Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Wir leben in einer verrückten
Zeit. Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist von Vertrauen
geprägt, sollte es jedenfalls sein. Was aber geschieht? Es
wird immer weiter verrechtlicht. Eine Hoffnung ist, solange
es kein einheitliches und überschaubares Recht des
Gesundheitswesens gibt, für viele Menschen die Patientenverfügung;
sie bleibt aber eine Notlösung. Wer das
nicht sieht, geht in die Irre.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, Sie
schlagen vor, die Patientenverfügung neu zu regeln. Dagegen
gibt es erst einmal gar nichts zu sagen. Sie haben
aber vergessen, dass eine Vorsorgevollmacht, eine Betreuungsverfügung
und möglichst auch eine klare Festlegung,
ob man als Organspender zur Verfügung steht oder
nicht, hinzugefügt werden müsste. Ansonsten nutzt die
Patientenverfügung nämlich relativ wenig.
Sie sorgen sich darum, dass die Fürsorge des Staates,
die Fürsorge des Arztes, die Fürsorge des Gesundheitswesens
in Bevormundung umschlägt und die Selbstbestimmung
der Menschen beeinträchtigt. Sie vergessen
aber - das muss, wenn das neu geordnet wird,
unbedingt hinzugefügt werden -, dass wir dafür sorgen
müssen, dass die Menschen, wenn man ihnen immer
mehr Selbstbestimmung gibt, nicht immer stärker vereinsamen
oder gar verwahrlosen. Das geschieht nicht
nur bei Alkoholkranken, das geschieht auch bei alten
Menschen, bei Demenz und anderen sozialen oder sonstigen
Schwierigkeiten. Im Übrigen: Wie soll ich selbst
bestimmen, wenn ich gar nicht weiß, welche Therapie
ich gerade brauche, weil ich die Diagnose gar nicht
selbst stellen kann?
Deshalb sage ich: In diesem Zusammenhang nützt
uns die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts allein
wenig. Wir müssen das Arzt-Patienten-Verhältnis, das
ein Vertrauensverhältnis sein sollte, stärken. Es kann
nicht sein, dass die Patienten zukünftig nur noch in Begleitung
ihres Rechtsanwalts zum Arzt gehen, wohl wissend,
dass neben dem Arzt dessen Rechtsanwalt sitzt,
und sich dann die Rechtsanwälte über die Diagnose unterhalten
und überlegen, welche Therapie von wem bezahlt
wird. Wenn wir so weit sind, haben wir verloren.
Eine grundlegende Regelung des Arzt-Patienten-Verhältnisses
im BGB wäre sinnvoll, damit sowohl die Ärztinnen
und Ärzte als auch die Patientinnen und Patienten
wieder weniger über rechtliche Dinge nachdenken müssen,
sondern man wieder stärker Vertrauen darin haben
kann, dass jede Seite ihre Sache so ordentlich macht,
dass für alle Seiten das Beste herauskommt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns eines
nicht vergessen: Zu große Hoffnung in die Patientenverfügung
zu legen, kann auch heißen, dass wir der aktiven
Sterbehilfe Tür und Tor öffnen. Was wollen wir denn
machen, wenn jemand frei und selbstbestimmt hineinschreibt:
Wenn das und das mit mir passiert, möchte ich
eine Giftspritze haben. Wie soll sich der Arzt dann verhalten?
Wenn die Patientenverfügung rechtsverbindlich
wäre, müsste er sie setzen. Ist sie es nicht, dann ist sie überflüssig.
Also: Lassen Sie uns auch festlegen, was in einer
Patientenverfügung nicht festgelegt werden darf, beispielsweise
die aktive Sterbehilfe. Lassen Sie uns dafür
sorgen, dass die Palliativversorung - auch ambulant -
richtig, schnell und flächendeckend ausgebaut wird und
die Sterbebegleitung ernst genommen wird. Das ist ein
Faktor, der ein paar Mark dreißig kostet, den wir uns
aber leisten müssen, damit die Menschen keine Angst
vor dem haben müssen, was passiert, wenn sie in eine
gesundheitlich ausweglose Situation geraten. Das ist angesagt
und nicht das einseitige Setzen auf Selbstbestimmung
gegen das Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient.
Ich danke Ihnen, dass Sie zu dieser späten Stunde
noch so aufmerksam waren, und hoffe, dass wir zu einem
vernünftigen Ergebnis kommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU, der SPD, der FDP und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Selbstbestimmungsrecht und Autonomie von nichteinwilligungsfähigen Patienten stärken
Rede
von
Ilja Seifert,