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Schluss mit der Schönrednerei - ISAF-Mandat bedeutet Krieg!

Rede von Jan van Aken,

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren,


Sie werden gleich dafür stimmen, 4 500 deutsche Soldaten in den Krieg zu schicken. Sie sagen es nur nicht. Sie reden hier die ganze Zeit von Mandat, von Abzugsperspektive auf das Wort muss man erst einmal kommen , von Missionen, von Einsatz, als ob das Ganze eine Feuerwehrübung in Castrop-Rauxel wäre.


Das ist es aber nicht. Es geht hier um einen Krieg. Die Entscheidung, die Sie gleich im Bundestag treffen, wird Menschenleben kosten, und das verschweigen Sie.


Wie weit dieses Ausblenden einer Kriegsrealität geht, musste ich vor zwei Tagen in seiner ganzen Breite und Tiefe erfahren. Da habe ich den Verteidigungsminister zu Guttenberg gefragt, wie viele zivile Opfer es insgesamt in den letzten Jahren durch die Bundeswehr in Afghanistan gegeben hat. Er wusste es nicht.

Auch die ganze Riege der Generäle, die hinter ihm saß, wusste es nicht. Das interessiert Sie einfach nicht, wenn in Ihrem Krieg unschuldige Zivilisten zu Tode kommen, es sei denn, es steht irgendwann einmal in der Bild-Zeitung.

Es geht hier auch nicht nur um die Bombenabwürfe in Kunduz. Die beiden Tanklaster sind doch nur die Spitze des Eisberges. Darunter liegen viele Tausende Tote. Ich habe hier nur eine Zahl von den Vereinten Nationen für Sie: In den letzten zweieinhalb Jahren sind in Afghanistan 4 654 unschuldige Zivilisten bei Kampfhandlungen getötet worden, ein Drittel davon von afghanischen und westlichen Truppen.

Darin sind all die noch nicht eingerechnet, die im Krieg an Unterernährung und Krankheit gestorben sind.

Herr zu Guttenberg, es reicht einfach nicht, dass Sie einen Krieg auch einen Krieg nennen. Sie müssen auch sagen, welches Elend und welche Zerstörung dieser Krieg jeden Tag in Afghanistan bedeutet.

Ihre Soldaten wissen das ganz genau.
Ich möchte jetzt den Wehrbeauftragten des Bundestages zitieren.
Er hat immer einen sehr engen Kontakt zu den Soldaten. Er hat neulich in einer Fernsehsendung etwas gesagt, was mir bis heute keine Ruhe lässt. Er sagte nämlich, bei seinem letzten Besuch in Afghanistan hätten deutsche Soldaten ihn bedrängt: Herr Robbe, wenn Sie wieder in Berlin sind, dann sagen Sie doch bitte, dass im Moment hier keine Brunnen gebaut werden und auch keine Schulen errichtet werden, sondern dass hier Krieg stattfindet. - Das ist die Stimme der deutschen Soldaten in Afghanistan. Ich habe mir kurz überlegt, ob ich diesen Satz heute nicht immer und immer wieder vorlesen soll: Sagen Sie doch bitte, dass im Moment hier keine Brunnen gebaut werden und auch keine Schulen errichtet werden, sondern dass hier Krieg stattfindet.

Wir müssen endlich aufhören, diesen Krieg als große Aufbauaktion darzustellen. Wenn ich Ihnen heute hier zuhöre, dann habe ich das Gefühl, Sie schicken Care-Pakete nach Afghanistan und keine Soldaten. Wenn die deutschen Soldaten selber sagen, hier werde nichts aufgebaut, dann müssen Sie auch einmal darauf hören.

Das Gleiche gilt übrigens auch für die Entwicklungshelfer, die tagtäglich vor Ort sind. Sie sagen seit Jahren das Gleiche: Da, wo das Militär ist, können wir gar nichts aufbauen. - Erst gestern hat dazu CARE, eine der größten internationalen EntwicklungshilfeorganisationenHilfsorganisationen, deutliche Worte gefunden: In dem Moment, in dem wir gezwungen werden, mit dem Militär zusammenzuarbeiten, werden wir von den Menschen vor Ort nicht mehr akzeptiert. Dieses Risiko können wir nicht eingehen. Deshalb nehmen wir kein Geld an, das uns zwingen würde, mit dem Militär zusammenzuarbeiten.

Nehmen wir doch einmal einen Zeugen aus den Reihen der Bundeswehr. Der ehemalige Bundeswehrarzt Reinhard Erös baut seit sieben Jahren in Afghanistan Schulen für Mädchen und Jungen, und zwar im Osten, wo die Amerikaner sind, also mitten im Hauptkampfgebiet, mitten im Talibangebiet. Was sagt er dazu? Ich habe neulich mit ihm in einer Talkshow gesessen, in der er gesagt hat: Die Voraussetzung dafür, dass ich meine Schulen bauen und betreiben kann, ist, dass sich das Militär heraushält. Die Amerikaner haben bei uns die strikte Vorgabe, an die sie sich auch halten: Kommt unseren Schulen nicht zu nahe, Distanz vier bis fünf Kilometer. - Das hat er militärisch präzise ausgedrückt.

Herr Erös sagte weiter: Also vVerbindet Schulen nicht mit westlichen Soldaten. Und das funktioniert mitten im Talibangebiet. - Das sind die Realitäten. Hören Sie endlich auf, hier Krieg als Wohltätigkeitsveranstaltung anzupreisen!


Eine Frage habe ich die ganze Zeit: Warum überhaupt, warum schicken Sie jetzt wieder 4 500 deutsche Soldaten in den Krieg? In ihrem Antrag nennt die Bundesregierung dafür genau zwei Gründe. Der erste Grund ist die Sicherheit Deutschlands, also Terrorbekämpfung. Dabei wissen doch alle Militärs und auch Sie, Herr zu Guttenberg, ganz genau, dass sich Terror nicht mit Krieg bekämpfen lässt.


Im Gegenteil: Mit jedem einzelnen Bombenabwurf und mit jedem einzelnen Toten in Afghanistan wächst der Widerstand dort. Auch die internationalen Terrororganisationen bekommen mehr und mehr Zulauf von jungen Leuten.

Der zweite Grund, den Sie nennen, ist die Bündnistreue. Sie schreiben in dem Antrag, dem Sie gleich zustimmen werden, als Begründung für den Kriegseinsatz:
Für die Bundesregierung ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit als Bündnispartner ...
Wenn ich mir vorstelle, dass mir als Soldaten in Afghanistan die Kugeln rechts und links um die Ohren fliegen und mein oberster Dienstherr mir sagt: ”Das machst du, um die deutsche Bündnistreue zu demonstrieren”, dann muss ich doch sofort den Dienst quittieren.


Nehmen Sie sich ein Beispiel an Kanada und Australien, die den Mut hatten, ihre Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Nehmen Sie sich auch ein Beispiel am niederländischen Parlament, das den Mut hatte, den Abzug seiner Soldaten zu beschließen.

Bringen auch Sie endlich einmal den Mut auf, den Abzug der deutschen Soldaten zu beschließen und jetzt endlich den Weg zum Frieden einzuschlagen.
Die spannende Frage ist natürlich: Was ist der Weg zum Frieden? Wie könnte er aussehen? Da muss man das Rad gar nicht neu erfinden.

Denn in jedem Krieg ist der allererste Schritt, den man machen muss, um zum Frieden zu kommen, ein Waffenstillstand.

Warum redet hier eigentlich niemand über Waffenstillstand?
Der kann natürlich scheitern. Aber ohne einen Waffenstillstand wird es niemals Frieden geben.

Das war in jedem Krieg so, und das ist auch im Afghanistan-Krieg so.
Also, Herr Westerwelle, wann fangen die Verhandlungen an? Wissen Sie jetzt schon, mit welchen lokalen Führern Sie dann zusammenarbeiten wollen?

Haben Sie den Waffenstillstand schon auf die Tagesordnung der Afghanistan-Konferenz gesetzt?Das darf doch keine Truppenstellerkonferenz, sondern muss eine Friedenskonferenz werden.

Wir als Linke bleiben dabei: Wir lehnen diesen Krieg ab. Wir lehnen den Kriegseinsatz der deutschen Soldaten ab, und wir werden uns weiterhin im Bundestag und auf der Straße für einen Waffenstillstand, für einen wirklich zivilen Aufbau in Afghanistan und für einen endgültigen Frieden einsetzen.

Vorhin hat ein Abgeordneter der CDU/CSU Immanuel Kant zitiert:
Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft.
Recht hat er. Aber der Krieg, den Sie jetzt gleich beschließen, ist das Meisterstück der Unvernunft.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland keine Waffen mehr exportieren sollte. Ob wir nun deutsche Soldaten oder deutsche Waffen in einen Krieg schicken, beides ist falsch. Ich sage Ihnen: Wir werden keine Ruhe geben, bis beides aufhört.
Ich danke Ihnen.