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Schluss mit dem Teilkaskoprinzip in der Pflege

Rede von Inge Höger,

Die Koalition hört nur dem ständigen Jammern der Arbeitgeber zu. Sie will den Kahlschlag bei den Sozialversicherungen fortsetzen. Dabei leiden gerade die kleinen Betriebe stärker unter den Kaufkraftverlusten infolge ihrer Politik als unter den so genannten Lohnnebenkosten oder - so heißen sie neuerdings - Lohnzusatzkosten. Wir Linken im Bundestag wollen eine grundlegende Reform der Kranken- und Pflegeversicherung. Wir brauchen ein Ende des Teilkaskoprinzips in der Pflege fordert Inge Höger-Neuling in der Haushaltsdebatte 2006.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Herr Doktor, ich verdurste!“ Eine ständig bettlägerige Patientin empfängt mich mit diesen Worten. Ihre Zunge ist trocken, die Lippen rissig, Klingel und Flüssigkeit außer Reichweite. Bei meinen nächsten Besuchen keine Änderungen! Reaktion der Heimleitung: „Wir haben kein Geld für mehr Personal.“ Dies ist eine Passage aus der Zuschrift eines Arztes, der Patientinnen und Patienten in Pflegeheimen betreut. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Aus der ehemaligen DDR, oder wie?) Es ist ein hilfloser, wütender Aufschrei, aber ein ganz normaler Fall von Vernachlässigung in Pflegeheimen. „Pflegende können an vielen Stellen den ethischen Konflikt zwischen dem professionellen Anspruch und dem, was das System heute bereit ist zu finanzieren, kaum noch auflösen“, sagt die Bundeskonferenz der Pflegeorganisationen. Fakt ist: Der Pflegenotstand in diesem Land wächst ständig. Das sagt auch ein Gutachten des Landespflegeausschusses Nordrhein-Westfalen. Ich zitiere: Es „lässt sich folgern, dass spürbare Qualitätsverbesserungen eine Erhöhung des Leistungsumfangs und damit eine bessere Personalausstattung voraussetzen“. Auf den Punkt gebracht: Wir schulden den alten und kranken Menschen etwas. Sie brauchen mehr Personal. Sie brauchen besser ausgebildetes Personal. Wir brauchen mehr Geld für die Pflege. Den ganzen Tag schon haben wir uns Reden über Geld angehört. Auch ich rede hier über Geld, über Geld, das nicht ausgegeben, über Geld, das nicht eingenommen wird, weil diese schwarz-rote Regierung genau wie ihre rot-grüne Vorgängerin ihre Hausaufgaben nicht macht. In den vergangenen Jahren gab es wenigstens ein Modellprogramm zur Verbesserung der häuslichen Versorgung Pflegebedürftiger. Das läuft nun aus. Aus dem Etat des Gesundheitsministeriums wird nichts, aber auch gar nichts zur Verbesserung der Pflegesituation gefördert. Verbesserungen im Bereich der Demenzerkrankungen sind nur Gegenstand von Verkündungspolitik. Es ist auch heuchlerisch, wenn Staatssekretärin Caspers-Merk darauf hinweist, dass immer mehr Menschen in Heime eingewiesen werden, die es eigentlich gar nicht nötig hätten. Da mag das CDU-regierte Land Baden-Württemberg in einem aktuellen Bundesratsantrag noch so deutlich schreiben: „Handlungsbedarf besteht deswegen derzeit in allen Leistungsbereichen der Pflegeversicherung, vorrangig im ambulanten Be-reich“ -  (Beifall bei der LINKEN) die schwarz-rote Koalition hier im Bundestag hört einfach nicht hin. Die Koalition hört nur dem ständigen Jammern der Arbeitgeber zu. Sie will den Kahlschlag bei den Sozialversicherungen fortsetzen. Dabei leiden gerade die kleinen Betriebe stärker unter den Kaufkraftverlusten infolge ihrer Politik als unter den so genannten Lohnnebenkosten oder - so heißen sie neuerdings - Lohnzusatzkosten. Wir Linken im Bundestag wollen eine grundlegende Reform der Kranken- und Pflegeversicherung. Wir brauchen ein Ende des Teilkaskoprinzips in der Pflege. Wir brauchen eine Versicherung, die alles Notwendige übernimmt. Die Menschen brauchen sachgerechte Dienstleistungen. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Wer soll das bezahlen?) - Dazu, wer das bezahlen soll, komme ich noch. - Alle müssen die Pflege bekommen, die sie brauchen. Dazu müssen alle in die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung einzahlen: Vermieter genauso wie Aktienbesitzerinnen bzw. Aktienbesitzer, (Beifall bei der LINKEN) Selbstständige genauso wie Menschen mit Vermögen, und zwar ohne Beitragsbemessungsgrenze, ohne Versicherungspflichtgrenze. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Also eine Steuer!) Niemand soll sich aus der Solidargemeinschaft verabschieden können. (Beifall bei der LINKEN) Die sozialen Sicherungssysteme haben auch Kostenprobleme; aber diese Probleme sind unverhältnismäßig geringer als die Einnahmeprobleme. Wir haben gravierende Einnahmeprobleme sowohl in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung als auch in den anderen Solidarsystemen. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Die Linke fordert Würde für Alte und Kranke. Wir fordern sachgerechte Leistungen und mehr Personal sowohl für die stationäre als auch für die ambulante Pflege. Wir sind an der Seite der Beschäftigten in den Kliniken und an der Seite der Ärzte, die für mehr Qualität in der Medizin und in der Pflege kämpfen. (Beifall bei der LINKEN)