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Sigrid Hupach, DIIE LINKE: Bundesregierung fördert Geheimniskrämerei

Rede von Sigrid Hupach,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der heute zu beschließenden Novelle soll das 30 Jahre alte Bundesarchiv­gesetz an die Herausforderungen des digitalen Zeitalters und an die modernen Anforderungen an Transparenz und Informationsfreiheit angepasst werden. Leider sind aber im Gesetz Regelungen enthalten, die dem formulierten Anspruch entgegenstehen. Dass die Behörden ihre Unterlagen dem Bundesarchiv zur Übernahme anbieten müssen, ist keineswegs verpflichtend formuliert, und es ist ein Unding, dass nun gerade die Nachrichtendienste mit weitreichenden Ausnahmeregelungen bedacht werden, zumal gerade sie ihre Akten zum Beispiel beim NSU-Terror völlig unzureichend geführt haben. Diese Inkompetenz wird mit dem neuen Gesetz noch hofiert, dem Vertuschen wird Tür und Tor geöffnet, und das ist völlig inakzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Statt gerade hier den Zugang für die Wissenschaft und für die Medien zu erleichtern und so die demokratische Kontrolle zu stärken, sind die Koalitionsfraktionen bei den Sonderrechten für die Nachrichtendienste geblieben – aller Expertise der Sachverständigen zum Trotz. Der „Kompromiss“, den die SPD glaubt bewirkt zu haben, ist nämlich nur schöner Schein: Aus den „überwiegenden Gründen“ des Nachrichtenzugangs sind nun „zwingende Gründe“ geworden. Ja, aber wem hilft das? Niemand wird überprüfen können, ob wirklich Gründe gegen die Anbietung der Unterlagen sprechen oder diese von den Geheimdiensten nur konstruiert wurden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter können weiterhin selbst entscheiden, ob sie überhaupt und welche Unterlagen sie dem Bundesarchiv für eine mögliche Übernahme vorlegen.

Hier wird also, wie es die Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen, Professorin Schlotheuber, treffend formuliert hat, die Selbstsicht einer Behörde zum Leitmotiv erhoben und dabei die historische Überlieferung gefährdet.

Das Bundesarchiv ist schon jetzt in der Lage, auch Verschlusssachen unter Wahrung der Rechte Betroffener bzw. schützenswerter Informationen zu archivieren. Die Bundesregierung fördert stattdessen die Geheimniskrämerei. Einem demokratischen Rechtsstaat steht das aber schlecht zu Gesicht; denn hier hat die Öffentlichkeit ein Recht darauf, das Handeln von Verwaltung und eben auch von Nachrichtendiensten im Nachhinein nachvollziehen und kontrollieren zu können, und dafür braucht es die Akten im Archiv.

Meine Fraktion hat mit acht Änderungsanträgen ganz konkrete Vorschläge in die Debatte eingebracht. Wichtig waren uns dabei vor allem drei Aspekte:

Erstens. Die Unabhängigkeit des Bundesarchivs muss gewährleistet werden. Das heißt, die Bundesbehörden und eben auch die Nachrichtendienste müssen dem Bundesarchiv grundsätzlich alle Unterlagen vorlegen,

(Ulrich Petzold [CDU/CSU]: Auch die Stasiunterlagen!)

sodass die Archivarinnen und Archivare mit ihrer Erfahrung und mit ihrer Weitsicht dann frei und unabhängig entscheiden können, welche Unterlagen sie für aufbewahrenswert halten.

Dazu gehört auch, dass jede politische Einflussnahme auf diese Bewertungsentscheidung unterbunden wird. Die neu ins Gesetz geschriebene Fachaufsicht der BKM halten wir daher für äußerst problematisch, eben weil sie den Verdacht der politischen Beeinflussung in sich trägt, und auch die Einwilligung der betreffenden Behörde bei der Schutzfristverkürzung ist für uns Linke überflüssig.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens: die Sicherung unseres Filmerbes. Statt einer Registrierungspflicht haben wir Linken eine Pflichthinterlegung gefordert, die zudem nicht nur Kinofilme im Blick haben sollte, sondern das filmische Schaffen in seiner ganzen Breite.

Drittens: das sogenannte Löschungssurrogat. Die CDU/CSU wollte hier partout nicht heran. Ich hoffe aber, dass bei der Novellierung des Datenschutzgesetzes eine grundsätzliche Regelung geschaffen wird, damit eigentlich zu löschende Unterlagen der Forschung und der historisch-politischen Bildungsarbeit zur Verfügung stehen. Dann müssen zum Beispiel auch die Akten der Zentralen Stelle in Ludwigsburg erhalten bleiben, die zum Entzug der Kriegsopferrente für NS-Täter angelegt wurden.

Es gibt also noch viel zu tun, um das Archivrecht wirklich modern zu gestalten und die demokratische Kontrolle von Politik und Verwaltung zu sichern.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei der Nutzer- und Wissenschaftsfreundlichkeit bleibt die Novelle bedauerlicherweise auch hinter den fortschrittlichen Landesarchivgesetzen zurück, die zum Beispiel eine Regelschutzfrist von zehn Jahren vorsehen.

Der Entschließungsantrag der Grünen enthält vieles, wofür auch wir uns in der Debatte engagiert haben und was ich eben angesprochen habe. Daher unterstützen wir diesen Entschließungsantrag.

Zum Gesetz selbst: Die Novelle bringt auch Verbesserungen. Das digitale Zwischenarchiv sei hier genannt. Auch wurden einige für uns wichtige Punkte im parlamentarischen Verfahren berücksichtigt, zum Beispiel die Angleichung an das Informationsfreiheitsgesetz, die Festschreibung der Digitalisierung als Aufgabe des Bundesarchivs und die Würdigung von Bibliotheken als Gedächtnisinstitutionen. Meine Fraktion kann dem Gesetzentwurf aber wegen der genannten Kritikpunkte nicht zustimmen. Wir werden uns daher enthalten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)