Statt der Einführung eines Überprüfungsverfahrens im Sorgerecht und der damit verbundnen Instrumentalisierung des Kindeswohls setzt die Linke auf Lösungen, die Kindeswohl und Elterninteressen berücksichtigen und nicht auf gerichtlich erzwungenes Sorgerecht.
Die Grünen fordern in ihrem Antrag die Einführung der Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung der Weigerung der Mutter, eine gemeinsame Sorgeerklärung mit dem Vater des Kindes abzugeben. Die gemeinsame elterliche Sorge bei unverheirateten Eltern wurde mit der Kindschaftsrechtsreform 1998 eingeführt. Sie kann durch gemeinsame Sorgeerklärung begründet werden. Wenn die unverheiratete Mutter der gemeinsamen Sorgeerklärung nicht zustimmt, behält sie das alleinige Sorgerecht, § 1626 a BGB.In einer intakten Paarbeziehung bzw. Einvernehmlichkeit der unverheirateten Eltern wird in der Regel die gemeinsame Sorge erklärt. Wir wissen doch viel zu wenig über die Gründe, warum Eltern die gemeinsame Sorge nicht erklären. Zu diesem Ergebnis kam auch eine Umfrage des Bundesministeriums der Justiz unter 400 Jugendämtern und Rechtsanwälten. Zwar erklären über 50 Prozent der unverheirateten Eltern die gemeinsame Sorge, aus dieser Zahl lässt sich aber nicht schließen, dass die übrigen Eltern wegen einer Weigerung der Mütter auf die Abgabe einer gemeinsamen Sorgeerklärung verzichten. Wir brauchen belastbare Ergebnisse, bevor gesetzliche Neuregelungen angestrebt werden.
Natürlich ist der Wunsch, Kindern zu ermöglichen, Kontakt zu beiden Eltern zu haben und von beiden Eltern sowohl finanziell als auch tatsächlich versorgt und erzogen zu werden, ein frommer Wunsch. Gerade in den strittigen Fällen ist die Frage, wie weit der Gesetzgeber wirklich eingreifen kann. Nicht nur die Durchsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge stößt an ihre Grenzen, sondern auch die Durchsetzung der tatsächlichen Übernahme von Verantwortung für ein Kind gegen den Willen eines Elternteiles.
Darauf hat auch das Bundesverfassungsgericht vor kurzem hingewiesen, als es um die Pflicht eines Vaters zum Umgang mit seinem Kind ging. Ein erzwungener Umgang, dem ein Vater nur widerwillig nachkommt, kann für ein Kind traumatisierend sein, argumentierte das Gericht. Eine erzwungene gemeinsame Sorge kann eventuell ähnliche Wirkungen haben. Außerdem muss darüber diskutiert werden, ob der Vorschlag des Antrags überhaupt praktikabel ist. Eine Regelung über die elterliche Sorge, die nicht im Einvernehmen der Eltern erreicht werden kann, entspricht nach den Erfahrungen in der Praxis gerade nicht dem Kindeswohl.
Auch Argumente des Bundesverfassungsgerichts sprechen für diese Auffassung, Entscheidung vom 29. Januar 2003, ich zitiere:
Der Gesetzgeber durfte davon ausgehen, dass eine gegen den Willen eines Elternteils erzwungene gemeinsame Sorge regelmäßig mit mehr Nachteilen als Vorteilen für das Kind verbunden ist. Die gemeinsame Sorge setzt im Interesse des Kindes ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen den Eltern voraus. Dass hierdurch der Zugang des Vaters eines nichtehelichen Kindes zur elterlichen Sorge auch von der Bereitschaft der Mutter abhängt, mit ihm gemeinsam Sorge zu tragen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Auch die Mutter kann ohne Bereitschaft des Vaters nicht mit ihm die Sorge für das Kind teilen. Beide Eltern erhalten damit gleichermaßen Zugang zur gemeinsamen Sorge nur, wenn sie dies übereinstimmend wollen. Hierin liegt allein keine unberechtigte Einschränkung des väterlichen Elternrechts.
Durch die Einführung eines Überprüfungsverfahrens, wie es die Grünen vorschlagen, wird das Kindeswohl instrumentalisiert und zum Spielball der Elterninteressen. Ein enttäuschter Vater, der sich vielleicht eine Beziehung mit der Mutter gewünscht hat, bekommt so ein Druckmittel über das Kind in die Hand. Oder gar wenn das Kind aus einer Vergewaltigung entstanden ist; soll die Mutter wirklich befürchten müssen, dass der Vergewaltiger das Sorgerechtsüberprüfungsverfahren einleitet? Sollen die Jugendämter und Familiengerichte abwägen, ob die gemeinsame elterliche Sorge in einem solchen Fall dem Kindeswohl entspricht, wenn zum Beispiel Gewalt gegen das Kind nicht zu erwarten ist? Welche Gründe der Mutter, keine gemeinsame Sorge zu wollen, können überhaupt als Gründe des Kindeswohles anerkannt werden? Das alles muss diskutiert werden, der Vorschlag der Grünen kann auf keinen Fall der Weisheit letzter Schluss sein.
Wenn das Kindeswohl prinzipiell über Erwachseneninteressen gestellt wird, kann es eben auch für Erwachseneninteressen missbraucht werden. Eine Untersuchung des Bundesministeriums der Justiz führt als einen Grund der fehlenden gemeinsamen Sorgeerklärung an, dass die Eltern über die rechtlichen Folgen sehr häufig nicht ausreichend informiert seien. Hier muss angesetzt werden. Vor nicht allzu vielen Jahren standen Kinder lediger Mütter noch unter Amtsvormundschaft des Jugendamtes, weil man ihnen nicht zutraute, eigenständig und überlegt im Sinne des Kindes zu entscheiden. Darüber sind wir inzwischen hinaus. Deshalb gilt es, Lösungen zu finden, die Kindeswohl und Elterninteressen berücksichtigen, umfassende Beratung und Unterstützung von Eltern und geschultes Fachpersonal vor Ort anzubieten, die bei Konflikten auch vermitteln und Lösungen aufzeigen können. Und nicht gerichtlich erzwungenes Sorgerecht. Über weitere Schritte kann man nachdenken, wenn das Ergebnis der vom Justizministerium beabsichtigten wissenschaftlichen Untersuchung vorliegt.
Die Rede wurde zu Protokoll geben.