Eine echte Bürgerversicherung gibt es nur mit der LINKEN.
Harald Weinberg (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren! Herr Spahn, wenn ich mich richtig erinnere, haben Sie die Anhörung gestern
auch nicht ganz bis zum Ende mitgemacht. Daran will ich nur einmal ganz kurz
erinnern.
(Heinz Lanfermann (FDP): Er saß sogar danach noch dort! Ich
habe es gesehen!)
- Nein, nein, nein, ich glaube, meine Beobachtung war doch etwas genauer, Herr
Lanfermann.
(Heinz Lanfermann (FDP): Ich war die ganze Zeit da! Er war
auch da!)
Zu dem Antrag der SPD. Er hat ja schon ein bisschen Patina angesetzt.
Nachdem ich ihn gefunden hatte, musste ich den Staub ein wenig wegblasen.
Schließlich stammt er aus einer Zeit, als wir noch heftig um die Einführung bzw.
Verhinderung der Kopfpauschale gerungen haben. Daher steht in dem Antrag auch
die Forderung an die Bundesregierung, sie möge bis Ende 2010 ein Konzept für eine
Bürgerversicherung vorlegen. Das ist ja in der Tat nun wirklich überholt. Wir haben
etwas ganz anderes vorgelegt bekommen, nämlich etwas, was weitaus schlechter
ist.
Dennoch danke ich der SPD, dass die Diskussion über diesen Antrag heute
auf die Tagesordnung gesetzt wurde; denn so haben wir die Gelegenheit und einen
weiteren guten Anlass, über die katastrophale schwarz-gelbe Gesundheitspolitik zu
reden. Wir haben dadurch aber auch die Möglichkeit, hier über die veränderte SPD-Position zur Bürgerversicherung zu sprechen.
Der Kurs der SPD in Sachen Bürgerversicherung hat sich in der Tat
verändert. Das ist gerade ja auch schon dargestellt worden. Aus meiner Sicht besteht
der Kurs nun aus einer konsequenten Inkonsequenz.
(Beifall bei der LINKEN)
Außerdem - das muss man auch sehen - ist die Partei ganz offensichtlich gespalten.
Das will ich Ihnen auch gerne begründen.
Auf der einen Seite gibt es die Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in
der SPD, die AfA. Das war einst eine mächtige und einflussreiche
Arbeitsgemeinschaft. Herbert Wehner hat sie einmal als „lebenswichtiges Organ der
SPD“ und zugleich „Auge, Ohr und Herzkammer der Partei“ bezeichnet. Als ich
damals noch Juso war - ich weiß, das sieht man mir jetzt nicht mehr an, aber ich war
es einmal -,
(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
habe ich nicht in jedem Punkt mit den Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft für
Arbeitnehmerfragen der SPD übereingestimmt. Aber jemand wie Rohde oder Dreßler
stellte in der SPD etwas dar.
Auch der jetzige Vorsitzende Ottmar Schreiner genießt meine volle
Hochachtung. Aber er hat leider in seiner Partei nichts mehr zu sagen. Diese Partei
hat sich dank Schröder, Clement, Müntefering, Steinmeier und Co. weitgehend von
der Wahrung der Arbeitnehmerinteressen verabschiedet.
(Zuruf von der SPD: Das glauben Sie doch selber nicht!)
In der modernen Sozialdemokratie der Standortlogik gibt eine
Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen nicht mehr den Ton an. So ist es
möglich, dass zunächst Ottmar Schreiner als AfA-Vertreter, also als Vertreter der
Arbeitsgemeinschaft, das Positionspapier der DGB-Reformkommission
unterschrieben hat. Dieses Papier ist in Sachen Bürgerversicherung beachtenswert
und wegweisend, wenn man eine solidarische und gerechte Finanzierung will. Hier
wird also der Schulterschluss mit guten gewerkschaftlichen Positionen geübt. Aber
kaum hatte Ottmar Schreiner das DGB-Reformkonzept unterschrieben, verkündeten
Frau Nahles und Herr Lauterbach ganz „basisdemokratisch“ von oben herab, dass
wesentliche Punkte des bisherigen Bürgerversicherungskonzeptes der SPD von den
Füßen auf den Kopf gestellt werden sollen. Die beiden wollen im Gegensatz zu DGB,
den Grünen und uns keine Kapitaleinkünfte mehr zur Finanzierung heranziehen,
sondern alle künftigen Mehrausgaben der Krankenversicherung über Steuern
finanzieren.
(Elke Ferner (SPD): Unsinn, was Sie sagen!)
Die SPD will also eine zunehmend steuerfinanzierte Bürgerversicherung. Das
ist ein Widerspruch in sich. Dabei hat Herr Lauterbach selber noch 2004 in einem
Aufsatz zutreffend geschrieben, dass eine Steuerfinanzierung Probleme bereitet. Er
schrieb von der - ich zitiere - „Einheitsversorgung eines Steuersystems“ und von
„Haushaltsabhängigkeiten“ bei einer stärkeren Steuerfinanzierung.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl Lauterbach (SPD): Wir haben
alles über Steuern bezahlt! Das habe ich in Erinnerung!)
Recht hatte er aus unserer Sicht: Ein steuerfinanziertes Gesundheitssystem
ist immer auch ein Gesundheitssystem, in dem Leistungen nach Kassenlage gewährt
werden können und der Finanzminister der heimliche Gesundheitsminister wird.
(Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): So ist es!)
Deshalb lehnen wir die Steuerfinanzierung ab und sind für eine Beitragsfinanzierung.
(Beifall bei der LINKEN – Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN): Richtig!)
Nahles und Lauterbach fordern also ein mehr und mehr steuerfinanziertes
Gesundheitssystem. Gleichzeitig schreibt die SPD in dem vorliegenden Antrag völlig
zu Recht, dass die Steuerfinanzierung des schwarz-gelben Sozialausgleichs bei der
derzeitigen Haushaltslage und den Steuerplänen der FDP ein Wolkenkuckucksheim
sei. Ja, was denn nun? Sie müssen schon erklären, warum Ihre Milliarden an
frischen Steuermitteln dauerhaft und solide finanzierbar sein sollen, wenn das für
ähnliche Gesetze der Bundesregierung nicht gelten soll.
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn (CDU/CSU): Da könnte
man mal zustimmen!)
- Ja, mir ist es auch so gegangen, Herr Spahn, als Sie hier geredet haben, dass ich
nämlich - leider - an vielen Stellen zugestehen musste, dass der inkonsequente Kurs
der SPD von Ihnen durchaus richtig beschrieben worden ist.
Fazit: Man weiß insofern derzeit immer genau, woran man bei der SPD nicht
ist. Erst führt sie Zusatzbeiträge und die Praxisgebühr ein und schafft die Parität mit
ab; jetzt will sie das Gegenteil. Das ist zu begrüßen. Das finden wir gut.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Erst will sie eine Bürgerversicherung; jetzt will sie Steuerfinanzierung. Das ist
schlecht. Das lehnen wir ab.
(Beifall bei der LINKEN)
Für die SPD ist insgesamt nur zu hoffen, dass sie zu den Positionen der DGB-Kommission zurückfinden wird, die mit unseren Vorstellungen weitgehend
übereinstimmen.
(Dr. Karl Lauterbach (SPD): Wir sind nicht die Knechte des DGB, Herr Weinberg!)
Klar ist nun: Wer keine Bürgerversicherung extra light, sondern eine echte
Bürgerversicherung will, muss sich an die Linke halten. Die SPD darf nicht auf
halbem Weg stehenbleiben.
(Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ihr
könnt mal bei uns reingucken!)
Diesen Weg zu einer echten Bürgerversicherung sollte sie weiter ausprobieren. Man
sollte sie dabei zum Jagen tragen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)