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Unsoziale Finanzierung der Krankenkassen

Rede von Harald Weinberg,

Union und SPD führen ihr Gesetz ein, das die neuen unbegrenzten Zusatzbeiträge bringen soll

Harald Weinberg (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich beschränke mich in meiner Rede erst einmal auf den Finanzierungsaspekt.

(Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist auch richtig so! Der kam zu kurz!)

Meine Kollegin Vogler wird sich nachher mit dem Thema Qualitätsinstitut etwas intensiver auseinandersetzen. Zu Anfang meiner Rede muss ich auf die Kürzung des Bundeszuschusses zur gesetzlichen Krankenversicherung eingehen. Wir sind zwar nicht in der Haushaltsdebatte, aber es gibt natürlich einen Zusammenhang zwischen der Kürzung und dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf. Zum Zwecke der Haushaltssanierung soll der Bundeszuschuss in diesem Jahr um 3,5 Milliarden Euro gekürzt werden, im nächsten Jahr um 2,5 Milliarden Euro, insgesamt also um 6 Milliarden Euro. Das müsste sogar in der Welt von Herrn Lauterbach gelten, auch wenn dort immer wieder, sagen wir einmal, unkonventionelle Sichtweisen vorhanden sind. Minister Gröhe formuliert in dieser Frage klarer und nennt Kürzungen auch Kürzungen. Er sagt, diese Kürzungen seien zur Konsolidierung des Haushalts notwendig, und sie seien durch die Rücklagen im Gesundheitsfonds gedeckt. Aus diesem Grund werde es derzeit keine Beitragssteigerungen geben. Das ist richtig, aber es ist nicht die ganze Wahrheit. Das Abschmelzen der Rücklagen im Gesundheitsfonds zum Zwecke der Haushaltssanierung beschleunigt aufseiten der Kassen die Notwendigkeit, Zusatzbeiträge zu erheben. Das rechnet Ihnen auch der Bundesrechnungshof vor. Er kommt zu dem Schluss; ich zitiere:

"Erzielte der Gesundheitsfonds in den Jahren 2014 und 2015 jedoch keine Überschüsse", was sehr wahrscheinlich ist, "würde Ende 2015 bei der vorgesehenen Kürzung des Bundeszuschusses 2014 und 2015 die gesetzlich vorgeschriebene Mindestliquiditätsreserve ... unterschritten."

Das sagt der Bundesrechnungshof. Ferner sagt er:

"Der Bundesrechnungshof empfiehlt deshalb, die Finanzsituation des Gesundheitsfonds spätestens ab Mai 2015 dahingehend noch genauer zu beobachten, um gegebenenfalls frühzeitig gegensteuern zu können. Optionen wären", sagt er ferner, "den für 2016 geplanten Bundeszuschuss weiter anzuheben oder die Zuweisungen an die Krankenkassen so weit zu reduzieren, dass es zu keiner längerfristigen Unterschreitung der Mindestliquiditätsreserve kommt."

Das Erste ist unwahrscheinlich. Der Bundeszuschuss wird 2016 nicht angehoben. Daher tritt das Zweite in Kraft. Das heißt, ab 2015 steht die Gefahr im Raum, dass die Zuweisungen an die Krankenkassen reduziert werden und Zusatzbeiträge schon dann notwendig werden.

Jetzt zur paritätischen Finanzierung, der hälftigen Beitragserhebung bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern, einem wesentlichen Merkmal unseres solidarischen Krankenkassensystems, das jetzt weiter geschliffen wird. Mit dem Sonderbeitrag von 0,9 Prozent wurde bereits unter Rot-grün unter Ulla Schmidt mit dem Ausstieg aus der Parität begonnen. Schwarz-Gelb tastete das nicht an, sondern verschärfte es sogar durch die kleine Kopfpauschale. Nur um die Dimensionen, über die wir hier sprechen, einmal deutlich zu machen: Seit 2005 zahlen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jährlich 9 bis 10 Milliarden Euro mehr an Beiträgen an die Krankenkassen als die Arbeitgeberseite. Das sind in diesen neun Jahren zwischen 80 und 90 Milliarden Euro. Zuzahlungen, Aufzahlungen usw. sind dabei noch nicht mitgerechnet. Das ist eine gewaltige Summe, und aus unserer Sicht ist dies völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir wollen zurück zur paritätischen Finanzierung. Das war ja auch einmal sozialdemokratische Position, scheint es aber nicht mehr zu sein. Denn an dieser Stelle wird gar nichts korrigiert. Der Arbeitgeberbeitrag bleibt eingefroren. Alle künftigen Ausgabensteigerungen werden künftig von den Beitragszahlern auf der Arbeitnehmerseite durch Zusatzbeiträge gezahlt.

Nur am Rande: Das führt auch in den Selbstverwaltungsorganen zu ganz merkwürdigen Situationen. Wir werden in den paritätisch besetzten Selbstverwaltungsorganen der Krankenkassen erleben, dass die Arbeitgeberseite über die Einführung von Zusatzbeiträgen, die sie selber überhaupt nicht betreffen, mit entscheidet. Auch so kann man Selbstverwaltungsstrukturen delegitimieren und die Krise, die es dort zu einem Teil schon gibt, weiter verschärfen.

Jetzt zur Finanzentwicklung und Prognose; gerade wurde schon darauf hingewiesen. Die Bundesregierung hat gesagt, 20 Millionen von - die Gesamtzahl der Beitragszahler wird immer vergessen - rund 50 Millionen Beitragszahlern  würden ab 2015 weniger Beitrag als heute zahlen müssen. Diese Prognose ist aus meiner Sicht verhältnismäßig fragwürdig. Nach meiner Kenntnis haben bisher erst sieben Kassen gesagt, dass sie die Beiträge senken werden, und diese sieben Kassen - darunter ist nur eine große Kasse - haben weniger als 9 Millionen Mitglieder und rund 12 Millionen Versicherte, mitversicherte Personen usw. Die Versichertenzahl ist immer etwas größer. Das sind aber lange keine 20 Millionen Mitglieder. Diese Kassen haben also angekündigt, dass sie den Beitragssatz voraussichtlich senken werden. Die einzige große Kasse darunter, die Techniker, wird in dem Zuge auf die Auszahlung von Bonuszahlungen, die sie derzeit vornimmt, verzichten. Im Prinzip ist es am Ende ein Nullsummenspiel.

Wie die Bundesregierung auf die 20 Millionen kommt, bleibt ihr Geheimnis, aber selbst diese 20 Millionen sind nur eine Minderheit. Bezeichnenderweise sieht sich die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage, die wir gestellt haben, nur in der Lage, eine Prognose, dazu noch eine fragwürdige, über die Zahl der Begünstigten abzugeben. Wir haben auch gefragt, für welche Gruppen die Beiträge gleich bleiben oder eventuell sogar höher werden. Da sah sich die Bundesregierung in ihrer Antwort außerstande, eine Prognose abzugeben. Im Prinzip gibt man also nur Prognosen ab, um positive Überschriften in den Zeitungen zu generieren. Auf Prognosen, die zu kritische Überschriften in den Zeitungen führen, verzichtet man.

Auf den Bundesrechnungshof habe ich bereits verwiesen. Er sieht ab 2015 Probleme beim Fonds. Aber auch die Antworten auf unsere Kleine Anfrage zeigen, dass es recht schnell für alle Versicherten deutlich teurer werden kann. In den letzten zehn Jahren stiegen die Ausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahresdurchschnitt um 3,7 Prozent. Die beitragspflichtigen Einkommen, also Löhne und Rente, stiegen im gleichen Zeitraum nur um 2 Prozent. Das bedeutet jedes Jahr ein Loch von 1,7 Prozentpunkten. Das entspricht in etwa 4 Milliarden Euro.

Das ist der Grund, warum der Beitragssatz insgesamt auf 15,5 Prozent angehoben werden musste. Sämtliche Experten nehmen an, dass sich diese Entwicklung in den nächsten Jahren fortsetzen wird. In dieser Situation beschließen Sie, dass künftig weder Arbeitgeber noch Gutverdiener noch privat Krankenversicherte noch Kapitaleinkünfte dazu herangezogen werden, das auszufinanzieren. Die gesetzlich Krankenversicherten müssen die Zeche allein zahlen. Deshalb werden die Zusatzbeiträge schnell kommen, befürchten wir.

Am Ende bleibt, dass die kleine Kopfpauschale, die durch Schwarz-Gelb eingeführt wurde, nun durch einen relativen Zusatzbeitrag ersetzt wird. Das war sozusagen der große Sieg der Sozialdemokratie in den Koalitionsverhandlungen. Dabei wird es aber teurer für die Versicherten. Daher kann dieser große Sieg schnell zu einem Pyrrhussieg für die SPD werden. Wir bleiben bei unserer Alternative. Unsere Alternative ist eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und in der die Parität völlig wiederhergestellt wird.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)