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Schutzschirm für die Menschen: Weg mit dem Progressionsvorbehalt beim Kurzarbeitergeld

Rede von Barbara Höll,

Zu Protokoll gegebene Rede zum von der Fraktion DIE LINKE eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung des Progressionsvorbehalts für Kurzarbeitergeld

Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Die Krise ist im Alltag der Menschen angekommen. Entlassungen und Kurzarbeit sind an der Tagesordnung. Die Einkommen sinken. Die Arbeitslosenzahlen steigen. Wir gehen auf 5 Millionen Arbeitslose zu, sagen die Wirtschaftsforschungsinstitute in ihrem Frühjahrsgutachten. Auch deshalb fordert DIE LINKE einen Schutzschirm für die Menschen. Dazu gehört für uns die Abschaffung des Progressionsvorbehalts für Kurzarbeitergeld.

Immerhin hat die Regierung im Konjunkturpaket I den Zeitraum für den Bezug von Kurzarbeitergeld auf 18 Monate verlängert und den Arbeitgeberanteil bei den Sozialabgaben gesenkt. Das ist eine direkte Hilfe für die Beschäftigten. Erst einmal bewahrt es sie vor Arbeitslosigkeit, wenn auch mit deutlichen Lohneinbußen. So bekommen auch die Unternehmen eine Atempause. Wir begrüßen diese Maßnahme daher ausdrücklich. Aber das war es dann auch schon für die Arbeitnehmerseite.

Jetzt richtet die Bundesregierung ihr Augenmerk vorrangig auf die Interessen der Unternehmen. Dazu passt die Ankündigung von Ende April, wonach die Unternehmen demnächst von den Sozialversicherungsbeiträgen ab dem siebten Monat der Kurzarbeit komplett entlastet werden. Gleichzeitig will die Regierung die Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes auf 24 Monate verlängern, ohne dabei eine Garantie für die Leistungen der Arbeitslosenversicherung zu geben. Aber dazu später mehr.

Das Kurzarbeitergeld soll dagegen nicht erhöht werden. Zur Erinnerung: Das Kurzarbeitergeld betrug in der Bundesrepublik schon einmal einheitlich 68 Prozent des Nettolohnverlusts. 1994 wurde es auf die heutigen Sätze von 60 Prozent für Alleinstehende und 67 Prozent für Familien reduziert. Die Linke fordert die sofortige Anhebung des Kurzarbeitergeldes auf 80 Prozent des Nettolohnverlusts bzw. 87 Prozent bei Familien. So meinen wir das mit dem Schutzschirm für Menschen.

Der eigentliche Skandal aber ist: Die Bundesregierung tut so, als zahle sie die Zeche. Dabei werden die Kosten nicht vom Bund, sondern von der Bundesagentur für Arbeit getragen. Die Zeche zahlen also die Beschäftigten selber. Die Bundesagentur hat in diesem Jahr 2,1 Milliarden Euro für Kurzarbeit bereitgestellt. Wirtschaftsforschungsinstitute schätzen die Kosten allerdings bereits auf 10,5 Milliarden Euro. Richtig katastrophal ist aber, dass Sie gleichzeitig im Konjunkturpaket I noch den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zum 1. Januar von 3 auf 2,8 Prozent gesenkt haben. Das reißt riesige Löcher in die Kasse der Bundesagentur. Die FAZ schreibt am 8. Mai: Die Bundesagentur rechnet bis zum Jahr 2013 mit einem Defizit von 55 Milliarden Euro. Ich frage Sie: Wer zahlt das am Ende? Sie versuchen doch nur, sich über die Bundestagswahlen im September zu retten. Danach die Sintflut! Das ist unverantwortlich, sage ich Ihnen.

Auch beim Kurzarbeitergeld betreibt die Bundesregierung ein falsches Spiel. Sie preist das Kurzarbeitergeld als Wohltat, verschweigt aber, dass Sie sich im Folgejahr einen Teil des Geldes wieder zurückholt, und zwar von den Kurzarbeiterinnen und -arbeitern. Dafür sorgt der sogenannte Progressionsvorbehalt. Das heißt, das Kurzarbeitergeld wird zwar selbst nicht direkt besteuert, da es nicht in das zu versteuernde Einkommen einfließt. Wohl aber erfolgt eine indirekte Besteuerung. Denn bei der Bestimmung des anzuwendenden Steuersatzes wird es berücksichtigt, und der steigt mit steigendem Einkommen. Die Folge dieser auch steuersystematisch umstrittenen Behandlung des Kurzarbeitergeldes ist, dass Kurzarbeiterinnen und -arbeiter im Folgejahr zum Teil erhebliche Steuernachzahlungen zu leisten haben.

Ein Beispiel: Die Arbeitszeit eines kinderlosen Gerüstbauers wird für das komplette Jahr 2009 auf die Hälfte reduziert. Er verdient nun monatlich statt 2 500 nur noch 1 250 Euro brutto. Von diesen Bruttobezügen führt sein Arbeitgeber in diesem Jahr insgesamt 648 Euro als Lohnsteuer an das Finanzamt ab; Steuerklasse I, ohne Kind, kirchensteuerpflichtig. Die ist allerdings nach geltendem Steuerrecht zu niedrig angesetzt, da der Betroffene 2009 monatlich 378,34 Euro als Kurzarbeitergeld erhält. Dies wird im Nachhinein beim Ermitteln des Steuersatzes berücksichtigt. Es ergibt sich dadurch für das Jahr 2009 eine Steuerschuld von insgesamt 1 297,20 Euro einschließlich Solidaritätszuschlag, aber ohne Kirchensteuer. Der Gerüstbauer wird 2010 voraussichtlich 649,20 Euro an Steuern nachzahlen müssen. Ein Unding!

Niemand will freiwillig in Kurzarbeit und so Nettolohneinbußen hinnehmen. Wenn man dann aber auch noch im Folgejahr Steuern nachzahlen muss, ist das Irrsinn. Für die Betroffenen ist das ein harter Schlag und bringt sie oft in finanzielle Probleme. Fest steht doch, dass ein Teil der heutigen Kurzarbeiter im nächsten Jahr weiterhin kurzarbeiten wird bzw. arbeitslos wird. Sie bürden Arbeitslosen auch noch Steuernachzahlungen auf. Und das finden Sie gerecht, oder? Wir nicht.

Den sogenannten Lohnsteuerbonus aus ihrem Wahlprogramm können Sie sich, meine Damen und Herren von der SPD, an den Hut stecken. Er nutzt den Betroffenen gar nichts. Bezieherinnen und Bezieher von einem Kurzarbeitergeld über 410 Euro sind rechtlich zur Abgabe einer Steuererklärung verpflichtet. Das bezogene Kurzarbeitergeld ist zudem beim Finanzamt gemeldet, denn es wird auf der Lohnsteuerkarte vermerkt.

Dabei ist eine gerechte Lösung für die Betroffenen so einfach: Heben Sie den Progressionsvorbehalt auf! Unser Gesetzentwurf liegt Ihnen vor; es ist ein ganz konkreter und leicht umzusetzender Vorschlag. Sie brauchen dem nur zuzustimmen. Und tun Sie nicht so, als sei der Progressionsvorbehalt für die große Koalition eine heilige Kuh. Im letzten Jahressteuergesetz haben Sie mal so eben ganz nebenbei die entsprechende Regelung für bestimmte Kapitaleinkommen aus dem Ausland fallen gelassen. Der Einkommensmillionär kann seine Mieterträge aus dem Ausland steuerfrei erzielen, während die Kurzarbeiterin nachträglich Steuern für ihr Kurzarbeitergeld zahlen muss. Das kann doch wohl nicht Ihr Ernst sein. Bewegen Sie sich, und stimmen Sie unserem Antrag zu!