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Taubblindheit als Behinderung eigener Art anerkennen – Merkzeichen Taubblindheit ("TBL")

Rede von Ilja Seifert,

Rede zu Protokoll; TOP 39

Erste Beratung des Antrages der SPD „Taubblindheit als Behinderung eigener Art anerkennen – Merkzeichen Taubblindheit („TBl“) einführen, Drucksache 17/11676


Die drei Affen haben – laut Wikipedia - ihren Ursprung in einem japanischen Sprichwort und stehen dort für den vorbildlichen Umgang mit Schlechtem. Der Spruch „nichts (Böses) sehen, nichts (Böses) hören, nichts (Böses) sagen“ ist Bestandteil der Lehre des buddhistischen Gottes Vadjra. Er gelangte vermutlich im 8. Jahrhundert von Indien über China nach Japan und wurde dort als „mizaru, kikazaru, iwazaru“ bekannt.

Während die drei Affen in Japan eigentlich die Bedeutung „über Schlechtes weise hinwegsehen“ haben, werden sie in der westlichen Welt eher als „alles Schlechte nicht wahrhaben wollen“ interpretiert. Aufgrund dieses negativen Bedeutungswandels gelten die drei Affen daher häufig als Beispiel für mangelnde Zivilcourage.

Was aber haben nun die drei Affen mit dieser Debatte zur Taubblindheit zu tun?

Vor genau acht Monaten, am 29. März 2012 gab es ein Fachgespräch mit dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dem Behindertenbeauftragten bei der Bundesregierung und taubblinden Menschen und ihren Organisationen zur Lebenssituation von taubblinden Menschen. Und die Bundesregierung erhielt die Forderung zur Einführung eines Merkzeichen „TBl“ – eine Initiative der Betroffenen, die mit 14.000 Unterschriften unterstützt wurde.

Immerhin, es geht um die nicht gerade einfache Lebenssituation von bundesweit ca. 6.000 Menschen, die weder sehen noch hören können, und deren Angehörige. Diese Menschen haben auf Grund des Verlustes zweier Sinnesorgane riesige Probleme bei der Kommunikation, beim Zugang zu Bildung, Arbeit und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Sie sind auf qualifizierte Assistenz und spezielle Hilfsmittel angewiesen. Insofern geht es nicht nur um ein neues Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis, sondern um Anerkennung der Besonderheiten, die aus der Taubblindheit resultieren. Dies ist die Voraussetzung für wirkungsvolle Hilfen und Nachteilsausgleiche.

Natürlich kann man nicht beliebig viele Merkzeichen auf dem Schwerbehindertenausweis vermerken. Das geht weder aus Platzgründen, vor allem sieht dann niemand mehr durch. Aber eins und eins ist nicht immer zwei. Auch nicht in der Chemie. Wenn man zwei Substanzen vermischt, entsteht manchmal eine dritte Substanz mit völlig anderen Qualitäten. Und das wirkliche Leben hat es bewiesen: Es reicht ebenso nicht, wenn die Merkzeichen für „blind“ (Bl) und „gehörlos (GL) nebeneinander stehen.

Drei Wochen nach dem Fachgespräch, am 17. April 2012 antwortete der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Brauksiepe (CDU) auf meine zwei Fragen zu den Erkenntnissen und Schlußfolgerungen aus dem Fachgespräch für die Bundesregierung. In der Antwort heißt es: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat mit dem Fachgespräch die Erwartung verbunden, aus erster Hand zusätzliche Informationen über die Lebenssituation taubblinder Menschen zu gewinnen. Diese Erwartung hat sich erfüllt. Deutlich wurde einerseits, welche Herausforderungen Menschen zu meistern haben, die sowohl seh- als auch hörbehindert sind und die deshalb Einschränkungen bei der Nutzung des einen Sinnes nicht oder nur ansatzweise durch die Nutzung des anderen Sinnes kompensieren können. … Das BMAS hat … zugesagt, mit den … Ländern zu erörtern, … ob dafür ein eigenes Merkzeichen erforderlich ist.“ (Drucksache 17/9352)

Diese Antwort ließ hoffen, daß sich nicht nur die Erwartungen der Bundesregierung, sondern auch die der Betroffenen erfüllen. Aber nichts geschah.
Spätestens seit Vorliegen der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Grünen („Zur Lage hörbeeinträchtigter Menschen in Deutschland“, Drucksache 17/10371 vom 23. Juli 2012) war klar, daß die Erwartungen der taubblinden Menschen und ihrer Angehörigen nicht (sobald) erfüllt werden. Anstatt zu handeln, wird der Schlußbericht eines vom Sozialministerium in NRW in Auftrag gegebenes Gutachten abgewartet. Und dieser Bericht soll Mitte 2013 vorliegen. Das heißt, vor der Bundestagswahl will die Bundesregierung nichts mehr tun. Es soll eine Aufgabe für die kommende Regierung, frühestens im Jahr 2014, bleiben.

Deswegen danke ich der SPD für diesen Antrag, den DIE LINKE unterstützen wird. Taubblinde Menschen brauchen das Merkzeichen „TBl“ jetzt. Sie brauchen eine bedarfsgerechte sowie einkommens- und vermögensunabhängige Teilhabesicherung, vor allem durch qualifizierte Assistenz – so, wie es DIE LINKE mit ihrem Antrag für ein Teilhabesicherungsgesetz vorschlug. Sie brauchen (nicht nur in den Verwaltungen) im Umgang mit taubblinden Menschen aufgeklärte und sachkundige Partnerinnen und Partner. Und sie brauchen auch eine bedarfsgerechte Versorgung mit Hilfsmitteln.
Übrigens: Das hier gezeigte Vorgehen der Bundesregierung kenne ich zur Genüge, zum Beispiel im Umgang mit den durch Contergan geschädigten Menschen. Auch hier geht es nur um ein paar Menschen mit Behinderungen, nicht um milliardenschwere Rettungspakete für Banken und deren Eigentümer. Also läßt man sich Zeit – auf dem Rücken der Betroffenen.

Die Frage, wer die drei Affen sind, die „alles Schlechte (in ihren Gesetzen und ihrem Handeln) nicht wahrhaben wollen“, beantwortet sich hier von selbst.