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Solvency II: Nachbessern, um Versicherte mehr zu schützen

Rede von Harald Koch,

- Rede zum "Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) zu Protokoll gegeben -

Wir beraten heute einen Gesetzentwurf zur Änderung des Versicherungsaufsichtsgesetzes, dessen Inhalte uns – ähnlich wie bei Basel III – schon monate-, ja sogar jahrelang beschäftigen. Die Rede ist von der Umsetzung der EU-Richtlinie zu Solvency II.
Damit soll künftig verhindert werden, dass Versicherer pleitegehen und Verpflichtungen gegenüber Kunden und Geschädigten nicht mehr erfüllen können. Dies bringt einiges an Neuem für die Versicherungsunternehmen mit sich.

In der Tat handelt es sich um ein ambitioniertes und hochkomplexes Projekt. Im Kern geht es in der Neuregelung darum, dass die Versicherer zumeist mehr Eigenkapital unterlegen müssen. Dem liegt nun eine „ganzheitliche Risikobetrachtung“, ein neues Risikomanagement zugrunde. Die Eigenkapitalanforderungen sollen sich an den tatsächlich eingegangenen Risiken in der Kapitalanlage orientieren und nicht mehr am Prämienvolumen. Je höher das ermittelte Risiko, desto mehr Eigenmittel müssen zukünftig zur Unterlegung dieses Risikos bereit stehen.
Es werden des Weiteren neue Bewertungsvorschriften aufgestellt. Und das Aufsichtsrecht im europäischen Binnenmarkt soll einheitlichen Regelungen folgen.

Die Linke unterstützt es, dass in dem neuen System nicht nur reine Versicherungsrisiken, wie noch unter Solvency I, berücksichtigt werden. Die Versicherer sollen zukünftig auch für Markt-, Kredit- und sonstige betriebliche Risiken Kapital vorhalten müssen. Wenigstens hier werden ökonomische Scheuklappen ein klein wenig abgelegt und ein realistischerer, weil umfassender Blick auf die Risiken am Kapitalmarkt an den Tag gelegt.

Die hohen Anforderungen des Solvency-Projekts – zum Beispiel bei der Eigenmittelausstattung – sind auch dringend notwendig, um Risiken zu vermindern. Eine gesunde Eigenkapitalanforderung kann zum Teil verhindern, dass sich Versicherer „verheben“, immer mehr Kapital in die Finanzmärkte pumpen und in der Hatz nach Rendite spekulativ über die Stränge schlagen.
Ob bei Banken oder Versicherungen lehnen wir es ab, dass die Steuerzahlenden dann die Retter für zu groß gewordene und sich um Kopf und Kragen gezockte Unternehmen spielen müssen.
In diesem Zusammenhang ist auch ein weitreichendes Kreditaufnahmeverbot für Versicherungsunternehmen nötig, das zuletzt immer weiter aufgeweicht wurde. Der Kontokorrentkredit beispielsweise ist jedoch von diesem Verbot auszunehmen.

Hingegen erscheint die Komplexität von Solvency II für kleine Versicherer teilweise wirklich problematisch. Hier sollte man nachdenken, ob auf diese Versicherer alle geplanten Regelungen uneingeschränkt Anwendung finden sollen. Einen ähnlichen Fall stellt die Übertragung von Basel III auf Sparkassen und Genossenschaftsbanken dar. Kleine Institute arbeiten oft sehr kundennah und verbraucherorientiert und sind nicht unbedingt systemrelevant oder Großzocker auf den Finanzmärkten.

Auch bei den Eigenkapitalanforderungen muss man aufpassen, dass kleine Versicherer durch überhöhte Anforderungen nicht vom Markt gedrängt werden. Denn Die Linke ist gegen eine verbraucherfeindliche Monopolisierung des Versicherungsmarktes, aber für eine umsichtige durchgreifende Regulierung!

Nach großem Gejammere und saftigem Selbstmitleid hat die wirkmächtige Versicherungslobby schließlich dafür gesorgt, die Kapitalregeln für alle aufzulockern. Sie boxte eine Reihe von Anpassung durch, um erforderliche Rückstellungen der Versicherer zu senken.

Zwei Dämpfungsfaktoren wurden daher noch kurzfristig eingepflanzt: der antizyklische Zuschlag, Countercyclical Premium, sowie der symmetrische Anpassungsfaktor, Matching Premium. Niemand analysierte im Vorfeld, welche Auswirkungen diese Veränderungen an Solvency II haben. Das ist doch blauäugig!

Der antizyklische Zuschlag zum Beispiel verringert in schlechten Zeiten versicherungs-technische Rückstellungen, ohne in guten Zeiten Reserven aufzubauen. Solvency II bevorzugt so in hohem Maße pauschal alle OECD-Staatsanleihen bei der Eigenkapital-unterlegung. Weil es sich oftmals um langfristige Anlagen handelt, sollen die Versicherer nicht mehr ganz so hohe Rückstellungen leisten müssen.

Begründet wird dies damit, dass der Wertverfall von Staatsanleihen und Schwankungen auf dem Finanzmarkt so für Versicherer und deren Bilanz gemildert werden sollen. Dabei wird zum einen das durchaus vorhandene Risiko von Staatsanleihen ausgeblendet. Wollen Sie uns etwa weißmachen, dass eine Anlage in griechische Staatsanleihen risikolos ist? Zum anderen können Versicherer dadurch wieder riskanter anlegen und draufloszocken.

Ebenso muss man erwähnen, dass die festgelegten Anlagegrundsätze viel zu dehnbar sind. Nach § 115 Abs. 1 Nr. 6 VAG neu sollen auf „vorsichtigem Niveau“ sogar Finanzinstrumente erlaubt sein, die nicht auf einem geregelten Finanzmarkt zugelassen sind. Die Bundesregierung tut also wieder mal so, als ob es nie eine Finanzkrise gegeben hätte. Sie hofieren zum x-ten Mal Ihre Lobbygruppen und setzen die Versicherten höheren Risiken aus. Die Linke streitet dagegen für den Schutz der versicherten Menschen!

Ein grundlegendes Defizit fällt obendrein ins Auge: Für Basel III bei den Banken und Solvency II bei den Versicherungsunternehmen liegt kein einheitlicher Regulierungsansatz zugrunde. Kapitalanforderungen für die jeweils gleiche Anlage unterscheiden sich in den beiden Regelungssystemen teils enorm. Hier hätte sich besser abgestimmt werden müssen, damit nachvollziehbarere und sinnigere Ergebnisse erzielt werden. Der Blick muss sich doch darauf richten, welche Risiken von Banken und welche Risiken von Versicherungen samt ihrer jeweiligen Branchengruppen besser geschultert werden können.

Über die Frage, in welcher Form Solvency-II-Regelungen auf Einrichtungen der betrieblichen Altersvorsorge anwendbar sein sollten, haben wir im Plenum bereits an diesem Abend debattiert.

Wie so oft waren Verbraucherschützer und Gewerkschaften in den ganzen Gesetzgebungsprozess völlig unzureichend eingebunden. Wenn es eine konsequente Linie in der Regierungspolitik gibt, dann die: Schutz der Steuerzahler, Verbraucherschutz sowie stabile und durchgreifend regulierte Finanzmärkte spielen eine nebensächliche Rolle!

Viele Versicherer beklagen in der ewig gleichen Leier die unberechenbaren kurzfristigen Marktausschläge, die ihre Bewertungen erschweren. Darauf kann man doch nur eine klare Antwort geben:
Die Finanzmärkte dürfen nicht länger der uferlosen Spekulation ausgesetzt sein, die zu übertriebenen Schwankungen führt. Daher sind sie umfassend zu regulieren. So können schließlich auch Versicherer wieder solider wirtschaften. Dies wäre hoch effektives Risikomanagement!

Versicherte müssen auf den Schutz ihrer Ansprüche und die versprochenen Leistungen vertrauen können. Deshalb steht Die Linke ebenfalls für eine strikte, aber umsichtige Regulierung des Versicherungssektors und kämpft für die Interessen der Verbraucher!