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Foto: Rico Prauss

Sterben in Menschenwürde, selbstbestimmt und frei

Rede von Susanna Karawanskij,

Abschließende Beratung zur Regelung der Sterbebegleitung 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste!

Ein Leben in Menschenwürde zu führen, führen zu können und vor allem Dingen auch führen zu dürfen, ist ein alter Menschheitstraum. Daher wird der Begriff „Menschenwürde“ gerne zu großen Anlässen, feierlichen Gelegenheiten oder eben auch bei grundsätzlichen Fragen wie die, vor der wir heute stehen, herangezogen und zur Letztbegründung der eigenen Argumentation genutzt.

Dass wir am heutigen Tag die verschiedenen Vorschläge alle auch unter dem Aspekt des Lebens in Menschenwürde - und des Sterbens als dessen letzte Phase - besprechen, zeigt, dass es mit solchen großen Begriffen wie der Menschenwürde doch nicht ganz so einfach ist. Denn darüber, was der Mensch ist und was ihm zukommt, wird sehr unterschiedlich gedacht. Ob er beispielsweise Bestandteil einer, sagen wir, Schöpfungsgeschichte, einer Evolutionsgeschichte oder - auch das ist möglich - von beidem ist, lässt ganz verschiedene Perspektiven auf uns und damit auch darauf zu, was denn unsere Würde sei.

Für mich ist der Begriff der Menschenwürde aufs Engste mit der Frage der Selbstbestimmung und des selbstbestimmten Lebens verbunden. Auch dieser Punkt kann nicht sinnvoll ahistorisch oder überzeitlich betrachtet werden. Die grundsätzliche Möglichkeit von uns Frauen, selbst darüber zu bestimmen, ob und wann wir Kinder zur Welt bringen wollen, zum Beispiel ist ganz klar erst jüngeren Datums. Sie ist - wir wissen das - keinesfalls überall gegeben. Auch die Möglichkeit, vielen Krankheiten entgegenzutreten, die noch vor 200 Jahren zu furchtbaren Epidemien führten und ganze Landstriche entvölkerten, lässt uns einen kleinen Schritt aus den vermeintlichen Gegebenheiten einer doch so grausamen Natur heraustreten.

Dass wir mit einer ganzen Reihe sozialer und medizinischer Maßnahmen die Kindersterblichkeit auf ein in der Menschheitsgeschichte nie gekanntes niedriges Niveau senken konnten, lässt die Chance für jedes geborene Leben, zur Selbstbestimmung heranzureifen, enorm steigen. Auch auf diesem Gebiet wissen wir um die regionale Beschränktheit dieser Erfolge und darum, dass ganze Kontinente kaum an ihr teilhaben können.

Selbstbestimmt in Menschenwürde zu leben, heißt für mich, nicht zu kapitulieren vor vermeintlichen Unveränderlichkeiten oder vor einem „Das war schon immer so“. Wäre dies unser Grundsatz, würden wir heute noch unter furchtbarsten Bedingungen leben. Alle Freiheit, die wir haben, wurde erkämpft und im Widerstand gegen Verhältnisse errungen, die anders waren. Dies gilt meiner Auffassung nach auch für ein Sterben in Menschenwürde, nämlich selbstbestimmt und in Freiheit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir schaffen es, unsere Lebenserwartung immer höher zu schrauben, aber nicht, Verfall und Sterben aufzuhalten. Zu spekulieren, was uns die Zukunft bringen mag, verbietet an dieser Stelle meines Erachtens der gesunde Menschenverstand.

Wir müssen heute entscheiden, inwieweit wir ein Ende des Lebens in Menschenwürde - einer Menschenwürde, die von Selbstbestimmung und Freiheit ausgeht - möglich machen wollen. Der Gesetzentwurf von Renate Künast und Petra Sitte hat diesen Zusammenhang als Grundannahme, die im Übrigen - das wurde auch schon mehrfach gesagt - von weiten Teilen der deutschen Bevölkerung, nämlich von 80 Prozent der Menschen im Land, geteilt wird.

Und noch eines möchte ich ansprechen: Die Menschenwürde, die Selbstbestimmung und die Freiheit, die hinter diesem Gesetzentwurf stehen, kommen allen Menschen gleichermaßen zu, und deshalb wollen wir nicht, dass daraus ein Gewinnmodell wird.
Ich spreche mich ganz klar gegen eine Kommerzialisierung, also ein gewerbsmäßiges Anbieten sterbebegleitender Hilfeleistungen, aus. Denn in unserer Gegenwart ist die gleiche Freiheit für alle vor allem dann nicht Wirklichkeit, wenn sie als Marktteilnehmer aufzutreten gezwungen sind. Der eine hat vielleicht nicht mehr als seine eigene Haut zum Markte zu tragen, während der andere das Erbe ganzer Generationen verprassen kann.

Da heute viele Philosophen und andere Denker zitiert worden sind, will ich in diesem Zusammenhang Hans Albers zitieren: „Das letzte Hemd hat leider keine Taschen“. Und zumindest darin sind wir alle gleich.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)