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Staatsfinanzen von Finanzmärkten entkoppeln

Rede von Klaus Ernst,

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Brüderle, ich habe den Eindruck, Ihnen wird gerade dazu gratuliert, dass Sie Ihre eigenen Leute auf Linie bringen.

(Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Genau!)

Offensichtlich sind die Widersprüche in Ihrer eigenen Regierungsfraktion mindestens so groß wie die, die gegenwärtig in der Bevölkerung vorhanden sind. Ich sage Ihnen eines: Wenn Ihnen die Bürger draußen zuhören, wie Sie hier in regelmäßiger Wiederkehr vertreten, dass Hunderte von Milliarden Euro für Bankenrettungen beschlossen werden, dann halten sie sich inzwischen bei jedem Ihrer Worte die Geldbörse zu; denn sie wissen, dass sie letztendlich für das zu zahlen haben, was Sie hier vertreten, Herr Brüderle. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sagen Nein zu dem, was Sie hier vorlegen. Ich will Ihnen sagen, warum.

Erstens. Sie retten mit diesem Gesetz weder den Euro noch die Europäer. Einzig und allein die Banken, die Versicherungskonzerne, die Hedgefonds und die Finanzinvestoren werden gerettet, und das einmal mehr, nicht zum ersten Mal.

Zweitens. Wir sagen Nein zu diesem Gesetz, weil Sie nichts gegen die Ursachen der Wirtschaftskrise unternehmen. Die Ursachen liegen nämlich bei den Zockerbuden. Die Ursachen liegen in diesem Bankensystem. Die Ursachen liegen in nicht regulierten Finanzmärkten. Da hat diese Regierung nichts getan, um auch nur eine wirkliche Maßnahme zu beschließen. Dafür sind Sie mit verantwortlich, Herr Brüderle.

(Beifall bei der LINKEN)

Drittens. Wir sagen Nein, weil dies eine beispiellose Selbstentmachtung des Parlaments ist. Die Mehrheit dieses Hauses streitet wochenlang um 5 Euro mehr für die Menschen mit Arbeitlosengeld II Bezug; das ging wochenlang, monatelang und sogar bis zum Vermittlungsausschuss. Wenn es hier um 90 Milliarden zur Erweiterung des Rettungsschirms geht, stellt die Regierung sogar die Frage, in welcher Weise das Parlament überhaupt beteiligt werden muss. Meine Damen und Herren, das versteht draußen bei den Bürgern dieses Landes kein Mensch mehr, und das zu Recht.

(Beifall bei der LINKEN)

Viertens. Wir sagen Nein, weil sich Ihre Strategie der Euro-Rettung auf einen einfachen Nenner bringen lässt, und der heißt: Milliarden für die Banken, für die Versicherungen, für die Hedgefonds, auf der anderen Seite Sozialkürzungen bei den Menschen nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in den Ländern, die Sie angeblich retten wollen.

(Zuruf von der FDP: Sie haben nichts verstanden!)

Wenn es darum geht, wie Ihre Rezepte wirken, so ist Griechenland das beste Beispiel: 4,5 Prozent Minuswachstum 2010 , weitere 5 Prozent Minuswachstum 2011. Wissen Sie, was das bedeutet? Sie kommen mir vor wie ein Arzt, der einem Patienten Medikamente gibt, und der, wenn der Patient das nächste Mal kommt und schon hereinkriecht, weil er gar nicht mehr stehen kann, sagt: Wir erhöhen die Dosis. Wie lange wollen Sie denn die Dosis erhöhen? Bis Europa gänzlich gescheitert ist? Das ist Ihr Konzept, das Sie anderen Leuten, anderen Ländern aufdrängen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir sitzen heute hier als Anwälte der Bürger. Die Bürger haben Angst um ihr Geld, und diese Angst haben sie zu Recht. Drei Jahre nach der Lehman-Pleite stehen wir vor der nächsten Bankenkrise. Immer neue Rettungsschirme werden aufgespannt. Seit dem Ausbruch der Finanzkrise sind die gesamtstaatlichen Schulden durch Stützungsmaßnahmen zugunsten der Finanzinstitutionen bei uns in der Bundesrepublik in den Jahren 2008, 2009 und 2010 um 315 Milliarden Euro gestiegen. Allein auf die Bad Banks entfallen nach Aussagen der Bundesregierung 190 Milliarden Euro. Die war, wie Sie wissen, bis vor kurzem noch eine Privatbank, die sie dann verstaatlichen mussten. So viel dazu, Herr Brüderle, da Sie sich gerade so über die Landesbanken erregt haben. Sie haben die falschen Konzepte, und Sie haben vor allem durch Zaudern geglänzt. Sie verstärken bei den Bürgern den Eindruck, dass diese Regierung der Krise nicht gewachsen ist, und dieser Eindruck täuscht nicht.

Lassen sie mich zu den wirklichen Ursachen der Krise kommen. Wer diese Krise nur als Schuldenkrise bezeichnet, hat sie nicht verstanden.

Was die erste Ursache betrifft wir haben gerade darüber gesprochen; auch mein Kollege Gabriel: Wie verhält es sich denn eigentlich mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz?

(Zuruf von der FDP: Sie und Gabriel Hand in Hand!)

Zahlen lügen nicht. Wir haben in den zehn Jahren von 2000 bis 2010 Handelsbilanzüberschüsse von 1 552 Milliarden Euro erzielt. Das ist der Saldo. Das heißt, wir haben in dieser Größenordnung mehr verkauft, als wir importiert haben. In dem Stabilitätsgesetz, über das wir gerade gesprochen haben, geht es u.a. um die Stabilität des Preisniveaus. Es geht um einen hohen Beschäftigungsstand und um ich zitiere „außenwirtschaftliches Gleichgewicht“. Erklären Sie mir doch einmal Frau Merkel ist ja nicht mehr da, wie Sie eigentlich diese 1 552 Milliarden Euro Außenhandelsüberschuss mit diesem Gesetz in Einklang bringen wollen. Sie haben die staatliche Politik auf eine einseitige Steigerung der Exporte ausgerichtet und haben nicht berücksichtigt, dass Sie damit alle anderen Länder an die Wand drücken. Sie haben im Ergebnis dieser Politik erreicht, dass sich die anderen Ländern verschulden müssen; denn eines ist doch klar: Wer ständig mehr verkauft, als er kauft, muss nach dem Gesetz der Logik davon ausgehen, dass den Käufern irgendwann das Geld ausgeht und damit auch die wirtschaftliche Puste. Bei den anderen Ländern hat unser Exportüberschuss zu einem Berg von Schulden geführt. In einem vereinten Europa das müssen Sie sich einmal hinter die Ohren schreiben gilt der einfache Satz: Unsere Überschüsse sind die Schulden der anderen. Deshalb müssen wir es politisch so gestalten, dass unsere Überschüsse durch mehr Importe reduziert werden. Das geht nur durch höhere Löhne, höhere Renten und nicht durch Ihr Lohndumping.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Ihr Lohndumping führte letztendlich dazu, dass es in der Bundesrepublik Deutschland seit dem Jahr 2000 ein Reallohnminus von 4 Prozent gibt. Auf der anderen Seite sind die Exporte und die Gewinne der großen Konzerne gestiegen. Deshalb erinnere ich Sie an eine weitere einfache Formel, die im Finanzkapitalismus gilt: Der den Arbeitnehmern vorenthaltene Lohn ist das Spielgeld der Spekulanten. Mit Ihrer Lohndumpingpolitik in dieser Republik haben Sie die Krise erst ermöglicht, weil Sie dadurch die Kapitalakkumulation an den Finanzmärkten hervorgerufen haben
.
(Beifall bei der LINKEN)

Zum Dritten: Sie haben nichts getan, um die Entfesselung der Finanzmärkte einzudämmen. Ich zitiere aus der Financial Times von gestern. Dort heißt es:

Die Bilanzsumme des britischen Bankensektors,

(Otto Fricke (FDP): Auf die haben wir ja wohl keinen Einfluss!)

die ein Vielfaches des BIPs ausmacht, dient nur zu zehn Prozent der Kreditvergabe an die Industrie. Die Deutsche Bank begnügte sich 2010 mit 4,1 Prozent ihrer Bilanzsumme, um sie an Handel, Gewerbe und gewerbliche Immobilienfinanzierung auszureichen …
Was heißt das? Das heißt, dass die Banken ihrer eigentlichen Aufgabe nicht gerecht werden, nämlich die Realwirtschaft mit Krediten zu versorgen. Jetzt frage ich Sie: Was haben Sie eigentlich gemacht, um das wieder ins Lot zu bringen?

(Beifall bei der LINKEN)

Was haben Sie gemacht? Nichts haben Sie gemacht. Sie sind weiter auf dem Trip, die Banken zu stützen, obwohl diese die Verursacher der Krise sind.

Das vierte Problem, das mit zu erwähnen ist, ist, dass die Staaten, die vorher die Banken gerettet und die Finanzmärkte stabilisiert haben, sich nun selbst an den Finanzmärkten zu hohen Zinsen verschulden müssen. An diesem Punkt erkennen Sie eines nicht: Wir müssen die Finanzierung der Staaten von der Spekulation und von den Finanzmärkten loslösen.

(Otto Fricke (FDP): Ja, wie macht man das?)

Wenn Sie das nicht machen, werden wir uns damit in zwei bis drei Monaten wieder befassen müssen. Dann werden wir weiteres Geld der Bürger ausgeben müssen, und das alles nur, weil Sie nicht bereit sind, die richtigen Maßnahmen zu treffen, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen nun, was notwendig wäre, um tatsächlich die Probleme zu lösen, die den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes wirklich auf den Nägeln brennen.

Erstens. Wir brauchen eine Entkopplung der Staatsfinanzen von den Finanzmärkten.

(Otto Fricke (FDP): Aha! Und wie?)

Ich sage Ihnen, dass dazu momentan die Ausgabe von Euro-Bonds gar nicht mehr ausreicht.

(Otto Fricke (FDP): Aha!)

Wir brauchen vielmehr eine Euro-Bank für öffentliche Anleihen
(Otto Fricke (FDP): Und wer kauft die?)

und eine von den Finanzmärkten losgelöste Europäische Zentralbank. So hätten wir Politiker Einfluss auf die Finanzmärkte und auf die Zinsen. Solange das nicht der Fall ist, wird es immer wieder passieren, dass wir wie die Schoßhunde hinter den Finanzmärkten herlaufen und ihnen, wenn sie jaulen, die Kohle geben, damit sie weiter funktionieren. Das ist Ihre Politik. Wir brauchen aber eine Dominanz der Politik und eine Politik, die die Bürger vor der Ausbeutung durch die Finanzmärkte schützt.

(Otto Fricke (FDP): Deshalb dürfen wir keine Schulden machen!)

Dazu sind Sie nicht bereit. Deshalb wird sich das, was wir hier beschließen, zu einem Fass ohne Boden entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen zweitens eine gerechte Besteuerung von Einkommen und Vermögen. Die öffentlichen Haushalte müssen saniert werden.

(Otto Fricke (FDP): Kein Wort zum Gesetzentwurf!)

Doch alle hier vertretenen Parteien außer uns haben mit dazu beigetragen, dass die Steuersätze in der Bundesrepublik Deutschland drastisch nach unten gefahren wurden. Die Spitzensteuersätze sind gesenkt worden, auch von Rot-Grün. Jetzt  will die SPD sie wieder erhöhen; das finde ich toll. Eine Vermögensbesteuerung fehlt nach wie vor. Mit solchen Mitteln  könnte man Staatshaushalte sanieren.

Drittens. Wir brauchen eine rechtliche Neuordnung des Bankenwesens. Ohne diese wird es nicht gehen. Rechtliche Neuordnung des Bankenwesens heißt: Die großen privaten Banken müssen unter gesellschaftliche Kontrolle; ansonsten geben wir in diesem Bereich das Demokratieprinzip auf,

(Beifall bei der LINKEN)

weil wir immer das machen müssen, was  die Banken wollen. Das ist nicht im Sinne der Bürger unseres Landes.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)