Klaus Ernst (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute sprechen wir die zweite Woche hintereinander über dieses Thema. Trotzdem noch einmal: Um was geht es uns? Es geht uns darum, dass wir die strafbefreiende Selbstanzeige abschaffen wollen. Warum? Es gibt eigentlich in § 370 der Abgabenordnung die klare Regelung: Steuerhinterziehung wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft, in besonders schweren Fällen sogar mit sechs Monaten bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.
Ich weiß nicht, ob das auch Ihnen aufgefallen ist. Mir ist aufgefallen, dass, obwohl wir dauernd von schweren Fällen der Steuerhinterziehung hören, niemand sitzt. Keiner! Offensichtlich gibt es bei uns Möglichkeiten, sich bei Steuerhinterziehung von der Strafe zu befreien, sozusagen die Möglichkeit der Strafhinterziehung. Meine Damen und Herren, ich denke, dass wir dieses Thema sehr ernst nehmen müssen, weil in der Bevölkerung langsam der Eindruck entsteht: Die Großen lässt man laufen, und die Kleinen gehen in den Knast.
Warum ist das so? Warum kann man sich bei Steuerhinterziehung sozusagen der Strafe entziehen? Weil wir die §§ 371und 398 a der Abgabenordnung haben, die besagen, dass es automatisch - das unterscheidet diesen Punkt von vielen anderen - zu keiner Strafe kommt - automatisch! -, wenn der Steuerhinterzieher sich selbst anzeigt, die Steuern nachzahlt - nicht alles, sondern nur für einen bestimmten Zeitraum - und in besonders schweren Fällen 5 Prozent Strafsteuer zahlt. Dann wird von einer Strafverfolgung automatisch abgesehen. Das heißt, man ist auch nicht vorbestraft. Man muss im Gegensatz zu vielen anderen, die eine Straftat begangen haben, vor keinen Richter.
(Zuruf von der CDU/CSU: Zinsen muss man auch zahlen! - Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Steuerschulden muss man ja auch nachzahlen!)
- Ja, Zinsen muss man auch zahlen. Wer die zahlt, wird sich hinterher wahrscheinlich vom Balkon stürzen.
Meine Damen und Herren, da fragt man sich als Bürger natürlich: Ist das eigentlich gerecht? Natürlich fragt sich auch der kleine Ladendieb, der vor den Richter muss: Ist das in Ordnung? Der Verkehrssünder, der Zechpreller, der Kleinkriminelle, alle fragen sich: Ist das eigentlich okay? Auch wenn es um relativ geringe Beträge geht, müssen sie zumindest vor den Richter. Der Richter hat dann die Möglichkeit, zu entscheiden: Ist das ein ganz besonders schlimmes Vergehen? Muss der in den Knast oder nicht? - Bei Riesenbeträgen greift aber die Automatik, dass man sich nicht einmal für seine Tat zu verantworten hat.
Meine Damen und Herren, unser Antrag will - deshalb stellen wir ihn - wieder Gleichheit vor dem Recht für alle Bürger herstellen; das ist das Ziel unseres Antrags. Das haben wir gegenwärtig nämlich nicht. Genau aus diesem Grund erscheint die Straftat Steuerhinterziehung dem Bürger nach wie vor als Kavaliersdelikt. Ich habe in der letzten Woche viele Reden gehört, in denen es hieß: Ja, aber wir wollen nicht, das ist kein Kavaliersdelikt.
(Margaret Horb (CDU/CSU): Das haben wir gar nicht gesagt!)
Durch die Straffreiheit machen wir Steuerhinterziehung jedoch zum Kavaliersdelikt. Deshalb müssen wir das Ganze ändern.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir schlagen vor, die Strafbefreiung bei Selbstanzeige abzuschaffen; dann ist alles wieder im Lot und jeder wird gleich behandelt.
Ich freue mich, dass der Kollege Andreas Schwarz von der SPD in der Debatte letzte Woche gesagt hat:
Wer trotz der aktuellen Debatte künftig Steuern hinterzieht und somit den Bürgerinnen und Bürgern in unserem Land Schaden zufügt, der sollte sich nicht mehr auf Strafbefreiung verlassen dürfen.
Genau darum geht es. Dann kann der Richter abwägen, wie schwer die Straftat eigentlich ist; aber es gibt keine Automatik mehr. Herr Schwarz hat eine Übergangsfrist für das Auslaufen der aktuell gültigen Regelung vorgeschlagen. Das kann man machen für eine bestimmte Zeit; aber dann muss Schluss sein.
Natürlich müssen wir Bagatellen regeln: Wenn einer bei seiner Steuererklärung eine Frist nicht eingehalten hat, ist das sicherlich anders zu werten, als wenn einer Millionenbeträge hinterzogen hat.
Über einige Argumente in der letzten Debatte habe ich mich gewundert, meine Damen und Herren. Hans Michelbach hat letzte Woche gesagt:
Es ist nicht verboten, Geld im Ausland anzulegen.
Der ist aber schlau! Als wäre es in der Debatte darum gegangen, dass man kein Geld mehr im Ausland anlegen dürfe. Also, mit welcher Ernsthaftigkeit manchmal die Debatten hier geführt werden, da dreht es einem ja wirklich langsam den Magen um. Dann hat er gesagt:
Damit wären wir beim eigentlichen Thema der heutigen Aktuellen Stunde. Diese Debatte mit der Attitüde des Klassenkampfes zu führen …
Also wenn man fordert, dass sich bitte schön auch Steuersünder vor dem Kadi zu verantworten haben, dann ist das schon Klassenkampf? Für jemanden, der so denkt, muss dann eine Ansammlung von drei Bürgern mit Plakaten schon Bürgerkrieg sein. Da kann ich wirklich nicht mehr folgen, meine Damen und Herren.
(Antje Tillmann (CDU/CSU): Ich dachte, Sie wollten eine sachliche Debatte führen! Mann, Mann, Mann!)
‑ Dann gehen Sie einmal zu Herrn Michelbach; er hat die Debatte so begonnen.
(Antje Tillmann (CDU/CSU): Ich denke, ich höre Sie jetzt!)
Herr Graf Lerchenfeld, ich habe auch Ihnen genau zugehört. Sie haben gesagt, auch Brandstifter könnten Strafbefreiung bekommen: wenn sie löschen. Das Einzige, was mir an diesem Argument gefällt, ist, dass Sie Steuerhinterzieher mit Brandstiftern vergleichen. An diesem Vergleich ist was dran: Das eine betrifft vielleicht ein Häuschen, das andere das Klima in der Gesellschaft. Sie haben jedoch vollkommen vergessen, darauf hinzuweisen, dass derjenige, der ein Haus angezündet hat, sich in jedem Fall vor einem Richter verantworten muss, der prüft, ob er auch anständig gelöscht hat und nicht nur ein wenig gespritzt hat. Genau das ist das Problem bei der strafbefreienden Selbstanzeige: Kein Richter prüft, was der Steuerhinterzieher eigentlich wirklich gemacht hat.
Meine Damen und Herren, warum hat sich denn Herr Hoeneß angezeigt, Herr Graf Lerchenfeld? Weil er tätige Reue zeigen wollte? War es tätige Reue bei Herrn Hoeneß? Herr Graf, das kann doch nicht Ihr Ernst sein! Herr Hoeneß hat sich angezeigt, weil er aufgeflogen war. Er hat zu diesem Mittel gegriffen, um sich letztendlich vor dem Knast zu retten. Vielleicht gelingt ihm das jetzt nicht - das ist eine andere Frage -; aber das war sein Motiv. Mit der Strafbefreiung bei Selbstanzeige hat das nur insofern etwas zu tun, als dass sie dazu beigetragen hat, dass der Fall in die Öffentlichkeit kam.
Ein letztes Argument; dann bin ich auch gleich fertig, Frau Präsidentin.
Vizepräsidentin Claudia Roth:
Ja - ein letztes!
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Da ging es um die Frage „Volle Kassen statt voller Gefängnisse“. Wenn das im Strafrecht zu Ihrem Prinzip wird, dann bin ich gespannt darauf, wie unser Land künftig aussieht.
Ich sage zum Schluss: Wir brauchen Rechtsgrundsätze, die für alle gelten, und wir brauchen ein Klima in unserem Land, das so beschaffen ist, dass es den reicheren Bürgern auch nicht gelingt, sich von Strafverfolgung freizukaufen ‑ so wie es jetzt Tatbestand ist.
(Beifall bei der LINKEN - Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): Ach nein! - Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Wir sind alle gleich!)