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Sportgroßveranstaltungen – Soziale Sicherheit statt Gigantomanie

Rede von Katrin Kunert,

250. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 27. Juni 2013TOP 58: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Sportausschusses (5. Ausschuss) zu dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vergabekriterien für Sportgroßveranstaltungen fortentwickeln – Menschen- und Bürgerrechte bei Sportgroßveranstaltungen stärker berücksichtigen

> Drucksachen 17/9982, 17/14091

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

in Brasilien gehen Millionen von Menschen auf die Straße. Es sind die größten Proteste seit 20 Jahren. Der Anlass sind steigende Lebenserhaltungskosten, fehlende Investitionen in der Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur, aber auch die anhaltende Korruption und Kriminalität. Wenn das alles auch Folgen der hohen Investitionssummen für die Ausrichtung der Fußball WM 2014 sind, müssen endlich Konsequenzen gezogen werden.

Auf den Transparenten der Demonstranten liest man „Wir sind nicht gegen die WM, aber gegen die Weise, wie man mit uns umgeht“. Sportanlagen, zu einem großen Teil aus der Staatskasse finanziert, werden wesentlich teurer als geplant. Nach Schätzungen des brasilianischen Senats ist die WM in Brasilien teurer als die drei vergangen Weltmeisterschaften zusammen. Rechtfertigt die Ausrichtung eines so großen und internationalen Sportereignisses die chronische Unterversorgung von Krankenhäusern und die Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr? Ist das der versprochene Wirtschaftsaufschwung mit dem die FIFA so gern wirbt?

Worum geht es denn eigentlich bei einem Sportevent dieser Größenordnung? Sportlerinnen und Sportler sowie Zuschauerinnen und Zuschauer aus aller Welt kommen zusammen, lernen sich kennen und teilen gemeinsam die Freude am sportlichen Wettkampf. Der Sport dient der Völkerverständigung. Das Gastgeberland nimmt zunächst die Kosten der Ausrichtung auf sich, profitiert aber im Gegenzug von dem Austausch mit den internationalen Gästen. Bis zur Fußball-WM ist noch ein Jahr Zeit, aber dieses Ziel ist in weite Ferne gerückt. Denn nicht nur in Brasilien wird dieser Anspruch von den aktuellen Unruhen überschattet.

Wir erinnern uns an die Kritik der Menschenrechtslage im Vorfeld der Sommerspiele in Peking (2008) oder bei der Vergabe der Eishockey-WM 2014 an Belarus. Auch die in Peking und die für die Winterspiele 2014 in Sotschi angesprochenen Umweltprobleme sind uns im Gedächtnis. Forderungen nach politischen und ökologischen Kriterien bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen wurden und werden immer wieder laut.

Hier zeigt der Antrag von Bündnis90/Die Grünen in die richtige Richtung. Sportgroßveranstaltungen brauchen ein Vergabeverfahren, das einheitlich, transparent und nachvollziehbar ist. Die jüngsten Vergabepraktiken der internationalen Sportorganisationen lassen hier Zweifel aufkommen.

Selbstverständlich darf die Natur beim Bau von Sportanlagen nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen werden. Es dürfen keine dauerhaften Schäden entstehen. Nicht umkehrbare Eingriffe müssen an anderer Stelle durch positive Maßnahmen ausgeglichen werden. Das alles muss schon bei der Vergabe der Veranstaltung anhand ökologischer Kriterien berücksichtigt werden.

Weitere Kriterien müssen sicherstellen, dass der Austragungsort in einem friedlichen und stabilen Umfeld liegt. Neben der äußeren Sicherheit ist selbstverständlich auch die Menschenrechtslage im Innern des Landes zu beachten. Die Einhaltung von Mindeststandards und deren öffentliche Dokumentation ist ein erster Schritt.

Die öffentliche Anhörung zum Antrag hat allerdings mehrere Schwach- und Fehlstellen aufgedeckt.

Wir sehen das Thema Menschenrechte aus einem rein europäischen Blickwinkel und erwarten, dass unsere Sichtweise weltweit Allgemeingültigkeit besitzt. Aber in anderen Teilen der Welt werden Menschenrechte anders interpretiert und ausgelegt. Die unterschiedlichen Wertesysteme müssen bei der Erstellung des Kriterienkatalogs unbedingt berücksichtigt werden. Da Menschenrechtsverletzungen am Rande von Sportgroßveranstaltungen wiederholt auftreten, ist dieses Thema eine zentrale Herausforderung. Darauf habe ich bereits in der ersten Lesung hingewiesen.

Dabei wären politische Boykotte aus unserer Sicht nicht zielführend. Sie treffen vor allem die SportlerInnen und die Menschen in den Gastgeberländern. So waren beispielsweise die Boykotte gegen die Ukraine zur Fußball EM 2012 rein symbolischer Natur. Die westlichen Politiker haben ihre Chance versäumt, persönlich in das Land zu fahren, um auf die Menschenrechtsverletzungen vor Ort hinzuweisen. Die Menschen in der Ukraine waren enttäuscht.

In der bisherigen Diskussion fehlen uns neben den politischen und ökologischen Aspekten allerdings die sozialen Kriterien. Menschenrechtsfragen sind wichtig und wir sind uns alle einig, dass die Umwelt ein schützenswertes Gut ist. Doch müssen wir auch an die Menschen denken, die in den Gastgeberländern von den Vorbereitungsmaßnahmen der Großveranstaltungen direkt betroffen sind. Das aktuelle Beispiel Brasilien führt uns das deutlich vor Augen.

Die massiven Ausschreitungen lassen eine tiefe soziale Dimension zum Vorschein kommen. Die Proteste sind Folgen der großen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten, die bei der Ausrichtung von internationalen Sportereignissen immer wieder geschaffen bzw. verstärkt werden. Es ist schließlich nicht das erste Mal, das ein Sportereignis in einem Schwellenland stattfindet.

Eigentlich hätten die Folgen der Fußball-WM 2010 in Südafrika eine Lehre sein können. Das erhoffte Wirtschaftswachstum blieb aus. Durch die Bau- und Infrastrukturmaßnahmen verloren viele ihren Wohnsitz, es sind nur kurzfristig Arbeitsplätze entstanden. Die Unterhaltskosten der gigantischen Stadien sind heute höher als ihre Einnahmen.

Schwellenländer verfügen in der Regel über schwächere Sozialsysteme als entwickelte Industrienationen. Deshalb müssen bei der Vergabe unbedingt auch soziale Kriterien berücksichtigt werden. Es darf nicht sein, dass Infrastruktur- und Baumaßnahmen im Rahmen einer Sportgroßveranstaltung auf Kosten sozialer Projekte erfolgen und die Bevölkerung darunter leidet.

Auch muss der Kriterienkatalog unbedingt eine Kostendeckelung enthalten. Schon im Bewerbungsverfahren muss abgewogen werden, ob die jeweilige Staatskasse die hohen Investitionen tragen oder ob die Veranstaltung nur auf Kosten der Bevölkerung erfolgen kann. Sozial geht vor!

Wir unterstützen das Grundanliegen des Antrages, werden uns aber enthalten. Bereits in der ersten Lesung habe ich die Problematik bei der Definition von Menschenrechtsstandards angesprochen. Unser Vorschlag, auch soziale Standards in den Katalog aufzunehmen, fand keine Berücksichtigung. Zu Menschen- und Bürgerrechten gehört aus Sicht der LINKEN aber zwingend auch ein Recht auf soziale Sicherheit.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!