Rede zum Justizhaushalt
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Kollegin Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für DIE LINKE.
(Beifall bei der LINKEN)
Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin!
Man soll in der Opposition nicht immer nur kritisieren. Deshalb möchte ich zunächst zwei Gesetzentwürfe aus Ihrem Ministerium lobend erwähnen. Dies ist zum einen der Gesetzentwurf zum Schutz vor überlangen Verfahren und zum anderen der Gesetzentwurf zur Stärkung der Pressefreiheit. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie unseren Gesetzentwurf aus der vergangenen Wahlperiode komplett übernommen hätten.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder unseren!)
Dann müssten wir nicht nur von „ein bisschen Stärkung der Pressefreiheit“ reden, aber na gut. Wir alle wissen, wie intellektuell arm ein Land ist, in dem es keine umfassende Pressefreiheit gibt. Deshalb ist es zu begrüßen, dass Journalistinnen und Journalisten künftig zumindest nicht wegen Beihilfe zum Geheimnisverrat angeklagt werden können.
Doch damit ist es – bedauerlicherweise – genug des Lobes. Angesichts Ihrer persönlichen Geschichte bzw. Ihrer Biografie habe ich kein Verständnis für den Kompromiss bei der Sicherungsverwahrung und dem Einsatz der elektronischen Fußfessel. Hierbei sind Sie leider im Sommer gegenüber den Sicherheitsfanatikern der Union in Ihrer liberalen Haltung eingeknickt.
Mir ist klar, dass man in einer Koalition Kompromisse schließen muss, insbesondere als Juniorpartner und mit nicht sonderlich erbaulichen Umfragewerten. Dass aber die CDU/CSU ihr vermeintlich verloren gegangenes konservatives Profil ausgerechnet im sensiblen Bereich des Jugendstrafrechts und des Strafrechts schärfen darf, finde ich nicht hinnehmbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke lehnt die Sicherungsverwahrung ab. Die Sicherungsverwahrung ist verfassungswidrig, europarechtlich bedenklich und hält rechtsstaatlichen Prinzipien nicht stand.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsinn!)
Vielleicht sagen Ihnen folgende Stichworte etwas: Verbot der Doppelbestrafung, Schuldprinzip. Wenn ja, dann wüssten Sie selbst, warum die Sicherungsverwahrung rechtsstaatlich bedenklich ist. Bei der Sicherungsverwahrung handelt es sich um eine Inhaftierung für noch nicht begangene Straftaten, um eine präventive Sicherungshaft, und das ist mit dem deutschen Strafrecht nicht vereinbar.
(Burkhard Lischka [SPD]: Da haben Sie manches missverstanden!)
Auch der zwangsweise Einsatz der sogenannten elektronischen Fußfessel begegnet erheblichen Bedenken. Dies stellt eine Totalüberwachung der Betroffenen dar, welche in einer freien Gesellschaft nicht toleriert werden darf. Sie wirkt stigmatisierend und behindert die Resozialisierung der ehemaligen Gefangenen. Die Wiedereingliederung wird erheblich erschwert, wenn der Betroffene die ganze Zeit das Gefühl haben muss, beobachtet zu werden.
Bisher war es in der bundesrepublikanischen Rechtswissenschaft und Rechtspolitik Konsens, dass tragende Säulen des Strafrechts und des Jugendstrafrechts die Resozialisierung und der Erziehungsgedanke sind. Dieser Konsens wird mit dem Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zur Stärkung der Führungsaufsicht aufgelöst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sehr geehrte Frau Ministerin, am vergangenen Samstag fand die Demonstration „Freiheit statt Angst“ statt. Der Infostand Ihrer Partei, mit schicken gelben T-Shirts, war direkt neben dem der Linken aufgebaut. Nunmehr fordert Ihr Koalitionspartner in Form von Herrn Bosbach von Ihnen eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung und der Internetsperren. Ich habe eine Bitte an Sie: Lassen Sie die Union einfach rechts liegen – da, wo sie hingehört –, und verlassen Sie sich an dieser Stelle auf Rot-Rot-Grün! Denn soweit ich weiß, teilen wir hier im Grundsatz Ihre Positionen, und wir sind bereit, diese Positionen mit Ihnen gemeinsam gegen die Union zu verteidigen.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt: Was? Da klatscht ihr auch noch?)
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Politik hat die Pflicht, aufzuklären. Ich habe mir drei Punkte aus dem Haushalt dieses Bundesministeriums herausgesucht, an denen man exemplarisch zeigen kann, dass die Koalition leider kein Interesse an Aufklärung und Sachpolitik
hat.
Da wären die Zuschüsse an die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden, die Deutsche Bewährungshilfe und das Präventionsprojekt Dunkelfeld der Humboldt-Universität. Diese Zuschüsse seitens des Justizministeriums sind seit Jahren äußerst gering. Obwohl die Einnahmen im Haushalt im Jahr 2011 insgesamt um circa 5 Millionen Euro steigen, sinken die Ausgaben um 3,5 Millionen Euro – Geld, welches die drei Institute gut gebrauchen könnten. Aber vielleicht besteht ja gar kein Interesse an einer seriösen rechtswissenschaftlichen Forschung. Denn diese würde den Law-and-Order-Wünschen der konservativen Politik die empirischen Grundlagen entziehen.
Die Deutsche Bewährungshilfe beispielsweise hat die Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung kritisiert. Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden veröffentlicht regelmäßig Forschungsergebnisse, Studien und Aufsätze. Diese stellen der vor allem im Strafrecht und Jugendstrafrecht stammtischorientierten Rechtspolitik kein gutes Zeugnis aus.
Schließlich möchte ich auf das sehr bemerkenswerte Präventionsprojekt Dunkelfeld an der Berliner Charité aufmerksam machen. In diesem Präventionsprojekt werden kostenlos Therapieplätze angeboten für Nutzer von Kinderpornografie mit auf Kinder oder Jugendliche gerichteten sexuellen Fantasien und Wünschen, die ihren Konsum einstellen wollen und deswegen therapeutische Hilfe suchen. Aber leider gibt es bundesweit neben Berlin nur noch in Kiel ein vergleichbares Angebot. Genau solche Projekte brauchen aber in viel größerer Zahl Unterstützung.
Eine rationale Rechtspolitik ist auf seriöse empirische Daten angewiesen. Es ist Aufgabe des Staates, diese, bevor er zu restriktiven und einschneidenden Maßnahmen greift, in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten zu erheben, auszuwerten und entsprechende Schlussfolgerungen für die Politik daraus zu ziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
Dies erfordert aber eine Diskussion, in der man sich auch einmal den einfachen Wahrheiten der konservativen Stammtischpolitik entgegenstellen muss. Bei der Union ist da Hopfen und Malz verloren. Ich hoffe, Sie, Frau Justizministerin, haben mehr Standvermögen.
(Beifall bei der LINKEN)