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Staatsgarantie für die Sozialversicherungen - Kürzungen bei Sozialleistungen auch nach der Wahl ausschließen

Rede von Klaus Ernst,

Die Bundesregierung gibt 480 Milliarden Euro für die Rettung der Banken aus. Dann muss sie auch bereit sein, den Menschen zu garantieren, dass auch nach der Wahl keine keine Kürzungen von Sozialleistungen vorgenommen werden - genau dazu fordert DIE LINKE die Bundesregierung auf (Antrag Drs. 16/12857). In seiner Rede warnt Klaus Ernst vor: "Die Bürger dieses Landes werden es ernst nehmen, ob sie tatsächlich bereit sind, eine Sozialstaatsgarantie abzugeben (...) Wenn Sie das nicht tun, wissen die Bürger, dass Sie nach der Bundestagswahl im September die Rechnung für das präsentieren werden, was Sie jetzt noch verschleiern."

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wieder einmal beschäftigen wir uns mit der Wirtschaftskrise in unserem Land. Allmählich werden die wahren Ausmaße dessen bekannt, was sich in unserem Land abspielt, und die wahren Zahlen werden offenkundig. Dem Gemeinschaftsgutachten der Wirtschaftsforschungsinstitute zufolge haben wir im ersten Halbjahr 2009 mit einem negativen Wachstum - also mit dem Abbau der Wirtschaftsleistung - von 7,2 Prozent und im zweiten Halbjahr mit einem Minus von 4,8 Prozent zu rechnen.

Was macht die Bundesregierung, und was macht die Kanzlerin? Im Fernsehen wurde uns eine Garantie für die Spareinlagen verkündet. Wir haben einen Schutzschirm für die Banken mit einem Volumen von 480 Milliarden Euro beschlossen. Wir erleben gleichzeitig die Konzeptionslosigkeit bei dem Versuch, einzelne Unternehmen zu retten. Einerseits wird eine Bank wie die Commerzbank mit staatlicher Unterstützung am Leben erhalten, um die Einlagen der Aktionäre zu sichern. Andererseits haben wir die Streiterei der Bundesregierung über die Frage, wie mit Opel zu verfahren ist, und eine absolute Konzeptionslosigkeit und Handlungsunfähigkeit gegenüber Arcandor erlebt. Wir haben ein Konjunkturprogramm von circa 25 Milliarden Euro bezogen auf das Jahr, während sich das Bruttoinlandsprodukt um voraussichtlich 6 Prozent verringern wird.

All das wird nicht einmal ansatzweise reichen, um die Probleme in unserem Lande zu lösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch. Gegenwärtig wird das alles noch überdeckt. Es wird nicht offensichtlich, weil richtigerweise die Kurzarbeiterregelungen ausgedehnt wurden. Das befürworten wir ausdrücklich. Aber wie lange kann das Instrument der Kurzarbeit Ihrer Meinung nach noch helfen? Wir müssen davon ausgehen, dass sich in den nächsten Monaten und insbesondere nach der Bundestagswahl die Arbeitsmarktsituation dramatisch verändern und es in unserem Land zu einer steigenden Zahl von Arbeitslosen kommen wird, die die Situation in den letzten Jahren in den Schatten stellt.

Wir wissen auch, wie der Anstieg der Arbeitslosenzahlen zustande kommen wird. Die ersten, die in der Krise ihren Job verloren haben und nicht mehr durch irgendeine Form von Kurzarbeit vor Hartz IV geschützt sind, sind die Leiharbeiter. Bei Opel droht trotz aller Rettungsversuche der Abbau von Arbeitsplätzen. Auch beim Unternehmen Schäffler ist mit einem Arbeitsplatzabbau zu rechnen. Bei meinem Besuch in Schweinfurt gestern wurde deutlich, dass auch in der EDV-Industrie inzwischen ein dramatischer Abbau von Arbeitsplätzen angedacht wird, dem nicht durch irgendeine Form von Kurzarbeit begegnet werden soll.

Die Zahl der Pleiten steigt. Das daraus entstehende Problem müsste jedem zu denken geben. Wir werden erleben, dass die Sozialversicherungen dramatische Finanzierungsprobleme bekommen werden. Die Einnahmen werden sinken, weil es weniger Beitragszahler gibt, während die Ausgaben zum Beispiel der Bundesagentur für Arbeit steigen werden, weil sie die arbeitslosen Menschen finanzieren muss.

(Widerspruch des Abg. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU))

Ich weiß nicht, warum Sie den Kopf schütteln, Herr Weiß. Glauben Sie, die kriegen ihr Geld vom Weihnachtsmann?

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU))

Selbstverständlich werden die Einnahmen sinken und die Ausgaben steigen. Das ist die Realität. Man muss schon auf einem anderen Stern leben, wenn man das nicht zur Kenntnis nimmt.

Ich frage Sie alle, wie Sie dem Problem begegnen wollen. Was haben Sie vor? Was wollen Sie in der Situation sinkender Einnahmen und steigender Ausgaben machen, um den Menschen die Sicherheit zu geben, dass ihre Existenz nicht bedroht wird, wenn die Arbeitslosigkeit zunimmt? Was haben Sie dazu für Vorschläge?

Der einzige Vorschlag, der zurzeit durch die Welt geistert, ist die Sicherung der Renten. Das ist gut und schön. Sie sollen nicht sinken. Ehrlicherweise müssten Sie aber dazusagen, dass die Renten in den nächsten vier oder fünf Jahren nicht mehr steigen werden. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Damit ist Ihr Konzept offengelegt, wie Sie die Krise bewältigen wollen. Nach Ihrer Vorstellung sollen die Menschen, die nichts mit den Ursachen der Krise zu tun haben - nämlich die Beschäftigten, die Rentner und die Arbeitslosen - für die Krise zahlen und sie bewältigen. Das ist eigentlich Ihr Konzept. Das macht die Konzeptionslosigkeit, in der Sie sich befinden, deutlich.

Das Handelsblatt schreibt am 27. April 2009: "Allein bei der Arbeitslosen- und bei der Krankenversicherung addieren sich Fehlbeträge von bis zu 50 Mrd. Euro bis Ende kommenden Jahres."

1,1 Millionen Kurzarbeiter kosten circa 9 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?

Jetzt will die Kanzlerin Mehrwertsteuererhöhungen ausschließen. Das ist ja klasse. Das hatten wir doch schon einmal, auch vonseiten der Sozialdemokraten. Ich habe die alten Flugblätter dabei, auf denen stand: "Merkel-Steuer, das wird teuer." Oder: "Ich kann mir Angela Merkel nicht leisten." Oder: "Ich koste 2 Prozent mehr." Das war vor der Wahl. Nach der Wahl waren es dann aber 3 Prozent.

Vor der letzten Wahl haben die Sozialdemokraten gesagt: Es wird keine Heraufsetzung des Renteneintrittsalters geben. Jetzt liegen wir bei einem Renteneintrittsalter von 67 Jahren. Glauben Sie denn, dass das, was Sie in Ihre Wahlprogramme schreiben, von der Bevölkerung wirklich ernst genommen wird?

(Beifall bei der LINKEN Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das kann man gar nicht ernst nehmen!)

Dagegen sind die Münchhausen-Geschichten eine Ausgeburt an Wahrheit. Glauben Sie tatsächlich, dass Sie noch jemand ernst nimmt, wenn Sie sagen, dass Sie eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließen? Glauben Sie wirklich, dass Ihnen das jemand in dieser Republik, angesichts dessen, wie Sie mit den Bürgern in den letzten vier Jahren umgegangen sind, abnimmt? Wenn sich Herr Müntefering hinstellt und sagt, er findet es unfair, dass er an das erinnert wird, was er vor der Wahl gesagt hat, dann weiß doch der Bürger, dass er den Politikern überhaupt nicht trauen kann.

(Beifall bei der LINKEN Hans-Joachim Fuchtel (CDU/CSU): Lafontaine! Dem kann man vertrauen!)

Ich weiß nicht, warum Sie sich so echauffieren. Es war doch letztendlich auch Ihre Partei, die sich an das, was sie vor der Wahl gesagt hat, nicht mehr erinnert. Inzwischen schreiben Sie sogar bei den Linken ab, was Sie vorher als populistisch bezeichnet haben, zum Beispiel bei der Kilometerpauschale.

(Lachen der Abg. Waltraud Lehn (SPD))

Sie müssten an dieser Stelle ganz ruhig sein; das wollte ich Ihnen einmal sagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Weil Ihnen die Bürger nicht mehr trauen können, haben wir einen Antrag vorgelegt, der ganz einfache Sätze enthält, die eigentlich jeder hier verstehen müsste.

(Lachen der Abg. Waltraud Lehn (SPD) Anton Schaaf (SPD): In der Tat!)

Ich weiß, dass Sie es mit dem Einfachen nicht so haben. Ich möchte es Ihnen aber einmal vorlesen, vielleicht macht es dann für Sie Sinn: "Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, ... Kürzungen der sozialen Leistungen für die nächsten vier Jahre verbindlich auszuschließen; ..."

(Anton Schaaf (SPD): Warum denn nicht für immer?)

- und - "für die aufgrund der Wirtschaftskrise entstehenden Defizite der Sozialversicherungen mit einer Staatsgarantie zu bürgen."

Was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich alle Parteien hier im Bundestag verpflichten,

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Haben Sie die Sozialgesetze mal gelesen?)

eines in dieser Krise nicht zu machen: dass wir, wenn die Rechnung nach der Bundestagswahl präsentiert wird, die Bürger zur Kasse bitten, dass wir die zur Kasse bitten, die von Sozialleistungen leben müssen, dass wir die Rentner zur Kasse bitten

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Wir entlasten den Bürger!)

und dass wir schließlich die Arbeitslosenversicherungsleistungen kürzen. Das ist eine klare Ansage,

(Beifall bei der LINKEN)

die bewirken würde, dass die Menschen in unserem Land das, was wir sagen, ansatzweise ernst nehmen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie kann man nicht ernst nehmen!)

Ich gehe davon aus, dass Sie unseren Antrag ablehnen werden. Sie werden sagen: Das ist purer Populismus. - Das sagen Sie aber zu allem. Hinterher schreiben Sie es dann aber ab. Das beeindruckt mich nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihnen sagen: Die Bürger dieses Landes werden ernst nehmen, ob Sie tatsächlich bereit sind, eine Sozialstaatsgarantie abzugeben, und ob Sie bereit sind, vor der Wahl zu erklären: Nein, es gibt keine Sozialkürzungen.

(Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Sie nehmen Sie aber nicht ernst!)

Wenn Sie das nicht tun, wissen die Bürger, dass Sie nach der Bundestagswahl im September die Rechnung für das präsentieren werden, was Sie jetzt noch verschleiern. Das ist die Wahrheit.

Ich danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Ohne uns! Ohne die Linke! Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Dümmer geht es nimmer! Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir müssen noch beten, dass das nicht im Ausschuss beraten wird!)