Alexander Ulrich (DIE LINKE):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich nehme es vorweg: Die Linke wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen,
(Gunther Krichbaum (CDU/CSU): Verpasste Chance!)
weil wir damit zum wiederholten Male nicht die Ursachen der Krise angehen, sondern wieder nur ein einziges Symptom falsch behandeln.
Es ist schon fast absurd, Herr Meister, wenn Sie sagen: Wir wollen keine Transferunion. Irgendwann müssen doch auch Sie einsehen: Wenn Deutschland dauerhaft immense Außenhandelsüberschüsse erwirtschaftet, dann ist in der Europäischen Union eine Transferunion unumgänglich. Das zu verschweigen und immer wieder so zu tun, als wäre es nicht so, ist tatsächlich ein Märchen. Aber daran glaubt tatsächlich fast niemand mehr.
(Beifall bei der LINKEN)
Es geht auch nicht darum, dass wir tatsächlich die Ursachen bekämpfen. Es geht einmal mehr darum, dass wir die Märkte beruhigen sollen. Ich kann mich gut daran erinnern, dass der Herr Finanzminister im Europaausschuss gesprochen hat. Dabei war folgende Aussage wesentlich: Wir müssen das tun, um die Märkte zu beruhigen.
Das zeigt im Prinzip, dass wir aus der Krise nichts gelernt haben. Die Märkte können weiterhin Staaten vor sich hertreiben. Sie können weiterhin ihre Spielchen an den Börsen treiben. Und wir wollen mit so einem Instrument etwas verändern?
Nein, im Gegenteil: Sie werden sich auch in Zukunft Wege suchen, um die einzelnen Länder gegeneinander auszuspielen und den Euro zu schwächen, um Ihre Börsengeschäfte zu machen. Jeder seriöse Banker, mit dem man sich unterhält, sagt auch, dass das alles nur Sonntagsreden gewesen seien, die auch Sie im Bundestag immer wieder verbreitet haben, als sich die Finanzkrise zu einer Wirtschaftkrise entwickelt hat, dass es genau so weitergehe wie vorher.
Im Gegenteil: Das ist falsch. Es geht nicht genauso wie vorher weiter. Vorher wusste die Finanzwelt nicht, ob sie das am Schluss bezahlt bekommt. Mittlerweile weiß sie, dass sie genauso wie vorher weitermachen kann. Der Steuerzahler zahlt es, und Sie heben heute wieder für so ein Geschäft die Hand.
Wie oft haben wir Michael Roth hat angesprochen, dass wir auch das Soziale mitdenken müssen als Linke im Bundestag gesagt, dass uns der Lissabon-Vertrag keine Antwort auf solche Fragen gibt? Wie oft haben wir gesagt: Wenn wir das Soziale mitdenken müssen, brauchen wir zum Beispiel auch die soziale Fortschrittsklausel?
Immer hieß es, wir könnten die Verträge nicht verändern. Jetzt werden die Verträge verändert, ohne das Soziale mitzudenken.
(Dr. Eva Högl (SPD): Wir fordern das aber! Zurufe von der FDP)
Heute Nachmittag haben wir die Chance gehabt, die soziale Fortschrittsklausel zu beschließen.
(Zuruf: Mit der Linkspartei!)
Die Allparteienkoalition des Lissabon-Vertrags hat heute Mittag mit Nein gestimmt. Michael Roth, die SPD sollte sich schämen, dass man vor der Europawahl den Gewerkschaften die Hand für eine soziale Fortschrittsklausel gereicht hat und heute dagegen stimmt.
(Zuruf des Abg. Michael Roth (Heringen) (SPD))
Das ist diese unglaubwürdige Politik. Es war wieder einmal Wählerbetrug von der SPD und von den Grünen beim Thema der sozialen Fortschrittsklausel.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Michael Stübgen (CDU/CSU))
Nun geht es wieder um eine Vertragsänderung, die nicht dazu dient, die EU sozialer zu machen, sondern dazu, einen dauerhaften Bankenrettungsplan einzuführen. An den Beispielen Irland und Griechenland kann man jetzt schon sehen, wer für diese Bankenrettung immer wieder aufs Neue bezahlt:
(Zuruf von der CDU/CSU: Der deutsche Steuerzahler!)
die Steuerzahler, die Beschäftigten, die Arbeitslosen, die Rentnerinnen und Rentner, Studierende und Kinder. Die Profiteure der Krise müssen weiterhin nichts zahlen. Da haben manche Vorredner das Richtige gesagt, aber es werden keine Maßnahmen ergriffen, mit denen man das ändern kann.
An die Bundesregierung gerichtet sage ich: Es ist geradezu absurd, dass die gute Idee einer europäischen Wirtschaftsregierung von der Bundeskanzlerin derart pervertiert wird, wie es im Zusammenspiel mit Frankreich geplant ist oder auch nicht.
(Zuruf von der FDP: Oder auch nicht? Nein!)
Wie kommt man auf die Idee zu glauben, die deutschen Rezepte seien europaweit erfolgreich einzusetzen? Glaubt denn jemand wirklich, dass sich der Euro stabilisieren wird, wenn man Menschen in ganz Europa jetzt empfiehlt, bis 70 zu arbeiten? Glaubt denn wirklich jemand, dass man in ganz Europa empfiehlt, mit Steuerdumpingprozessen den Euro zu stabilisieren? Glaubt denn jemand wirklich, dass mit Sozialabbau die Wachstumskräfte entfaltet werden können? Glaubt denn jemand wirklich, dass man mit einem Import von ungesicherten Arbeitsverhältnissen, Leiharbeit und Niedriglohnbereichen Wachstumskräfte entfalten kann?
Wer diese Rezepte in eine europäische Wirtschaftsregierung einbringen kann, wird die Krise auf eine Art und Weise verschärfen, die wir bisher nicht kennen. Die Krise wird nicht beendet werden, sondern die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer. Griechenland, Portugal, Irland und andere Länder werden nie ihre Probleme beseitigen können.
(Zuruf von der LINKEN: So ist es!)
Ich komme zum Schluss: Die Linke lehnt die vorgelegte Vertragsänderung ab.
Wir erwarten, dass wir europaweit an die Ursachen der Krise gehen. Dazu gehört auch, dass wir endlich das Thema umsetzen, über das Herr Schäuble immer sagt, er würde dafür kämpfen: die Finanztransaktionssteuer.
Das ist auch nur Placebopolitik. Die Bundesregierung kämpft nicht dafür. Das wäre jedoch eine wesentliche Maßnahme, um die Märkte tatsächlich zu beruhigen. Denn Zocker müssen endlich ruhig gestellt werden, aber diese Bundesregierung reicht ihnen weiterhin die Hand.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)

Soziale Fortschrittsklausel statt permanenter Bankenrettungsschirm
Rede
von
Alexander Ulrich,