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»Sie organisieren die Spaltung zwischen Arm und Reich«

Rede von Heidrun Dittrich,

Debatte über den Bundeshaushalt 2010 / Etat des Bundesminsiterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Die Regierung tönt lauthals: Die Familie ist das Kernstück der Gesellschaft. Aber wie sieht denn die Wirklichkeit aus? Können Kinder geplant werden, wenn befristete Beschäftigungsverhältnisse zur Normalität werden? Wird eine werdende Mutter wieder eingestellt, wenn ihr Arbeitsverhältnis durch Befristung ausgelaufen ist? Das Institut der deutschen Wirtschaft schreibt: 41 Prozent der unter 20-Jährigen haben eine befristete Stelle; bei den 20- bis 25-Jährigen ist es noch jeder Vierte. Ungesicherte Arbeitsverhältnisse bedeuten unsichere Einkommen und im Allgemeinen schlecht bezahlte Arbeit. Hierzulande gehen Menschen arbeiten und sind trotzdem arm; sie müssen beim Jobcenter aufstocken.
Die Familienministerin spricht gern von gleichen Chancen für alle Kinder. Aber welche Kinder und Familien werden gefördert? Die Einführung des Elterngeldes 2007 zeigt: die der Mittel- und Oberschicht. Zulasten der Erwerbslosen wurde die Bezugsdauer des Elterngeldes in Höhe von 300 Euro monatlich um zwölf Monate verkürzt. Das ist ein Verlust in Höhe von 3 600 Euro für ein Jahr. Einkommensschwache Familien werden zum Spielball der Politik. Mit dem geplanten Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro monatlich ab 2013 werden einkommensschwache Familien dazu verführt, ihre Kinder nicht in einer Kita anzumelden, damit sie Betreuungsgeld anrechnungsfrei zusätzlich zu Hartz IV oder zum Minijob erhalten. Warum werden eigentlich pünktlich zum Ende der Elternzeit 150 Euro Betreuungsgeld gezahlt? Um die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen ab dem ersten Lebensjahr zu senken. Damit geben Sie zu, dass der Ausbau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren nicht vorankommen soll. Das Sondervermögen in Höhe von über 4 Milliarden Euro für den Kitaausbau beinhaltet nur den Aufbau von Kindertagesstätten. Die Regierung investiert in Beton statt in Pädagogik.

Für die Einstellung von Erzieherinnen fehlt das Geld. Dafür sind die Kommunen zuständig. Es fehlen aber bundesweit 80 000 Erzieherinnen. Die Kommunen können sich neue Personaleinstellungen nicht leisten, weil sich die Bundesregierung Steuergeschenke an Großbanken und Großkonzerne leistet.

(Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Und die Hotels!)

Und die Hotels. Danke.
Das Vorzeigeprogramm der Familienministerin mit dem Betreuungsausbau für 35 Prozent aller Kleinkinder zwischen ein und drei Jahren ist gescheitert. Was geschieht nun mit den Kleinkindern, wenn das erste Lebensjahr zu Ende geht? Im Anschluss an das Elterngeld ist kein Krippenplatz in Sicht. Ist denn das Kind nach Ihrer Auffassung mit zwölf Monaten schon erwachsen? Muss es dann nicht mehr betreut werden? Auch geeignete Tagesmütter gibt es nicht flächendeckend, und sie werden schlecht bezahlt.

(Beifall bei der LINKEN)

In Niedersachsen, woher ich komme, gibt es für unter Dreijährige eine Versorgerquote von nur 12 Prozent, in Nordrhein-Westfalen von nur 11,6 Prozent. Die Eltern in den alten Bundesländern müssen rumdümpeln, bis der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder ab drei Jahren greift. Der Fortschritt, dass im Jahr 2009 73 Prozent aller Väter immerhin zwei Monate Elternzeit nahmen, wird durch die fehlende Kinderbetreuung nach 14 Monaten komplett aufgehoben. Es werden wieder die alten Rollenverhältnisse zementiert;

(Katja Kipping (DIE LINKE): Sauerei!)

denn ein Elternteil muss zu Hause bleiben und das Kind betreuen. Dieser Elternteil ist traditionell die Frau; denn die hat offensichtlich schon 12 Monate Elternzeit genommen.
Obwohl das Elterngeld vorrangig Besserverdienende bedient, stehen auch diese Elternteile nach einem Jahr vor dem Nichts. Sie locken die Eltern damit in eine Falle: erst die Anreize und dann keine Anschlussbetreuung. Ihre Familienpolitik ist verantwortungslos,

(Beifall bei der LINKEN)

gegenüber den Eltern und gegenüber den Kindern. Deshalb lehne ich diesen Familienhaushalt ab. Indem Sie den Armen den Kitaplatz abkaufen, werden die Integration der Kinder und ein gemeinsames Lernen, was zur Chancengleichheit führen könnte, von Anfang an unmöglich gemacht.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Erwerbstätigkeit ist in den alten Ländern der Bundesrepublik seit über 60 Jahren nicht erreicht. Was in Frankreich seit den 50er-Jahren möglich ist, nämlich für jedes Kind ab dem dritten Monat einen Betreuungsplatz zu stellen, und was in der DDR für Kinder ab dem ersten Jahr möglich war, ist in der Bundesrepublik bis heute nicht möglich. Wer nicht arbeitet, kann keine Rente aufbauen. Die Altersarmut von Frauen ist vorprogrammiert. Sie erlegen die soziale Verantwortung für die Familie einseitig den Frauen auf. Das betrifft die Betreuung der Kinder und die Pflege. Sie kaufen den Frauen die Berufe ab. Hätten wir mehr Kinderbetreuung, könnten mehr Frauen arbeiten, und wir würden wieder Frauenberufe im öffentlichen Dienst einrichten, Stellen für Erzieherinnen, Sozialarbeiterinnen und Sprachlehrerinnen. Geld ist genug da. Es muss umverteilt werden.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Umverteilung ist Ihr einziges Konzept! Das ist unglaublich!)

Die Millionärssteuer ist nur ein Beispiel dafür, wie dieser Staat zu mehr Einkommen kommen könnte. Außerdem können Sie auch am Verteidigungsetat sparen.

(Beifall bei der LINKEN)

Der beläuft sich nämlich auf 31 Milliarden Euro, während der kleine Familienhaushalt 2,56 Milliarden Euro beträgt. Damit möchten Sie den Zusammenhalt der Gesellschaft organisieren. Sie organisieren damit die Spaltung zwischen Arm und Reich.

(Beifall bei der LINKEN)