Die Selbstprivilegierung der öffentlichen Hand im Insolvenzverfahren ist nicht nur eine massive Verletzung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung, wie ihn der BGH weiterentwickelt und präzisiert hatte. Die Bevorzugung der öffentlichen Hand wird auch weitgehende soziale und ökonomische Folgen haben. Die Fachwelt rechnet mit einer Verschlechterung der Sanierungschancen für schätzungsweise 7 000 bis 10 000 klein- und mittelständische Unternehmen jährlich. Erwartet wird der Verlust von 50 000 bis 100 000 Arbeitsplätzen. Wolfgang Neskovic in der zu Protokoll gegebenen Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung .
"Als der vorliegende Entwurf erstmals im Sommer der Agonie von Rot-Grün das Licht der Öffentlichkeit erblickte, gab es einen unvergleichlichen Sturm der Entrüstung und Ablehnung aus der gesamten Fachöffentlichkeit, aus den Verbänden und seitens der Richter. Auch der Bundesrat meldete scharfen Widerspruch an. Das Wort von der "staatlich legalisierten Ausplünderung" Leipziger Volkszeitung vom 26. August 2005 von der "Bananenrepublik" Förster ZInsO 2005, 785 und von den "langen Fingern der Finanz- und Sozialämter" Businessportal 24.com vom 17. August 2005 machte die Runde. Das Bundesministerium der Justiz - als Verfasser des Entwurfes - sah sich öffentlich und unwidersprochen dem Vorwurf der Täuschung der Öffentlichkeit und der Lüge bezüglich der rechtlichen und sachlichen Motive des Entwurfes ausgesetzt - Huber ZlnsO 2005, 786ff. - und die Wirtschaftsverbände warnten vor einem drohenden Verlust von Arbeitsplätzen und einer Verschlechterung der Sanierungschancen für die Unternehmen. Nun liegt uns dieser Entwurf in unveränderter Form vor.Unverändert geblieben ist nicht nur der Text des Gesetzentwurfes. Weitgehend unverändert blieb auch dessen Begründungsteil. Dort suchen wir nämlich vergebens nach einer echten Auseinandersetzung mit der soeben erwähnten allseitigen Kritik an dem Vorhaben. Dafür finden wir offenherzige Ausführungen zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge gegen den - für sich betrachtet - wohl niemand im Haus Einwände erheben möchte. Was geht hier vor sich? Das will ich Ihnen sagen: Man hat uns einen Berliner Pfandkuchen zum Anbeißen offeriert, der freilich zu unserer Überraschung nicht mit zuckersüßer Marmelade, sondern mit sehr scharfem Senf gefüllt ist. Der Senf im Inneren ist die Wiedereinführung des Fiskusprivileges im Insolvenzverfahren, das mit dem richtigen und wichtigen Ziel des Pfändungsschutzes der Altersvorsorge nicht mehr als eine Drucksachennummer gemein hat. Der Senf ist jene unscheinbare Formulierung unter Art. 2 im Entwurf des § 131 Insolvenzordnung, wo es sprachlich seltsam heißt: Eine Rechtshandlung wird nicht allein dadurch zu einer solchen nach Satz 1, dass der Gläubiger die Sicherung oder Befriedigung durch Zwangsvollstreckung erlangt. Potentester Zwangsvollstrecker unter den Gläubigern aber ist nun einmal die öffentliche Hand, die sich stets selbst, schnell und exklusiv mit einem Titel "bewaffnen" kann. So soll - durch die Hintertür und unter Vermeidung einer bewussten Befassung durch dieses Parlament - ein Zustand wieder hergestellt werden, der einmal zum Niedergang und zum völligen Bedeutungsverlust der Konkursordnung geführt hatte und dem dieses Parlament im Jahre 1994 bei der Schaffung der Insolvenzordnung aus gutem Grunde und sehr bewusst ein Ende bereitet hatte. Die Selbstprivilegierung der öffentlichen Hand im Insolvenzverfahren ist nicht nur eine massive Verletzung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung, wie ihn der BGH weiterentwickelt und präzisiert hatte. Die Bevorzugung der öffentlichen Hand wird auch weitgehende soziale und ökonomische Folgen haben. Die Fachwelt rechnet mit einer Verschlechterung der Sanierungschancen für schätzungsweise 7 000 bis 10 000 klein- und mittelständische Unternehmen jährlich. Erwartet wird der Verlust von 50 000 bis 100 000 Arbeitsplätzen. Wir dürfen uns einrichten auf ein Absinken der eh schon geringen Insolvenzquoten. Und wir verlieren den sanierungsfreundlichen Charakter der Insolvenzordnung, während wir das "Windhundprinzip" in der Krise der Unternehmen wieder einführen. Dieses Parlament hat vor mehr als zehn Jahren gemeinsam mit dem Justizministerium und gegen massive Widerstände eine wahrlich große Insolvenzrechtsreform vollbracht, deren Kern es unter anderem gewesen ist, die staatlichen Privilegien des 18. und 19. Jahrhunderts zu beseitigen Diese Reform ist - das belegen alle Statistiken - ein großer, auch internationaler Erfolg geworden und hat zur Rettung vieler tausend Unternehmen und Arbeitsplätze beigetragen, weil der Staat mit seinen Ansprüchen in der Krise der Unternehmen zurückgetreten ist, um den bedrohten Unternehmen die Chance zur Erhaltung und Erneuerung nicht zu verbauen. Der kluge Staat nämlich ist - gerade mit Blick auf die Liquidität seiner sozialen Kassen - unbedingt an der Erhaltung der Unternehmen interessiert. Es liegt an uns allen gemeinsam, ob wir ein geglücktes Stück Reformpolitik beibehalten wollen oder durch unsere Zustimmung zu diesem Entwurf einen insolvenzrechtlichen Salto Mortale zurück zur Konkursordnung anstellen. Wir sollten daher auf der Ebene der Obleute des Rechtsausschusses dringend Einigkeit über die Erforderlichkeit einer Sachverständigenanhörung erzielen, um überhaupt das Maß an Sachinformation erlangen zu können - das uns die Entwurfsersteller lieber vorenthalten wollten -, das wir aber benötigen, um Richtiges von Falschem in diesem Entwurf zu scheiden. Ein abschließendes Wort zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge: Obwohl es sich um einen richtigen Ansatz handelt, ist dieser weniger als die halbe Miete. Die Rücklagen für die Alterssicherung sind in unserem Land natürlich erst dann wirklich umfassend und gerecht geschützt, wenn wir gleichzeitig die Freibeträge für Hartz-IV-Empfänger für die Verwertung von Altersrücklagen vor Inanspruchnahme von Sozialleistungen anheben. Hier bestehen nämlich unerträglich weit gehende Verpflichtungen zur Abschmelzung privater Altersrücklagen, die - mit Blick auf den hier in Rede stehenden Pfändungsschutz - kaum dem Gleichheitsgebot genügen dürften."