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Tierschutz oder Religionsfreiheit

Rede von Bodo Ramelow,

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen,

auf der Tagesordnung steht als Ankündigung ein Tierschutzgesetz bzw. die erste Beratung
des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfes eines ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. Dazu mit aufgerufen ist die Beratung der Drucksache 16/6233.
Als Einbringer fungiert hier der Bundesrat.

Wenn ich den Arbeitstitel des Tagesordnungspunktes wörtlich nehme, handelt es sich also
bei dem Gesetz, das wir hier behandeln wollen, um ein Gesetz, das die Tiere schützen soll. Dies suggeriert jedenfalls der Begriff „Tierschutzgesetz“.
Hierbei möchte ich aber ausdrücklich erwähnen, dass hier zwei Grundsätze von Verfassungsrang miteinander in Widerstreit sind: die Freiheit der Religionsausübung und der Tierschutz.
Ein Gesetz, das Tiere schützt, müsste also das Leben der Tiere umfassen, und der geneigte Zuhörer müsste schlussfolgern, dass sich der Bundestag um lebende Tiere bzw. um das Leben der Tiere im schützenden Sinne Gedanken machen möchte und dazu schlussendlich auch ein Gesetz erlassen würde. Weit gefehlt! Denn um das Leben der Tiere geht es genau bei dem eingereichten Gesetzestext nicht. Es geht vielmehr um das Ende eines Tierlebens und um die funktionale Umwandlung eines Tieres in zum Verzehr geeignetes Fleisch. Es geht also um die Schlachtung und es geht um Schlachttiere. Die Überweisung, die vorgeschlagen wird in die Ausschüsse für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und Umwelt und Naturschutz, scheint mir deshalb konsequent zu sein, denn dort wird man sich mit Themen wie Hygiene bzw. unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes möglicherweise auch mit veterinärmedizinischen und hygienerechtlichen Bestimmungen beschäftigen.

Man könnte also erwarten, dass es bei dem eingereichten Gesetz um die Rahmenbedingungen für Schlachttiere vor dem Schlachten und die Hygienebedingungen unter dem Aspekt des Verbraucherschutzes für das aus den Schlachttieren entstehende Fleisch als Nahrungsmittel gehen würde. Weit gefehlt! Weder beschäftigt sich der Gesetzgeber in seinem Begründungstext mit den Schlachttieren, den Lebendtransporten, den Zuständen auf dem Fleischmarkt oder mit den gigantischen Transportmengen von Lebendtieren, die einzig zum Zweck der Auslastung großer Schlachtbetriebe quer durch Europa gekarrt werden und die teilweise auch deshalb lebend transportiert werden, damit sie als vermeintliches regionales Schlachtgut unter veränderten Begriffen wie in veredelter Form als Parmaschinken oder als Südtiroler Bauchspeck wieder in den Lebensmittelmarkt kommen, noch geht es um die Hygienebedingungen oder grundsätzliche Fragen, wie sie bei Hausschlachtungen selbstverständlich mit gesetzgeberisch geregelt sind, also Trichinenschau usw.

Es geht bei genauer Betrachtung des Textes ausschließlich um eine einzige Schlachtvorschrift, die sich im Kern weniger mit den vorgenannten Fragen beschäftigt, als ausschließlich mit Dingen, die religiöse Gefühle von Menschen betreffen, die in Deutschland leben, sich als gläubige Menschen empfinden und wahrnehmen und abrahamitischen Weltreligionen angehören, aber eben nicht der christlichen Weltreligion. Es geht um das Schächten, also um das Zu Tode Bringen eines Tieres, bei dem religiöse, Jahrtausende alte mündlich oder schriftlich weitergegebene Schlachtungsregeln zur Anwendung kommen.
Es geht um das Schächten, welches sowohl im jüdischen als auch im moslemischen Glauben in den jeweiligen religiösen Riten und für die gläubigen Menschen eine große Rolle spielt.
Es geht um koscheres Fleisch für die Juden und um halales Fleisch für die Muslime.

Als Christ erinnere ich mich sehr gut an die Diskussion vor 20 oder 30 Jahren in Westdeutschland, als die ersten türkischen Gemeinden zum Opferfest das Schächten als Teil ihrer Religionsausübung praktizierten. Das führte zu Entsetzen und die Unwissenheit um das, was praktiziert wird, und die Verwechslung des Schächtens als alttestamentarische Form der ausschließlichen Darbringung eines Opfertieres führte immer wieder zu heftigen Reaktionen. Hier konnte man zum ersten Mal das Gefühl bekommen, dass das christliche Abendland bedroht sei durch Schlachtrituale, die in einer bestimmten Form angewendet werden und die trotzdem zur Entstehung von Schlachtgut, also letztendlich zu geschächtetem Fleisch, welches zum Verzehr dienen soll, praktiziert wurden. Es geht also um Vorschriften, die für Tiere an der Grenzlinie zwischen Leben und Tod stehen. Und hier gestehe ich als Christ, dass ich mir manches vorstellen oder auch persönlich ablehnen kann, aber trotzdem respektiere ich, dass gläubige Menschen im Kontext der abrahamitischen Weltreligionen bestimmte Vorschriften bis heute praktizieren, die für unsere Glaubensvorfahren auch gegolten haben.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch mal erwähnen, dass die Schlachtungsregeln im Judentum und Islam gerade als Tierschutzmaßnahme betrachtet werden, also den Schmerz für das Tier möglichst auszuschließen. Ob eine vorherhige Betäubung religionsgesetzlich erlaubt ist, bedarf in der Tat der Beurteilung durch zu hörende Experten der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Im Judentum z. B. gibt es Rabbiner, welche gleichzeitig Veterinäre sind und deshalb hohe Fachkenntnisse in beiden Feldern mitbringen.

Bei dem hier eingebrachten Tierschutzgesetz geht es also weniger um ein Schutzrecht für ein Tier, denn es wird so oder so in jedem Fall getötet - das zweifelt der Gesetzgeber auch gar nicht an -, sondern es geht um die Tötungsart, die Tötungsvorschrift und die mit dieser Vorschrift verbundenen Regeln. Die Regel heißt, das Tier soll ohne Leid sterben, das heißt, ohne unerträglichen Schmerz, und dies, sagt mir mein Verstand, ist eine gute Regelung.
Wenn ich aber ausblende, welche Schmerzen ein Tier durchleiden muss in einem Schlachthof, bevor es getötet wird, und wenn ich ausblende, was an Ängsten, nachgewiesen durch die Cortisolmenge im Blut, existiert bevor die Betäubung im Schlachtprozess einsetzt, dann halte ich es für schwierig, dass bei den hier in Rede stehenden Regelung nun einerseits der Gläubige nachweisen soll, dass seine Religion zwingend diesen Ritus vorschreibt, und andererseits derjenige, der diesen Ritus praktiziert, nämlich den Schnitt bei dem Tier am Hals ansetzt, nachweisen soll, dass das Tier beim Ansetzen des Schnittes und beim Sterben keine zusätzlichen Schmerzen erleidet.

Die Form, wie der Gesetzgeber nun im Artikel 1 Absatz 1 A und B die Beweislast den Gläubigen auferlegt, und zwar nur im Rahmen der Beweislast dieser Ausnahmeregelung zum normalen Schlachtprozess in Deutschland - das halte ich genau für das Problem. Während also auf einem Schlachthof die Frage nach der Angst von Tieren überhaupt nicht gestellt wird, obwohl Wissenschaftler nach meiner Kenntnis sehr wohl belegen können, welche Ängste Schlachttiere durchleben, bevor sie in den Schlachtprozess kommen, soll für die Ausnahme von der Regel ein höheres Maß an Beweislast entstehen als für die Regel. Dies halte ich für ein Problem, das hier bei mir, aber nicht nur bei mir, sondern nach meinen Gesprächen mit Juden und Moslems auch bei unseren Mitbürgern, die im Rahmen der abrahamitischen Religionen Nichtchristen sind, der Eindruck sich verfestigt, dass hier eine Aktualität zu einem Thema vorgetragen wird, die sich weder aus Recht und Gesetz, noch durch aktuelle Urteile ergibt, sondern einzig und allein in dem Kontext gespürt wird, den wir zurzeit in Deutschland immer wieder erleben. Da wird vom christlichen Abendland als Kerngröße gesprochen, da wird im Zusammenhang mit der europäischen Verfassung nicht von einem universellen Gott gesprochen, sondern der Bezug zum christlichen Abendland benannt. Da wird in aktuellster Art und Weise vom Fraktionsvorsitzenden der Union das Kruzifix für öffentliche Gebäude als Regelfall vorgeschlagen. In diesem Kontext fühlen sich Juden und Moslems in Deutschland zurückgewiesen und mit dieser scheinbar harmlosen Vorschrift im Tierschutzbereich unter Generalverdacht gestellt. Es ist die ungute Mischung, die hier gedanklich entsteht - die Islamophobie, die in Deutschland mit jeder Debatte um Moscheen entsteht, aber eben auch um antisemitische Angriffe auf Mitbürger, die als Juden in Deutschland anfangen deutlicher ihren Glauben leben zu wollen.
Wenn ich aber, harmlos erscheinend, das Thema Schächten unter Tierschutzgesetz thematisiere und eine religiöse Beweislast Religionsgemeinschaften auferlege, die eine abschließend Autorität, wie z. B. im Katholizismus mit dem Vatikan und dem Papst nicht kennen, und entsprechende Vorschriften teilweise gelebte und rituelle Vorschriften sind, dann wird es schwierig, wer denn da alleine als autorisierte Person im Sinne des Tierschutzgesetzes angesehen werden soll.

Auch darf ich darauf hinweisen, dass die muslimischen Vertreter in Deutschland um die Anerkennung als Körperschaften des öffentlichen Rechtes kämpfen und dass es zurzeit gerade muslimische Glaubensvertreter gibt, die sich versuchen als gleichberechtigte Gesprächspartner analog den christlichen Kirchen und der jüdischen Glaubensgemeinschaft zu verankern. Hier darf ich aktuell darauf hinweisen, dass es genau der Innenminister ist, der hier große Zweifel anmeldet. Wenn man also den Muslimen gegenüber die Anerkennung als verbindliche und staatlich anerkannte Glaubensgemeinschaft verweigert, gleichermaßen im Tierschutzgesetz eine Regel verankert, die die religiös zwingend vorgeschriebenen Riten attestieren soll, halte ich diese Vorgehensweise schlicht, vorsichtig formuliert, für nicht zielführend, um nicht zu sagen für fadenscheinig. Deshalb würde ich am liebsten beantragen, das gesamte Gesetzgebungsverfahren an dieser Stelle zu beenden und schlicht zu überprüfen, ob sich nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Thema Schächten irgendetwas in Deutschland verändert hat, das eine aktuelle Veränderungsnotwendigkeit erzwingen würde. Warum soll der Gesetzgeber handeln, wenn nach meinem Dafürhalten und nach Rücksprache mit Juden und Muslimen auch nach deren Wahrnehmung sich nichts verändert hat. Ein Zurück zum, vorsichtig gesagt, illegalen Schächten vor dem Bundesverfassungsgerichtsurteil, so wie ich es noch in Erinnerung habe, ein Zurück in die Illegalität halte ich für nicht akzeptabel. Sollte aber die Mehrheit hier im Haus und die Bundesregierung der Meinung sein, dass man den hessischen Vorstoß hier weiter verfolgen sollte, wäre es glaubwürdig, wenn die tierschutzrechtlichen Aspekte fern von jeder Glaubensfrage einfach nur unter dem Aspekt der Vergleichbarkeit geprüft werden würden. Das heißt aber, dass die gesamte Kette zu betrachten ist und nicht einfach nur der Halsschnitt, wie er hier unter dem Buchstaben B daherkommt. Die Frage von Angst und Schmerzen und die Wechselwirkung zwischen Angst und Schmerzen ist dann auch für sämtliche andere Schlachttiere mit zu betrachten, und man müsste gleichermaßen mit den Religionsgemeinschaften bzw. mit den Vertretern der abrahamitischen Weltreligionen in Deutschland dahingehend im Gespräch sein, dass wir uns auch ihre Glaubensvorschriften erläutern lassen und darauf hören.

Gegebenenfalls gibt es die von mir schon angesprochene Möglichkeit, in der Finalphase auch im Wege des Elektroschocks eine Kurzzeit-Betäubung mit als Option zu nennen. Ich möchte aber als Vertreter meiner Fraktion dieses nicht ohne oder gegen den Willen der Vertreter des muslimischen oder des jüdischen Glaubens in den Gesetzestext aufnehmen. Für mich gehören gleichberechtigt, wenn es um religiöse Themen geht, deren Repräsentanten mit an den Gesprächstisch. Deswegen fehlt mir hier auch eine ernsthafte Überweisung des Gesetzestextes zuallererst an diejenigen, die es betrifft, wenn wir ihn schon nicht an die Interessensvertreter der Tiere selber überweisen können, denn dann würden uns die Interessensvertreter der Tiere alle anderen Fragen des mit Füßen getretenen Tierschutzes bei der gelebten Schlachtpraxis sämtlicher Schlachttiere in Deutschland um die Ohren hauen. Um dem Vorwurf zu entgehen, dass hier eine antisemitische oder antiislamische Vorschrift, harmlos als Tierschutz verkleidet, in den Gesetzgebungstext kommen soll, müssen wir also zuallererst mit diesen Vertretern selbst sprechen und mit ihnen Lösungswege erörtern..
Der überwiesene Gesetzestext aus dem Bundesrat scheint nicht zielführend und adäquat das Problem zu erfassen. In der Stellungnahme der Bundesregierung wird darauf eingegangen.
Der gesetzgeberische Lösungsansatz müsste sich deshalb auch und gerade über die Religionsfreiheit entwickeln.
Deshalb erbitte und beantrage ich auch eine entsprechende Anhörung und eine Be- und Erarbeitung mit Vertretern der muslimischen und jüdischen Menschen in Deutschland auf gleicher Augenhöhe.

Vielen Dank.