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Teilhabe ermöglichen, auch wenn man pflegebedürftig ist!

Rede von Ilja Seifert,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Spahn, Sie erwarten grundsätzliche Aussagen. Die hätte ich von Ihnen und Ihrer Regierung auch erwartet. Herr Singhammer, Sie haben ein Bild benutzt. Das ist immer sehr gefährlich. Sie wollen noch zwei Stockwerke auf das Haus bauen. Ich sage Ihnen: Legen Sie erst einmal ein ordentliches Fundament.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Elisabeth Scharfenberg (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich kann Ihnen auch sagen, wie das Fundament aussehen muss: Das Fundament muss zum einen darin bestehen, den bereits erarbeiteten Pflegebegriff umzusetzen. Das heißt, Teilhabe ermöglichen, wenn man pflegebedürftig ist; das heißt auch assistierende Begleitung. Das zweite Grundelement für das Fundament ist eine vernünftige Finanzierung. Das ist eine Bürgerinnen- und Bürgerversicherung und kein Pflege-Riester und Ähnliches.
(Beifall bei der LINKEN)

Über diese Punkte haben Sie überhaupt nicht ernsthaft geredet, sondern Sie haben lediglich das Reförmchen, das in einem dicken Papier angekündigt wird, verteidigt.
Was die Menschen wirklich brauchen, ist, dass sie selbst dann, wenn sie Schwierigkeiten in der Alltagsbewältigung haben - wenn sie inkontinent oder ein wenig verwirrt sind -, als Teil der Gesellschaft inmitten der Gesellschaft leben und teilhaben können. Das heißt, sie brauchen Begleitung; sie brauchen jemanden, der neben ihnen steht, und zwar nicht als bevormundender Begleiter, sondern als Assistent, der die Bedürfnisse, die Wünsche und die Lebensweise der Betroffenen kennt und auf sie eingeht. Es braucht jemanden, der die verwirrte Frau, die auf der Straße steht - das Bild wurde benutzt -, von der Kreuzung herunterholt, damit sie nicht überfahren wird.
Das sind die Probleme, die es zu bewältigen gilt; da können Sie darum herumreden, wie Sie wollen, Herr Minister. Sie haben nun den Pflegebeirat erneut eingesetzt, und Herr Zöller leitet ihn.
(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das macht er gut!)


Ich habe alle Achtung vor Herrn Zöller als Person, aber er leitet den Beirat, weil Herr Gohde, der wirklich weiß, wovon er redet, es abgelehnt hat, noch einmal eine Art Alibiveranstaltung durchzuführen. Das ist ein mutiger Schritt von Herrn Gohde - der ist immerhin Pfarrer und noch nicht einmal aus meiner Partei. Ich will trotzdem darauf hinweisen, dass derjenige, der wirklich Ahnung von der Materie hat, gesagt hat: Ich lasse mich nicht vor den Karren spannen, nur damit diese Regierung nichts tun muss.
(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Herr Zöller, in allen Ehren: Sie wollen im Sommer nächsten Jahres etwas vorlegen, also anderthalb Monate vor der Wahl. Sie sagen damit klipp und klar: Wir machen in dieser Wahlperiode nichts mehr. Diejenigen aber, die auf ein Handeln angewiesen wären, sind Neese. Muss das sein? Nein! Ein neuer Pflegebegriff existiert; er besagt klipp und klar: Es geht um Teilhabeermöglichung; es geht um die Persönlichkeitsentfaltung, auch dann
wenn man verwirrt ist; es geht um die Selbstbestimmung. All diese Punkte sind im jetzigen Pflegebegriff überhaupt nicht enthalten. Sie benutzen den alten Pflegebegriff, obwohl Sie und Ihre Regierung genau wissen, dass es bessere Pflegebegriffe gibt.
Es ist ein Konzept da. Es ist von Ihrer eigenen Regierung vorbereitet worden. Es kam nicht einmal von uns, sondern wurde von Ihnen entwickelt. Sie setzen es nicht um, weil Sie nicht den Mut haben, den Leuten zu sagen: Das kostet ein paar Mark dreißig. Die Menschen, die das brauchen, sind uns das wert. Wir speisen sie nicht mit 1 Milliarde ab. - Hinzu kommt, dass man befürchten muss, dass die entsprechenden Mittel am Ende bei den Körperbehinderten weggenommen werden. Sie sollten sagen: Wir nehmen so viel Geld in die Hand, wie gebraucht wird - und nicht nur so viel, wie wir gerade noch übrig haben.

Lassen Sie uns so herangehen: Teilhabe ermöglichen, auch wenn man pflegebedürftig ist, Assistenz und Begleitung gewähren, wenn man sie braucht. Dann wird die Selbstbestimmung wirklich funktionieren.
Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)