Rede der umweltpolitischen Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. Eva Bulling-Schröter zum Antrag der Abgeordneten Dr. Reinhard Loske, Hans-Josef Fell, Sylvia Kotting-Uhl, weiterer Abgeordneter und der Fraktion des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN: Nie wieder Tschernobyl - Zukunftssichere Energieversorgung ohne Atomkraft (Drucksache 16/860)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Name des ukrainischen Ortes Tschernobyl steht für vieles. Er steht für die größte Reaktorkatastrophe der Geschichte. Er ist gleichzeitig ein Symbol für den Anfang des welt-weiten Widerstands gegen die Atomkraft. Tschernobyl symbolisiert aber auch die kritiklose Technikgläubigkeit und die Vertuschungen, die nicht nur für die Sowjetunion, sondern für den gesamten Ostblock charakteristisch waren. Dass nicht sein sollte, was nicht sein darf, war jedoch nicht nur im Kreml und im SED Zentralkomitee die Maxime. Auch bei bestimmten linken Organisationen im Westen, den Bruderparteien, war dies die Richtschnur. Insofern mussten sich in den vergangenen Jahren viele Mitglieder von PDS und Linkspartei, darunter auch ich, kritische Fragen stellen. Die Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU müssten dies aber auch tun; denn ich kann mich noch sehr gut erinnern, wie damals auch bei uns vieles verschwiegen wurde. Ich denke, das wird auch heute noch der Fall sein. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Linke hat aus den grundsätzlichen und unverantwortlichen Risiken der Atomwirtschaft die einzig mögliche Konsequenz gezogen: Wir fordern den schnellstmöglichen Ausstieg aus der Atomenergie. (Beifall bei der LINKEN - Ulrich Kelber [SPD]: Wir auch!) Die Zukunft muss ökologisch und sozial beherrschbaren Energieformen gehören. Das sind Sonne, Wind, Wasser, Biomasse und Geothermie statt Uran und Plutonium. Die Argumente, die gegen die Atomkraft sprechen, sind im Antrag der Grünen noch einmal aufgeführt. Beispielsweise wird darauf hingewiesen, dass der Brennstoff der AKWs nur noch 40 bis 60 Jahre reicht, dass die Atomkraft nur einen sehr geringen Beitrag zum Klimaschutz leistet und dass kein einziges deutsches AKW einem Terroranschlag wie dem auf die New Yorker Twin Towers standhalten würde. Ich muss Sie von den Grünen in diesem Zusammenhang fragen, welche Verantwortung Sie haben. Es ist merkwürdig, dass die Grünen in ihrem Antrag die Restlaufzeiten in Deutschland von über 20 Jahren als angemessen darstellen. Das ist für mich sehr widersprüchlich. Sind wir nun gefährdet - dann müssen die Atomkraftwerke schnell abgeschaltet werden - oder nicht? (Beifall bei der LINKEN) Gestatten Sie mir noch eine Anmerkung zum viel zitierten IAEO-Bericht. Das Dokument erschien unter dem Titel „Tschernobyl - Das wahre Ausmaß des Unfalls“. Als ich das Papier gelesen habe, war ich verblüfft und zornig darüber, wie es die Atomlobby wieder einmal geschafft hat, die Wahrheit zu verbiegen. Hauptaussage - vielleicht auch Motivation - des Berichts ist sinngemäß: Es war alles nicht so schlimm und wenn doch etwas passiert ist, dann lag es an der dramatisierenden Darstellung durch die Medien. Die habe nämlich zu einer psychischen Belastung der Bevölkerung vor Ort geführt, so die seltsame Logik. Die Autoren meinen tatsächlich, Armut, Lifestylekrankheiten und psychische Probleme seien eine viel größere Bedrohung für die betroffenen Gemeinden als die Langzeitverstrahlung. (Dr. Maria Flachsbarth [CDU/CSU]: Das hat man Ihnen doch gestern im Ausschuss schon erklärt! Aber Sie haben es immer noch nicht verstanden!) - Hören Sie bitte zu! - Zudem zählt das Papier 4 000 Tote als Folge der Katastrophe. Der Bericht ist an dieser Stelle eine freche Manipulation. Denn warum sollte der ukrainische Staat sonst an die Angehörigen von mehr als 17 000 verstorbenen Aufräumarbeitern Entschädigung zahlen? Es geht dabei durchaus um Zahlen. Ich finde das sehr interessant. (Beifall bei der LINKEN und der SPD) Die stellvertretende Ministerin der Ukraine für Katastrophenschutz, Tetyana Amosova, erklärte dementsprechend: „Wir können nicht verstehen, was das für Daten sind.“ Lügen, Halbwahrheiten, Verdrehung von Tatsachen und Unterschlagung von Informationen - das ist der Stoff, mit dem die Atommafia gearbeitet hat und immer noch arbeitet. Ich komme zum Schluss. Wir fahren Sonntag nach Tschernobyl. Ich hätte mir sehr gewünscht, dass gerade die Partei, die das „C“ im Namen führt, sieht, was dort passiert ist. Leider haben Sie sich nicht durchringen können, den Umweltausschuss zu begleiten. Ich werde persönlich den Kolleginnen und Kollegen und den Atomopfern vor Ort das Mitgefühl des Herrn Missfelder mitteilen. (Manfred Grund [CDU/CSU]: Das können Sie sich ersparen! Nehmen Sie Geld mit! Machen Sie Wiedergutmachung! Das andere können Sie sich sparen! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Unterlassen Sie das bitte!) Sie lernen nämlich nichts aus solchen Unfällen. (Beifall bei der LINKEN)
Tschernobyl - der Anfang des weltweiten Widerstandes
Rede
von
Eva Bulling-Schröter,