Der Regierungsentwurf des Bundesverkehrswegeplan2030 zielt auf wachsenden Verkehr, ist umwelt-und klimaschädlich und geht an den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung vorbei.
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Der Regierungsentwurf für den Bundesverkehrswegeplan 2030 zielt auf mehr Verkehr und Straßen ab. Erst ist umwelt- und klimaschädlich und geht an den Mobilitätsbedürfnissen der Bevölkerung vorbei. Deshalb sagen wir: Er muss vom Tisch.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke fordert einen ganz anderen, einen demokratischen Bundesmobilitätsplan. Wir brauchen einen völlig anderen Ansatz. Die Kommunen brauchen Spielraum für eine Verkehrswende, die von den Leuten schon begonnen wird. Die Bahn muss endlich in der Fläche ausgebaut und nicht weiter abgebaut werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Es muss auch eine ernsthafte Ausrichtung an den Klimazielen stattfinden. Ich weiß gar nicht, ob Sie sich dessen bewusst sind: Bis zum Jahr 2050 dürfen wir überhaupt kein CO2 mehr ausstoßen. Wir verbrauchen heute ungefähr 5 000 Liter Öl pro Person. Wenn wir ernsthaft herangehen würden, das zu ändern, um sozusagen schrittweise dem Ziel näher zu kommen, müssten wir zu einer Reduktion auf ein Zehntel dieser Zahl kommen: nicht mehr 5 000 Liter, sondern nur noch 500 Liter. Dann hätten wir eine Chance, diese Klimaschutzziele ohne einen richtig katastrophischen Knall zu erreichen. Davon sind Sie himmelweit entfernt. Dazu haben Sie überhaupt keinen Plan.
Die Präsidentin des Umweltbundesamtes, Frau Krautzberger, sagt:
Der Entwurf des Bundesverkehrswegeplanes ... verfehlt elf der zwölf im eigenen Umweltbericht gesetzten Ziele.
Und:
Durch den zu starken Fokus auf die Straße zementiert der Entwurf weitgehend die nicht nachhaltige Verkehrspolitik der vergangenen Jahre.
Ich füge hinzu: Dafür geben Sie 264 Milliarden Euro aus. Sie machen nichts, um diese ambitionierten Ziele, die Sie sich vertraglich selbst gegeben haben, zu erreichen. Das halte ich für absolut unverantwortlich.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich will an einem Beispiel ausführen, warum ich der Meinung bin, dass das Geld, das da ausgegeben wird, viel stärker in die kommunale Bestimmung gegeben werden muss. Eines der Autobahnprojekte, die in diesem Verkehrswegeplan stehen, ist die A 100 in Berlin: 6,9 Kilometer mitten durch dichtbewohntes Stadtgebiet für sage und schreibe 1 Milliarde Euro. Das ist das teuerste und dümmste Straßenbauprojekt, das man sich überhaupt vorstellen kann.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf der offiziellen Seite des Berliner Senats schreiben die Verantwortlichen zum Thema Verkehr: Wussten Sie, dass der Kfz-Verkehr seit etwa dem Jahr 2000 kontinuierlich abnimmt, obwohl die Bevölkerung in Berlin seit fünf Jahren wächst?
(Zuruf des Abg. Gustav Herzog (SPD))
Wussten Sie, dass rund die Hälfte der Haushalte in Berlin überhaupt kein eigenes Auto hat? Wussten Sie, dass die Fahrgastzahlen im öffentlichen Nahverkehr in Berlin in den letzten Jahren deutlich angestiegen sind?
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wussten Sie, dass es mehr als doppelt so viele Fahrräder wie Pkw pro 1 000 Einwohner in Berlin gibt?
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Frau Kollegin Leidig, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Gerne.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Bitte.
Stefan Zierke (SPD):
Frau Leidig, danke, dass Sie die Zwischenfrage gestatten. - Sie zählen viele Punkte auf, die aus Ihrer Sicht sicherlich sachlich begründet sind. Haben Sie auch, weil Sie gerade die A 100 in Berlin ansprechen, den Umstand zur Kenntnis genommen, dass gerade bei diesem Projekt viele Bürger, viele Institutionen die Möglichkeit genutzt haben, in das entsprechende System genau die sachlichen Begründungen, die Sie hier aufzählen, einzugeben, um damit das Projekt noch einmal neu zu bewerten? Es geht darum, ob die A 100 wirklich um diesen Bestandteil verlängert werden soll oder nicht. Es geht ja um den letzten Abschnitt, den Sie hier beschreiben. Es geht nicht um die ganze A 100.
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Genau.
Stefan Zierke (SPD):
Von daher denke ich, dass die Bürger und die kommunale Ebene doch exzellent beteiligt sind, wenn es um genau diese Abschnitte geht. Man konnte sachliche Begründungen für den Senat oder für das Bundesministerium geben. Sind Sie da nicht meiner Meinung?
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Ich bin ganz Ihrer Meinung, dass es völlig berechtigt ist, dass die Bürgerinnen und Bürger dort alle ihre Einwände einbringen. Es gibt eine seit Jahrzehnten arbeitende Bürgerinitiative, die wirklich hervorragendes Material erarbeitet hat, das zeigt, warum dieser Weiterbau der Autobahn für die Stadt und für alle völliger Unsinn ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Entscheidende ist aber ‑ das ist, glaube ich, auch in Berlin der Knackpunkt ‑, dass sich die Verantwortlichen entschieden haben, dieses Projekt zu verwirklichen, weil die 1 Milliarde Euro, wenn sie es nicht verwirklichen würden, nicht in den Straßenbau in Berlin, sondern in den Straßenbau in einem anderen Bundesland fließen würde. Wirklich notwendig wäre - das ist unser Plädoyer -, dass über das Geld in den Kommunen entschieden wird, dass also die Kommunen, die Regionen oder die Ballungszentren entscheiden: Mit dieser 1 Milliarde Euro bauen wir bessere und mehr Fahrradwege, damit reparieren wir unsere kaputten Straßen, sodass die Fahrradfahrer nicht dauernd hinfallen, und damit bauen wir unser öffentliches Nahverkehrssystem aus. - Das wäre notwendig.
Ich sage Ihnen Folgendes: Die Baudezernentin von Bremerhaven hat neulich an einem Gespräch mit einigen Mitgliedern des Verkehrsausschusses teilgenommen.
(Stefan Zierke (SPD): In meiner Frage ging es um Berlin! Ist die Frage damit beantwortet? - Gegenruf von der SPD: Ja, die Frage ist beantwortet!)
- Na ja, okay. Wenn Sie sie als beantwortet ansehen, ist das okay. Aber ich führe das noch aus.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Es ist so gedacht, dass man auf eine Frage antwortet; das ist völlig richtig. Ich glaube, das ist jetzt geklärt.
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Es ist in Ordnung; das betrifft sowieso das Thema, über das ich sprechen möchte. - Wir haben in dem Gespräch mit Vertretern des Deutschen Städtetages ein paar wirklich spannende Dinge erfahren. Die Baudezernentin von Bremerhaven sagte: Ich brauche Geld für den Rückbau von Straßen. Unsere Infrastruktur ist auf berufstätige Männer, die Auto fahren, ausgelegt. Davon gibt es immer weniger; es ist weniger als ein Drittel der Bevölkerung. Ich brauche in unserer Stadt etwas ganz anderes. Dafür habe ich überhaupt kein Geld. - Die Stadtbaurätin von München sagte: Wir wollen Regionalentwicklung machen. Das Ballungszentrum quillt über. Wir haben außerhalb von München Kasernengelände. Wenn man sie erschließen will, damit dort Wohnen und Arbeiten möglich ist, braucht man eine Bahnanbindung. - Das sind die wirklichen Herausforderungen und die Themen, die bearbeitet werden müssen.
(Beifall bei der LINKEN - Patrick Schnieder (CDU/CSU): Jetzt wird der Grünen-Antrag mal richtig interpretiert!)
Sie sagen einfach: Das ist Sache der Kommunen, der Länder usw. - Aber so ist es eben nicht. Der Bund legt die Maßstäbe fest und gibt die Marschrichtung vor. Solange Sie daran festhalten, dass das Geld entweder für Straßen verbaut wird oder gar nicht, geben Sie den Menschen vor Ort nicht die Möglichkeit, die Verkehrswende in ihrem Sinne zu gestalten und ihre Mobilitätsbedürfnisse zu befriedigen. Das ist aber genau das, was passieren muss: Wir brauchen eine Demokratisierung bei der Mittelverwendung im Zusammenhang mit der Infrastrukturentwicklung auch beim Verkehr.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte noch einen Satz zum Antrag der Grünen sagen. Sie wollen den Bundesverkehrswegeplan weiterentwickeln. Ich bin ein bisschen traurig, dass Sie sich so sehr auf die innere Logik dieses Verkehrswachstumsprogramms, das uns hier vorgelegt wird, einlassen.
(Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das müssen Sie einfach einmal richtig lesen!)
Sie sagen im Grunde: Wir können das besser machen. - Ich will nicht sagen, dass jede einzelne Ihrer Forderungen unvernünftig ist. Es gibt sicherlich einige Ansätze, die auch wir für richtig halten. Aber ich finde, das klingt sehr nach Reparaturbetrieb und nicht nach einer wirklichen Alternative.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Frau Kollegin, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Ja, das Gefühl hatte ich auch!)
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Ich habe doch noch eine Minute.
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Minus, Entschuldigung! Sie haben schon eine Minute überzogen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sabine Leidig (DIE LINKE):
Oh, dann komme ich zum Schluss; pardon.
(Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Vielleicht sollte man mehr Geld in Bildung investieren! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das Ding läuft rückwärts!)
Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass wir in unserem Antrag fordern, diesen Plan zurückzuziehen und ein wirklich alternatives Mobilitätskonzept vorzulegen, das das Verkehrswachstum beendet, den Verkehr zielgerichtet von den Straßen auf Schienen verlagert -
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn:
Frau Kollegin, kommen Sie jetzt bitte wirklich zum Schluss!
Sabine Leidig (DIE LINKE):
- und Mobilität im Einklang mit Klimaschutzzielen ermöglicht.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN - Thomas Jarzombek (CDU/CSU): Wir sollten mehr Geld in Bildung investieren!)