Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, ob Sie sich noch an den großen Volksschauspieler Helmut Qualtinger erinnern können.
(Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!)
In einem Sketch versucht er, seinen Freund davon zu überzeugen, dass er zur Wahl geht. Er sagt: Du musst zur Wahl gehen. – Der Freund sagt: Warum soll ich das denn machen? – Da sagt er: Bei einer Wahl erfährt der Politiker, was das Volk von ihm hält. – Dann sagt der Freund: Was? Und das stört den nicht?
(Heiterkeit bei der LINKEN)
Schauen wir uns einmal das Wahlergebnis von Mecklenburg-Vorpommern an. Wissen Sie, es gibt einen eklatanten Unterschied zwischen dem, wie wir hier über das diskutieren, was wir tun – wir finden das alle großartig, wir klopfen uns so sehr auf die Schulter, dass man manchmal meint, wir bekommen einen Schaden –, und dem, wie es der Bürger wahrnimmt. Offensichtlich sehen es die Bürger anders; sie sehen es gar nicht so positiv. Ich glaube, für das Wahlergebnis ist auch ein Stück weit die reale Lage derer verantwortlich, für die wir uns eigentlich insbesondere in der Sozialpolitik engagieren. Deshalb ist es schon nötig, dass wir uns ein Stück weit damit beschäftigen, wie unsere Sozialpolitik real ankommt.
Wenn wir die Realität beobachten, dann sehen wir: Zunehmend droht Altersarmut. Wir wissen das, wir diskutieren darüber, aber wir haben keine Lösungen, sondern reden nur.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht! Einfach was behaupten! So typisch!)
Die Menschen, die es betrifft, warten auf Lösungen, aber die kommen nicht. Meine Damen und Herren, die Renten wurden in diesem Jahr deutlich erhöht – einverstanden! Aber wir wissen, dass das Rentenniveau weiter sinken wird – das wissen die auch. Und wir diskutieren darüber, ohne entsprechende Lösungen zu bieten.
Die Regelsätze im Hartz-Bezug haben wir um 5 Euro erhöht. Das finden die Betroffenen sicherlich klasse, sagen: Toll, eine richtig schöne Erhöhung. Auf der anderen Seite wissen wir auch, dass das Vermögen der 500 reichsten Deutschen um 8,7 Prozent angestiegen ist. Sie verfügen inzwischen über ein Vermögen von 723 Milliarden Euro. Das merken die Menschen. Sie fragen sich nicht nur, wie wir darüber diskutieren, sondern sie fragen sich, was in der Sozialpolitik bei ihnen ankommt.
Meine Damen und Herren, 2,5 Millionen Kinder in Deutschland – das entspricht 19 Prozent – waren 2015 von Armut betroffen, insbesondere Kinder von Alleinerziehenden, meist Frauen, die mit ihrem Geld kaum über die Runden kommen. Sie hören, dass wir darüber debattieren, aber solange sie hier keine Lösungen und keine reale Veränderung ihrer Situation erfahren, ist die Gefahr groß, dass sie sich weiter von uns, von den Parteien, die hier vertreten sind, abwenden. Deshalb sage ich: Wir müssen bei diesen Fragen grundsätzlich etwas ändern.
Jetzt weiß ich auch, Frau Nahles – ich sehe Sie da gerade sitzen –, dass Sie vieles ändern wollen, übrigens auch Sie von der Sozialdemokratischen Partei, übrigens auch der eine oder andere von der CDU/CSU – das will ich gar nicht leugnen –, aber insgesamt wird deutlich: Eine wirkliche, reale Verbesserung der Situation derer, über die ich jetzt gesprochen habe, haben Sie nicht zustande gebracht. Jetzt können Sie sagen: Sie in der Opposition ja auch nicht. – Richtig, das stimmt. Wir haben tolle Forderungen, aber kriegen sie nicht umgesetzt. Vielleicht muss man dann auch einmal über andere Koalitionen nachdenken, in denen wir diese Forderungen umsetzen können, meine Damen und Herren. Vielleicht ist das eine Lösung.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, ja, Sie haben den Mindestlohn eingeführt. Wir wissen, dass er zu gering ist. Sie haben auf unsere Anfrage geantwortet, Frau Nahles: 11,68 Euro müsste er betragen, damit niemand in Altersarmut landet bzw. niemand eine Rente hat, die unter dem Sozialhilfesatz liegt. Das wissen wir. Aber wir wissen auch, dass nichts passiert, und das wissen auch die Menschen.
25 Prozent der Beschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor. Ursache dafür waren die sogenannten Arbeitsmarktreformen, zu denen ich aus aktuellem Anlass etwas sagen muss. Wir haben eine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, weil wir wissen wollten, wie es um die Leiharbeit bestellt ist. Die Antwort aus Ihrem Ministerium, Frau Nahles, ist: Die Zahl der Leiharbeiter nimmt zu und liegt inzwischen auf Rekordniveau. 961 000 Menschen sind aktuell in Leiharbeit beschäftigt, 100 000 Menschen mehr als 2013. Das Einkommen derer beträgt im Schnitt 1 700 Euro, normale Beschäftigte verdienen 2 960 Euro. Das ist ein Minus von 1 260 Euro gegenüber einem normalen Beschäftigten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Unglaublich! Unglaublich!)
Seit ich im Bundestag sitze, also seit zwölf Jahren, diskutieren wir über das Thema Leiharbeit. Wir haben es in zwölf Jahren nicht hinbekommen, ein ordentliches Gesetz zu verabschieden, damit gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Das ist ein Skandal. Wir müssen nicht auf die AfD zeigen, auf uns müssen wir zeigen, weil wir es nicht hinbekommen haben, und mit Ihrem Gesetz, Frau Nahles, bekommen Sie es auch nicht hin.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
75 Prozent derer, die in Leiharbeit beschäftigt sind, sind weniger als neun Monate im selben Betrieb, das heißt, nur 25 Prozent sind über neun Monate im selben Betrieb. Jetzt wollen Sie ein Gesetz verabschieden, das vorsieht, dass ab neun Monaten gleicher Lohn für gleiche Arbeit gezahlt werden soll, bei entsprechenden Tarifverträgen gegebenenfalls erst später. Das heißt, dass dieses Gesetz wieder an 75 Prozent der Betroffenen total vorbeigeht. Warum machen wir es nicht wie in Frankreich? Dort gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab der ersten Stunde plus einem Flexibilitätszuschlag. Dann gibt es auch weniger Leiharbeit, Frau Nahles, dann haben Sie das Problem in dieser Form nicht mehr.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wenn Sie es mit Ihren Leuten nicht hinbekommen: Wir stimmen zu, wenn Sie einen solchen Vorschlag machen; die Grünen wahrscheinlich auch.
Meine Damen und Herren, was Sie hier vorlegen, bedeutet in einem Punkt sogar eine massive Verschlechterung – Sie wissen das –, und zwar bei den Werkverträgen. Bisher konnte jemand, der einen Werkvertrag hat, wenigstens klagen, wenn er Zweifel hatte, ob das alles so richtig ist, was er bisher hat. Künftig soll durch eine Erklärung des Arbeitnehmers in einem solchen Arbeitsverhältnis ausgeschlossen werden, dass er seinen Arbeitgeber dazu zwingen kann, ihn ordentlich einzustellen. Alle Arbeitsrechtsexperten sagen uns, dass wir recht haben, und ich weiß, dass auch Sie es wissen, Frau Nahles, jetzt tun Sie doch nicht so. Die Experten haben recht. Trotzdem bleiben Sie bei Ihrer Haltung.
Ich komme zum Schluss.
(Beifall des Abg. Mark Helfrich [CDU/CSU])
Wenn wir die Probleme, die es in unserem Land gibt, nicht wirklich angehen, dann werden wir in die Situation geraten, dass sich die Menschen noch weiter von uns abwenden, und das will hier keiner. Ich nehme niemanden so wenig wichtig, dass ich ihm nicht abnehme, dass er etwas ändern will. Aber wenn es uns nicht gelingt, die reale Situation zu verändern, sondern wir weiterhin immer nur Erklärungen abgeben – was die Rente angeht, was die sozialen Zustände für Frauen und Alleinerziehende angeht –, dann haben wir mit der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Ich hoffe, dass uns anderes und mehr erspart bleibt.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ihr scheitert deshalb an der Fünfprozenthürde!)