FDP): Das ist klar!)

So geht Verbraucherschutz.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)