Sehr geehrte Damen und Herren,
was sich seit Jahren an den Außengrenzen der Europäischen Union abspielt, ist ein moralischer Skandal. Die humanitären Katastrophen vor den Grenzen der „Festung Europa“ haben wir mit unserer Politik zu verantworten. Die „Festung Europa“ wurde unter rot-grüner Bundesregierung maßgeblich fortentwickelt und heute unter schwarz-gelber Bundesregierung weiter aufgerüstet. Diese „Festungspolitik“ hat eine legale Einreise für Migrantinnen und Migranten in die EU faktisch unmöglich gemacht.
Die Politik der Abschottung zwingt Menschen, sich menschenverachtenden Schleuserbanden zuzuwenden, welche die Not der Menschen ausnutzen und sie auf seeuntüchtigen Booten zusammenpferchen. Bei der Diskussion über Schleuser dürfen wir jedoch nicht Ursache und Folgen verwechseln. Ursache der zunehmenden Schleusertätigkeiten an den EU-Außengrenzen ist die EU-Politik der Abschottung.
Ich möchte daran erinnern, dass es die rot-grüne Regierung war, die FRONTEX maßgeblich zur heutigen Flüchtlingsabwehragentur aufgerüstet hat. Das zeigt sich auch deutlich an der Grundausrichtung des Antrags von Bündnis 90/Die Grünen: Ich vermisse in dem Antrag eine grundsätzliche Kritik an FRONTEX! Alleine in den Jahren 2009 bis 2011 liegt das Budget für die EU-Grenzschutzagentur FRONTEX bei jährlich etwa 88 Millionen Euro. Human Rights Watch hat in seinem kürzlich vorgelegten Bericht darauf hingewiesen, dass die FRONTEX-Behörde Migrantinnen und Migranten, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung aussetzt.
DIE LINKE fordert, die Ausrichtung der Aufgaben von FRONTEX grundsätzlich zu verändern! Ebenfalls fehlt in dem Antrag eine scharfe Kritik an der Untätigkeit der NATO-Stellen, die das Mittelmeer lückenlos überwachen.
Der Antrag greift daher in einiger Hinsicht zu kurz. Die Fraktion DIE LINKE unterstützt im Grundsatz eine Ausweitung der Seenotrettung. Von den Staaten der Europäischen Union fordern wir, großflächige Kapazitäten für die Rettung von Menschen im Mittelmeer zur Verfügung zu stellen. Die Argumentation, dass hierdurch der angebliche „Flüchtlingsstrom nach Europa“ zunehmen würde, ist nicht nur zynisch, sondern auch falsch. Das hat mit der Realität der Flüchtlingszahlen nichts zu tun.
Im Jahr 2010 gab es etwa 44 Millionen Flüchtlinge. Das waren ungefähr 400.000 mehr als im Jahr 2009. Über 80 Prozent aller Flüchtlinge waren Binnenflüchtlinge oder Menschen, die in die direkten Nachbarländer flohen. Nur jeder fünfte Flüchtling schaffte es in die westlichen Industrieländer. 2010 lebten die meisten Flüchtlinge in Pakistan (1,9 Millionen), im Iran (1,1 Millionen) und in Syrien (1,0 Millionen). In Deutschland leben zur Zeit knapp 600 000 Flüchtlinge. Also sind es die armen Länder des Südens, die den Großteil der Flüchtlingsbewegungen aufgenommen haben!
In einem neuen Positionspapier beklagt Amnesty die völlig ungenügende Bereitschaft der meisten europäischen Länder, die etwa 5000 Flüchtlinge aufzunehmen, die aufgrund der Kämpfe aus Libyen fliehen mussten. Die Antwort der EU fiel, wie zu erwarten, bisher sehr zögerlich aus: Neben den USA, Australien und Kanada haben sich nur 8 europäische Länder zur Aufnahme von insgesamt lediglich 800 Menschen bereit erklärt!
Die Europäische Union baut immer höhere Mauern zur Abwehr von Flüchtlingen auf. Menschen werden ganz bewusst im Stich gelassen und müssen qualvoll im Mittelmeer ertrinken. Alleine in diesem Jahr sind mehr als 2000 Menschen ertrunken, als sie versuchten, in die Europäische Union zu gelangen. Die Gemeinschaft der europäischen Staaten schaut hier bewusst weg.
Am 20. September brach im Zug von Protesten ein Brand in einem überfüllten Flüchtlingslager auf der italienischen Insel Lampedusa aus. Das UNHCR erklärte hierzu, der Brand sei die Folge der wachsenden Spannungen unter den Flüchtlingen, die zu lange in haftähnlichen Bedingungen in den übervollen Lagern festgehalten werden. Mehrere hundert minderjährige unbegleitete Flüchtlinge leben zur Zeit unter unzumutbaren Bedingungen auf Lampedusa, manche bereits seit über sechs Wochen. An der griechisch-türkischen Landgrenze werden aufgegriffene Migrantinnen und Migranten in völlig überfüllte, menschenunwürdige Haftzentren überstellt. Diese Bilder sollen abschrecken und Menschen davon abhalten um Hilfe in der EU zu bitten. Diese menschenunwürdige Behandlung ist ein Armutszeugnis für Europa und seine humanitären Grundsätze! Genau hier muss eine effektive und humane Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union beginnen.
Die Fraktion DIE LINKE fordert auch seit vielen Jahren eine solidarische Flüchtlingspolitik für die Europäische Union. Staaten, die an der Außengrenze der EU liegen, dürfen wir nicht alleine lassen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
Wir wollen, dass Kapitäne und Schiffsbesatzungen verpflichtet werden, Menschen in Not zu helfen. Das internationale Recht muss so weiterentwickelt werden, dass Kapitäne, die Menschen in Seenot nicht helfen, sich für ihr Verhalten strafrechtlich verantworten müssen. Unterlassene Hilfeleistung auf See muss ein schwerwiegender Straftatbestand sein.
Der im Antrag der Grünen eingebrachte Vorschlag, Schiffe die Menschen in Seenot helfen, dafür eventuell auch zu entschädigen, ist intensiv zu prüfen. Gleichzeitig zeigt dieser Vorschlag auch die gesamte Perversität der heutigen Diskussion um die Seenotrettung auf: Menschen in Seenot werden deshalb im Stich gelassen, weil hierdurch wirtschaftliche Interessen berührt sind und eventuell zusätzliche Kosten für die Reedereien entstehen.
Der Tod von Menschen auf hoher See wird also bewusst in Kauf genommen, weil hierdurch die wirtschaftlichen Gewinne von Reedereien geringer ausfallen könnten! Das ist eine wahrhaft traurige Bilanz für unsere humanitären Grundsätze. Hier müssen wir endlich umdenken und zu einer menschlicheren Politik finden.
Stattdessen erleben wir sogar, dass Kapitäne, die Menschen auf See retten, wegen angeblicher Schlepperei angeklagt werden. Der Prozess gegen den ehemaligen "Cap-Anamur"-Vorsitzenden, Elias Bierdel, hat weltweit für Schlagzeilen gesorgt.
Auch der Fall des Fischers Zenzeri, der am 8. August 2007 auf ein kaputtes Schlauchboot mit 44 Flüchtlingen aus dem Sudan, Eritrea, Äthiopien, Marokko, Togo und der Elfenbeinküste stieß, ist ein Skandal. Die Tageszeitung berichtet, dass das kaputte Boot bei schwerer See manövrierunfähig in maltesischen Hoheitsgewässern trieb. Der Fischer tat das einzig richtige: Er entschied, dass das Boot, auf dem auch zwei Kinder, eines von ihnen behindert, und zwei schwangere Frauen waren, so schnell wie möglich an Land musste. Nachdem die Fischer SOS abgesetzt hatten, schickten die italienischen Behörden kein Boot zur Hilfe, sondern eine Patrouille der italienische Küstenwache. Für diese Hilfe wurde dem Fischer sein Schiff abgenommen und heute steht er vor Gericht mit einer Anklage wegen Schlepperei! Das ist unfassbar!
Solche Anklagen müssen in Zukunft unmöglich sein. Die Rettung von Schiffbrüchigen muss als oberstes Ziel und verbindliche Verpflichtung in den internationalen Abkommen, aber auch in den Rechtssystemen der Mitgliedsstaaten der EU, festgeschrieben werden.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
DIE LINKE begrüßt, dass mit dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen die überfällige und notwendige Debatte über den Schutz von Flüchtlingen durch die Staaten der EU in Gang gekommen ist. Dieser Antrag muss jedoch weiterentwickelt werden, damit wir endlich zu einer Flüchtlingspolitik finden, die Menschen in Not und auf der Flucht nicht mehr als Last begreift. Die Hilfe für solche Menschen muss zu einem wesentlichen Bestandteil des humanitären Handelns von Staaten und Staatengemeinschaften werden.
Vielen Dank.