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Urteil des europäischen Menschenrechtsgerichtshofs wird nicht konsequent umgesetzt

Rede von Halina Wawzyniak,

Rede zu Protokoll


Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,


es ist bedauerlich, dass wir erneut über das Thema Sicherungsverwahrung sprechen müssen. Der von den Grünen vorgelegte Gesetzesentwurf ist zu begrüßen.


Wir hätten uns diese Debatte und den Gesetzentwurf der Grünen sparen können, hätte die Koalition aus der im letzten Jahr stattgefundenen Anhörung zur Neuregelung der Sicherungsverwahrung gleich die richtigen Konsequenzen gezogen. Aber dazu fehlte ihr der nötige Wille. Statt tatsächlich europarechtskonform die nachträgliche Sicherungsverwahrung nicht nur für Neufälle abzuschaffen, hat die Koalition aus Rücksicht auf die Stammtische, die Sicherungsverwahrung für Altfälle einfach beibehalten. Das dies bedenklich ist, ist mehrfach ausgeführt worden.


In der Anhörung und auch hier im Plenum ist mehrfach darauf hingewiesen worden, dass bei Beibehaltung der Sicherungsverwahrung für Altfälle die nicht unerhebliche Gefahr besteht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte diese Regelung für nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar hält. Und tatsächlich haben diejenigen, die eine solche Vermutung aufgestellt haben Recht behalten. Das Urteil des EGMR vom 13. Januar 2011 hat nun ausdrücklich die Unvereinbarkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung mit Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a EMRK festgestellt. Der Artikel 5b Absatz 1 verlangt für eine rechtmäßige Freiheitsentziehung einen Kausalzusammenhang zwischen Verurteilung (Schuldfeststellungen durch das Strafgericht) und der späteren Anordnung der Sicherungsverwahrung (Gefährlichkeitsfeststellungen durch die Strafvollstreckungskammer). Und genau der fehlt beider Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung.


Nach einem alten Sprichwort könnte ich mich jetzt hier hinstellen und sagen: Wer nicht hören kann muss fühlen. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, müssen nun fühlen. Sie müssen sich ganz schnell auf ihren Hosenboden setzen und eine europarechtskonforme Neuregelung schaffen. Das fühlen ist allerdings nicht so schwierig, sie können nämlich an diesem Punkt einfach den Gesetzesentwurf der Grünen übernehmen und vermutlich in dieser Frage Einstimmigkeit im Hohen Haus erzielen. Sie müssen dazu nur einmal über ihren Schatten springen und den Stammtischen Widerspruch entgegensetzen. Beweisen Sie einmal Mut und zeigen Sie, dass nicht die Stammtische sondern das Recht ihr Handlungsmaßstab sind.


Wenn Sie das an sich fragwürdige Instrument der Sicherungsverwahrung wenigstens rechtskonform machen wollen, dann sollten Sie auch einen weiteren Aspekt berücksichtigen. Ein Verstoß gegen die EMRK ist nämlich auch die rückwirkende Aufhebung der Zehn-Jahres Höchstfrist. Und damit Sie Argumentationsmaterial haben, nenne ich Ihnen auch noch den genauen Paragrafen, gegen den rückwirkende Aufhebung der Zehn-Jahres Höchstfrist verstößt. Es handelt sich hierbei um Art.5 Abs.1 lit.a und Art.7 Abs.1 EMRK. Auch für Sie gilt, was jeder Jurastudentin und jedem Jurastudenten von Anfang an beigebracht wird: Ein Blick ins Gesetz erhöht die Kompetenz. Es ist jedenfalls für die LINKE ein unhaltbarer Zustand und eine Beschädigung des Rechtsstaates, dass Menschen trotz festgestelltem Verstoß gegen die EMRK weiterhin in Sicherungsverwahrung bleiben. Deshalb ist es richtig, dass mit dem vorgelegten Gesetzesentwurf gefordert wird, dass auf all diejenigen Gefangenen, die wegen Taten, über die bis zum 31. Januar 1998 noch nicht rechtskräftig entschieden worden war, die Rechtslage Anwendung findet, die bei Begehung ihrer Tat aktuell war. Deshalb fordern wir die Einhaltung des Rechts und damit, dass all jene die bereits länger als zehn Jahre in der Sicherungsverwahrung sitzen obwohl zur Tatzeit die Höchstdauer auf zehn Jahre begrenzt war unverzüglich aus der Sicherungsverwahrung zu entlassen sind.


Besonders wichtig erscheint uns, die Aufhebung der nachträglichen Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende. Allerdings, liebe Freunde von den Grünen sind Sie hier ein wenig inkonsequent. Die Sicherungsverwahrung für Jugendliche und Heranwachsende an sich gehört abgeschafft, sie ist mit dem System des JGG einfach unvereinbar.


Der Gesetzentwurf der Grünen insgesamt kann aber nicht unsere Zustimmung finden, wir werden ihn allerdings auch nicht ablehnen. So löblich es ist das Urteil des EGMR zum Anlass zu nehmen das Thema Sicherungsverwahrung erneut aufzugreifen, so sträflich ist es die grundlegenden Kritikpunkte am Recht der Sicherungsverwahrung nicht zu thematisieren. Ich will hier nur kurz die Themen benennen: Therapieunterbringungsgesetz. Die durch § 66 b StGB beibehaltene Möglichkeit die nachträglichen Sicherungsverwahrung für alldiejenigen anzuordnen, bei denen aufgrund eines nicht mehr vorliegenden pathologischen Zustandes im Sinne von §§ 20, 21 StGB die Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik für erledigt erklärt worden ist. Beibehaltung der Raub- und Erpressungsdelikte -auch die gewaltanwendungsfreien-, Betäubungsmittel- sowie Brandstiftungsdelikte als Anlasstaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung.


All dies wird –und darauf haben wir als LINKE bereits mehrfach hingewiesen- dem Institut der Sicherungsverwahrung, wenn man sich überhaupt auf dieses Institut als „schärfstes Mittel der Kriminalpolitik“ einlässt, nicht gerecht.


Mithin enthält der Gesetzentwurf der Grünen bloß eine wegen dem jüngsten EGMR-Urteil zwingend erforderliche Minimalkorrektur. Wesentliche Ungerechtigkeiten im Rahmen der Sicherungsverwahrung bleiben aufrecht erhalten und eine grundsätzliche Kritik am Institut der Sicherungsverwahrung wie das potentielles Weggesperrtsein auf Lebenszeit aufgrund unsicherer Gefahrenprognose, Abkoppelung des Strafrechts vom Schuldprinzip und Hinwendung zum Präventivstrafrecht, Doppelbestrafungsverbot, Abkehr von Resozialisierungsgedanken und kontraproduktive Wirkungen auf Therapie während der Strafhaft werden vom Gesetzentwurf nicht aufgenommen. Wir glauben, dass es an der Zeit wäre die Debatte um das Thema Sicherungsverwahrung noch einmal grundsätzlich aufzumachen.


Wir fordern die Bundesregierung auf, eine Expertenkommission einzurichten und sich externen Sachverstand einzuholen. Lassen Sie die Fakten sprechen und nicht die Stammtische. Dann – und da bin ich mir sicher- können wir das Thema seriös behandeln und lassen uns nicht von Emotionen treiben. Die Chance wäre mit dem Urteil des EGMR gegeben, lassen Sie uns diese Chance nutzen.