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Unsere Volkswirtschaft wird nicht durch immer neue Steuersenkungsrunden wachsen und modernisiert.

Rede von Oskar Lafontaine,

Es wird keine gerechte Steuergesetzgebung in Deutschland geben, wenn wir bei der jetzigen Entwicklung der Vermögen und Einkommen keine ordentliche Vermögensbesteuerung einführen, wie es sie in anderen modernen Industriestaaten gibt. Oskar Lafontaine in der Debatte zum Gesetzentwurf der FDP zur Reform der direkten Steuern (Drs. 16/679).

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Abgeordnete Solms hat für die Freien Demokraten in aller Klarheit die Position dieser Partei dargelegt. Er hat das Steuergesetz mit dem Freiheitsprinzip in der Verfassung begründet. Darauf will ich eingehen. Es ist richtig, wenn Sie ein einfaches und gerechtes Steuersystem verlangen. Wer wollte dem widersprechen? Es ist ebenfalls richtig, wenn Sie sagen, die Menschen müssen das Steuerrecht verstehen, damit sie ihre Steuererklärung abgeben können. Unser Widerspruch zu Ihrem Gesetzentwurf kristallisiert sich an Art. 14 des Grundgesetzes, den Sie ebenfalls bemüht haben, den Sie aber interessanterweise sehr verkürzt zitiert haben. Worauf Sie immer wieder verweisen, ist die Eigentumsgarantie. Ich lese Ihnen einmal den ersten Absatz vor: Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt. Was Sie aber in Ihren Reden immer vergessen, sind die weiteren Absätze dieses wichtigen Artikels des Grundgesetzes. Deshalb möchte ich Ihnen einen Auszug daraus vorlesen: Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Eine Enteignung ist … zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. (Beifall bei der LINKEN) Zum Verständnis: Damit ist nicht die Enteignung älterer Arbeitnehmer über die Sozialgesetzgebung gemeint. Die Väter des Grundgesetzes (Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es gab auch Mütter!) haben vielmehr etwas ganz anderes gemeint. Weil Sie Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes übersehen, ist Ihr Steuervorschlag völlig falsch und inakzeptabel. Denn er greift die derzeitige Entwicklung unserer Gesellschaft überhaupt nicht auf und spiegelt sie nicht wider. Im Jahreswirtschaftsbericht steht die schlichte Feststellung der Bundesregierung ich wiederhole sie an dieser Stelle : Die Löhne wachsen nicht, die Renten wachsen nicht, die sozialen Leistungen gehen zurück, nur die Einkommen aus Vermögen und selbstständiger Tätigkeit wachsen um 7,25 Prozent. Wie man bei dieser Situation einen Gesetzentwurf einbringen kann, mit dem die Tendenz einer solchen Entwicklung verschärft würde, ist niemandem verständlich. Daher wird er von der großen Mehrheit der Bevölkerung strikt abgelehnt. (Beifall bei der LINKEN) Es wird keine gerechte Steuergesetzgebung in Deutschland geben, wenn wir bei der jetzigen Entwicklung der Vermögen und Einkommen keine ordentliche Vermögensbesteuerung einführen, wie es sie in anderen modernen Industriestaaten gibt. Für die Fraktion Die Linke möchte ich für diejenigen, die heute Zeit haben, uns zuzuhören, einen einfachen Hinweis geben: Das reine Geldvermögen der Deutschen beträgt 4 000 Milliarden Euro. Die Hälfte davon, 2 000 Milliarden Euro, gehören den oberen Zehntausend bzw. 1 Prozent der Bevölkerung. Würde man also nur diese Hälfte mit 5 Prozent besteuern, gäbe es in den öffentlichen Kassen Mehreinnahmen von 100 Milliarden Euro. Dies zeigt, dass die ganzen sozialen Kürzungen der letzten Jahre und die ganze Reformpolitik völlig überflüssig und wenn man es hart formuliert ein einziger Schwindel waren. (Beifall bei der LINKEN) Nun weiß ich, dass sich niemand von der Mehrheit dieses Hauses an diese einfache Gesetzgebung wagen möchte. Der Verweis auf andere mit uns konkurrierende Staaten wirft aber die Frage auf, warum eine ordentliche Vermögensbesteuerung in Schweden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten möglich ist (Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Vereinigten Staaten haben keine Vermögensteuer!) und warum sie hier in Deutschland nicht möglich sein soll. Solange diese extreme Schieflage nicht beseitigt ist, gibt es kein gerechtes Steuersystem in Deutschland. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Punkt. Wir möchten nicht nur, dass die Verfassung wieder ernst genommen wird. Wir möchten auch, dass die Einkommens- und Lohnentwicklung in Deutschland der lebendigen Arbeit folgt und nicht dem toten Kapital. (Beifall bei der LINKEN) Ich wiederhole diesen Satz: Die Einkommens- und Lohnentwicklung in Deutschland soll der lebendigen Arbeit folgen und nicht dem toten Kapital. Das krasse Gegenteil geschieht seit vielen Jahren. Ich wiederhole die Aussage aus dem Jahreswirtschaftsbericht: Für leistungslose Einkommensbezieher, wenn man so will, ergibt sich ein Zuwachs von 7,25 Prozent, während die große Mehrheit des arbeitenden Volkes in diesem Jahr überhaupt keinen Zuwachs ihrer Löhne bzw. Renten erwarten kann. Auf diese Art und Weise kann es einfach nicht weitergehen. Dem Ganzen wird mit einer solchen Vereinfachung, wie Sie sie hier vielleicht gut gemeint vortragen, die Krone aufgesetzt, wenn die Zuschläge für die Nacht- und Schichtarbeit besteuert werden sollen und die Pendlerpauschale abgeschafft werden soll. Gleichzeitig sagt man aber: Werdet flexibler, werdet beweglicher auf dem Arbeitsmarkt. Das alles passt nicht mehr zusammen. Aus diesem Grund lehnen wir den Gesetzentwurf ab. (Beifall bei der LINKEN) Im Grunde genommen geht es in der entwickelten Volkswirtschaft wie einem Ökonom, an dem sich heute viele die Schuhe abputzen, die bei weitem nicht an ihn heranreichen, nämlich John Maynard Keynes, schon vor vielen Jahren geschrieben hat, darum, dass es in einem solchen Entwicklungsstadium, in dem wir uns heute befinden, darauf ankommt, die Ersparnisse wieder in Investitionen umzulenken. Das ist das Kernerfordernis einer Volkswirtschaft, wie wir sie heute vorfinden. Gegen das Kernerfordernis, Ersparnisse in Investitionen umzulenken, verstoßen Sie massiv mit Ihren Vorschlägen. Es geht darum, durch eine moderne Gesetzgebung in Deutschland wieder eine ordentliche öffentliche Investitionsquote zu erreichen wie in unseren europäischen Nachbarstaaten. Wir werden in Deutschland niemals bei Wachstum und Beschäftigung zulegen, wenn wir nicht zumindest eine ähnlich hohe öffentliche Investitionsquote haben wie die europäischen Nachbarstaaten. (Beifall bei der LINKEN) Ein weiterer Punkt. Solange wir die Ersparnisse nicht in Bildungsinvestitionen und in Investitionen in die Forschung umlenken, werden wir unsere Volkswirtschaft nicht modernisieren können. Unsere Volkswirtschaft wird nicht durch immer neue Steuersenkungsrunden wachsen und modernisiert. Das wurde in den letzten Jahren erfolglos versucht. Wir sollten uns ein Beispiel an Volkswirtschaften nehmen, die wachsen. Das sind etwa die skandinavischen Länder. Ein solches Gesetz, wie Sie es hier vorlegen, hätte in diesen Volkswirtschaften nicht die geringste Chance. (Beifall bei der LINKEN)