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Schwarz-Gelb macht das Gesundheitssystem vollends kaputt

Rede von Martina Bunge,

Rede am 23. November 2010 im Deutschen Bundestag zum Haushaltsplan 15 - Gesundheit

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Einen guten Haushalt zieren Haushaltsklarheit und Haushaltswahrheit. Schauen wir uns einmal den Einzelplan 15 an. Sie stellen 2 Milliarden Euro als zusätzlichen Bundeszuschuss an die gesetzliche Krankenversicherung ein. Das wäre nicht nötig, wenn Sie zwischen den Ressorts für Ordnung sorgten und endlich die Entlastung des einen Haushalts auf Kosten des anderen beenden würden. So wurden vor Jahren ganz bewusst für eine Kostenminderung im Haushalt des Ministeriums für Arbeit und Soziales die Beiträge für die Arbeitslosengeld II Bezieher willkürlich gesenkt, und zwar zuungunsten der gesetzlichen Krankenversicherung. Das ist eine nicht unwesentliche Ursache, wie ich meine, für das Milliardenloch im Gesundheitsfonds.
Der Einzelplan 11 Arbeit und Soziales ist verabschiedet. Sie haben nicht endlich reinen Tisch gemacht. Sie haben unserem Antrag, der für Ordnung und für angemessene Beiträge für ALG II Bezieher sorgen und damit der gesetzlichen Krankenversicherung 5 Milliarden Euro bringen sollte, nicht zugestimmt. Sie wollen das Gesundheitssystem vollends kaputt machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Gesundheitssystem machen Sie kaputt, das, wie die vorgestern hier in Berlin vorgestellte Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt, vielen Ländern mit bisher solidarischer Ausrichtung Vorbild ist.


(Zuruf von der FDP: Kuba!)


Herr Minister, ich habe mir die Studie ebenfalls genau angeschaut, interpretiere sie aber anders. Dort sind drei Tendenzen genannt. Zum einen soll ein besserer Zugang zum Gesundheitswesen geschaffen werden, möglichst für alle. Zum anderen soll ein immer größerer Leistungsumfang gewährt werden, möglichst ein voller für alle. Des Weiteren sollen die direkten individuellen Kosten verringert werden. Das Ziel ist, möglichst keine zu haben. Die anderen Länder gehen in diese Richtung und schauen dabei noch auf Deutschland. Merken Sie nicht, dass Sie mit der Reform am Freitag der letzten Sitzungswoche alles umdrehen, dass es in eine andere Richtung geht? Sie schicken Deutschland als Geisterfahrer auf die Autobahn. Das ist die Wahrheit über Ihre Politik.


(Beifall bei der LINKEN)


Insofern ist der Bericht der WHO eine schallende Ohrfeige für die Politik der Bundesregierung, insbesondere für die Gesundheitspolitik. Kollegin Ferner, ich stimme Ihnen voll zu: Die Kopfpauschale, aber auch alle anderen Zuzahlungen und die Praxisgebühr müssen weg.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Begründung für die Politik der Regierung müssen immer wieder wir haben das gerade vom Kollegen Spahn wieder gehört steigende Kosten wegen der demografischen Entwicklung und des medizinischen Fortschritts herhalten, als seien diese Kosten nicht durch gute Politik beeinflussbar. Aber Schwarz-Gelb will keine gute Politik machen, sondern Politik für ihre Klientel. Daher leugnet sie Handlungsmöglichkeiten.
Ich möchte dazu aus der Antwort der Bundesregierung auf unsere Kleine Anfrage zitieren, in der wir sie unter anderem fragen: Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, damit ein steigender Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung nicht zu steigenden Gesundheitsausgaben führt?
Die Antwort lautet:
Die Bundesregierung sieht steigende Gesundheitsausgaben nicht als Fehlentwicklung an, wenn diese Resultat einer in der Folge der Bevölkerungsalterung ansteigenden Multimorbidität … sind.
Also, die kränker werdende Bevölkerung ist eine ganz normale Entwicklung für diese Regierung, und diese Entwicklung wird hingenommen. Die Bundesregierung interessiert sich nicht dafür, was man tun müsste, um die Kosten für die älter werdende Gesellschaft nicht als unumstößliches Schicksal Herr Spahn, das haben Sie eben wieder getan hinzunehmen. Das ist eine Herausforderung, der man mit vernünftiger Politik begegnen kann und muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und viele Gesundheitsfachleute widmen sich diesem Problem und stoßen dabei auf Lösungen. Eine der wichtigsten Lösungen ist eine umfassende, vernünftige Gesundheitsförderung und Prävention. Die Gesundheitsförderung muss aber die Menschen wirklich erreichen, besonders Benachteiligte stärken und Menschen länger gesund leben lassen. Das ist eine Antwort auf die Kosten durch die Alterung der Gesellschaft und nicht das bloße Umwälzen der Kosten. Statt hierfür im Haushalt immer nur einige Tausend Euro oder einmal ein Milliönchen bereitzustellen, könnten die anfangs erwähnten 2 Milliarden Euro eingesetzt werden, um einen wirklichen Paradigmenwechsel in Richtung präventives Gesundheitssystem einzuleiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Das wäre eine Win-Win-Situation, das wäre ein Fortschritt für die Gesundheit der Menschen und ein Schritt gegen die Kostensteigerung im Gesundheitssystem. Sie aber sagen vergleichbar einem Pawlow’schen Reflex immer: Wir tun doch viel für die Prävention. Diese Wortverdrehungen lasse ich Ihnen jetzt benutze ich einmal Ihre oberlehrerhaften Worte, Herr Spahn nicht mehr durchgehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie verkaufen Bürgerinnen und Bürgern sinnverdrehend asozial als sozial, unbedacht als nachhaltig, und Sie verkaufen nun die sogenannte Eigenverantwortung als Gesundheitsförderung und Prävention. So beschränkt sind die Menschen im Lande nicht, dass sie diese Wortverdrehungen nicht bemerken.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Daran ändert auch nichts, dass Sie, Herr Minister, heute ein Bekenntnis zur Prävention als Mittelpunkt der Gesundheitsförderung abgelegt haben. Das war anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Qualitätssiegels „Sport pro Gesundheit“. Ihr Haushalt und Ihre Politik sprechen eine andere Sprache. Das ist klar festzustellen. Gesundheitsförderung bedeutet, die Lebensbedingungen der Menschen gesundheitsförderlich zu gestalten. Gesundheitsförderung heißt auch, Menschen nicht permanent zu überfordern, sondern sie vor angemessene Herausforderungen zu stellen. Gesundheitsförderung beginnt da, wo Arbeit bis zur Unerträglichkeit intensiviert wird und wo die Luft durch den Verkehr in dicht besiedelten Wohngebieten, der diejenigen, die dort wohnen, nicht entfliehen können, verpestet wird.


(Heinz Lanfermann (FDP): Das ist ja wie in Bitterfeld!)


Gesundheitsförderung hat auch damit zu tun, Menschen mit niedrigen Löhnen oder viel zu niedrigen Hartz-IV-Regelsätzen den Zutritt zur Kultur am Abend zu ermöglichen.
Auf ein Wort des Gesundheitsministers zu den teils gesundheitsfeindlichen Lebensbedingungen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und Langzeitarbeitslosen kann man hier im Parlament lange warten. Lieber redet der vormalige Wirtschaftsminister Rösler über Geld für Unternehmen, Wirtschaftsförderung durch eingefrorene Arbeitgeberbeiträge, über Markt und Wettbewerb zwischen den Unternehmen im Gesundheitsbereich und generell. Von einem Arzt, der den Eid des Hippokrates geleistet hat, habe ich etwas anderes erwartet und sicher nicht nur ich.


(Beifall bei der LINKEN Jens Spahn (CDU/CSU): Das ist schon fast grenzwertig, Frau Kollegin!)


Auch Pflegebedürftigkeit könnte mit zielgerichteter, flächendeckender Gesundheitsförderung und Prävention in hohem Maße vermieden werden. Aber Sie, Herr Minister, haben hier Pläne für eine Kopfpauschale zur zwangsweisen Bildung eines Kapitalstocks sicher individuell und tun damit der Versicherungswirtschaft einen Riesengefallen. Sie machen ihr ein schönes „Weihnachtsgeschenk“. Das zeigt, welchen Lobbygruppen Sie gehorchen. Auch hier wäre eine solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung für uns, Herr Spahn, eine ehrliche Lösung.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir befinden uns daran möchte ich Sie zum Abschluss erinnern im Europäischen Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Gesundheitsförderung könnte einen Beitrag zur Schaffung sozialer Chancengleichheit leisten. Aber diese Regierung, dieser Haushalt geben das nicht her. Deshalb lehnen wir ihn ab.


(Beifall bei der LINKEN - Jens Spahn (CDU/CSU): Das wussten wir schon!)