Zum Hauptinhalt springen

Stichtagsverschiebung des Stammzellgesetzes ist verantwortbare Lösung

Rede von Petra Sitte,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

„Behutsame Novellierung des Stammzellgesetzes ist die Fortschreibung des Stammzellkompromisses“, haben René Röspel und andere ihren Antrag überschrieben. In der Tat gibt dieser Antrag wie auch der von Frau Flach und anderen eingebrachte Gesetzentwurf der medizinischen Stammzellforschung in Deutschland eine Perspektive. Beide Richtungen belassen es trotz Stichtagsveränderung bei den weltweit strengsten Auflagen zur öffentlichen Kontrolle und gegen eine Kommerzialisierbarkeit dieser Forschung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP)

Es handelt sich daher nicht um eine Ausweitung der Stammzellforschung, wie immer wieder zu hören ist; vielmehr geht es um die Suche nach neuen Heilungschancen, ergänzend zu herkömmlichen Therapien. Das heißt, die Stammzellforschung wird fortgesetzt. Am Ende eines zugegebenermaßen langen Forschungsweges soll eine auf den einzelnen Patienten oder die einzelne Patientin zugeschnittene Behandlung von solchen Krankheiten wie Parkinson und Alzheimer oder des Herzinfarktes stehen. Solange diese Forschungen nicht umfassend geschehen sind, diese Chancen nicht seriös erforscht worden sind, könnte ich persönlich niemandem erklären, weshalb die medizinische Stammzellforschung in Deutschland erheblich eingeschränkt wird.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP)

Darauf liefe aber eine Beibehaltung des alten Stichtages, wie in dem von Frau Hinz und anderen eingebrachten Gesetzentwurf gefordert, hinaus. In dem von Herrn Hüppe und anderen eingebrachten Gesetzentwurf wird diese Forschung faktisch verboten. Nun wird gesagt, die Stammzellforschung solle sich auf alternative, ethisch unbedenkliche Methoden der Gewinnung von Stammzellen konzentrieren. Es wird auf adulte Stammzellen oder auf reprogrammierte adulte Stammzellen verwiesen. Auch ich glaube, dass darin langfristig die Zukunft von Stammzelltherapien liegt. Ob die Erwartungen zu erfüllen sind, ist aber nicht ohne vergleichende Forschung an embryonalen Stammzellen einzuschätzen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP)

Dabei könnten die weltweit etwa 500 vorhandenen embryonalen Stammzelllinien helfen. Bliebe es beim alten Stichtag, wären das ist schon mehrfach gesagt worden für die deutsche Forschung eben nur 21 verunreinigte Linien nutzbar. Die so erzielten Ergebnisse sind das wird klar belegt; das hat sich auch in der Anhörung gezeigt unter Umständen verfälscht. Ich verweise allein auf die Schädigungen von Chromosomen. Mit einer Stichtagsverschiebung ließen sich Forschungen aus anderen Ländern zu besonderen Risiken aller Stammzelltypen, insbesondere das Problem der Tumorbildung, vergleichen und ergänzen. Wenn nun eingewandt wird, dass die embryonale Stammzellforschung noch keine klinischen Anwendungen hervorgebracht hat, dann ist das zweifelsohne richtig. Das hat hier auch niemand behauptet. Medizinische Forschungen sind nun einmal so komplex, dass in bestimmten Feldern über Jahrzehnte geforscht wird. Das zeigt der Kampf gegen Aids.

Ich will einfach einmal einwerfen, dass die Medikamentenentwicklung im Durchschnitt 10 bis 15 Jahre dauert. Menschliche embryonale und reprogrammierte Zellen werden frühestens in 15 Jahren klinische Bedeutung erlangen, sagen seriöse Stammzellforscher. Die Zulässigkeit medizinischer Stammzellforschung stand und steht im Zentrum bioethischer Debatten; denn die Zellentnahme führte bislang es gibt, wie gesagt, auch andere Methoden zum Verlust von Embryonen.

Ich meine, der Schutz vorgeburtlichen Lebens und der Menschenwürde einerseits sowie die Hoffnung auf Heilung und die Forschungsfreiheit andererseits müssen immer wieder aufs Neue miteinander in Einklang gebracht werden. Es gibt weder einfache Antworten im Umgang mit menschlichem Leben noch gibt es einen Königsweg zu einer neuen Therapie.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. René Röspel (SPD))

Unsere Rechtsordnung schützt den Embryo in Abhängigkeit von seiner vorgeburtlichen Entwicklungsphase. Das Selbstbestimmungsrecht der Mutter geht unter Umständen dem Lebensrecht des Embryos bzw. Fötus vor. Gleichwohl wird ein drei Tage alter achtzelliger Embryo im Reagenzglas absolut geschützt, obwohl ihm erst mit seiner Einnistung in die Gebärmutter die reale Chance auf Menschwerdung eröffnet wird. Selbstverständlich bedarf es des strengen Schutzes. Zerstörung und Verzweckung des Embryos verhindert das Embryonenschutzgesetz. Dabei bleibt es auch nach einer Stichtagsverschiebung. Das Stammzellgesetz vollzieht aber insoweit eine ethische Abwägung, als es ausnahmsweise für ethisch hochstehende Ziele die Einfuhr und Forschung an bestehenden Stammzelllinien aus dem Ausland erlaubt. Die Befürchtungen von 2002, dass Deutschland den Weg uferloser Embryonenforschung geht, haben sich nicht erfüllt.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP sowie der Abg. Ilse Aigner (CDU/CSU))

Daran haben verantwortungsbewusste Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, ein transparentes Genehmigungsverfahren und die Zentrale Ethik-Kommission für Stammzellforschung einen erheblichen Anteil. Ethisch umstrittene Forschung bedarf öffentlicher Kontrolle und Förderung. Schließlich ist Transparenz das beste Mittel gegen Missbrauch und Kommerzialisierung.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP sowie der Abg. Ilse Aigner (CDU/CSU))

Abschließend: Ich finde, das Bemühen um neue Therapien für kranke Menschen ist ein wichtiges und ein ethisch hochstehendes Ziel. Auch diese Menschen haben ein Recht auf Schutz ihrer körperlichen Unversehrtheit und ihrer Würde. Deswegen stimme ich für eine Verschiebung des Stichtages. Das ist eine behutsame und ethisch verantwortbare Lösung. Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Ilse Aigner (CDU/CSU))