Müssen wir die Risiken des Anbaus von Genmais eingehen, um dem Maiszünsler den Garaus zu machen? Die Skepsis dagegen ist berechtigt, denn die Grüne Gentechnik ist eine Risikotechnologie; durch sie eingetretene Schäden sind nicht oder kaum zu beheben. Ich halte Minister Seehofers politisches Abenteuer Freilandversuche mit 88 Millionen Menschen und mit einer unwiederbringlichen Natur, um die Risiken der Gentechnik bewerten zu können angesichts vorliegender bedenklicher Daten für unverantwortlich.“ Rede zum Antrag „Bei gentechnisch veränderten Pflanzen nationales Recht auf Einfuhrverbote und Schutzmaßnahmen nutzen“, Bt.-DS: 16/1176.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wer würde den Maiszünsler kennen, wenn es nicht die intensive Diskussion über die Grüne Gentechnik und ihr Für und Wider gäbe? Das zeigt uns, dass manche politische Debatte durchaus Bildungswert hat. Zur Erinnerung: Der Maiszünsler ist ein Schädling, der in allen Maisanbaugebieten heimisch ist. Deswegen ist die Frage: Ergreifen wir Gegenmaßnahmen? Wenn ja, welche? Wie einige wissen, komme ich aus der schönen Prignitz im Nordwesten Brandenburgs. Die dortige SPD-CDU-Landesregierung hat meiner Kollegin Carolin Steinmetzer im November 2005 auf eine Kleine Anfrage geantwortet, dass es insbesondere in den östlichen Landesteilen Befallsschwerpunkte mit Befallshäufigkeiten von zum Teil mehr als 50 Prozent gäbe. Die Landesregierung kommt dann zum Schluss, dass ein genereller Einsatz von Bt-Mais also Gen-Mais auf allen Befallsstandorten als nicht erforderlich angesehen wird. Man könne nämlich ... mit den zur Verfügung stehenden ackerbaulichen Maßnahmen ... das Auftreten dieses Schaderregers unter der wirtschaftlichen Schadensschwelle ... halten. (Beifall der Abg. Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) Es besteht also berechtigterweise die Frage: Müssen wir überhaupt die Risiken des Anbaus von Genmais eingehen, um dem Maiszünsler den Garaus zu machen? Eine ganze Reihe Brandenburger Landwirte hat unterdessen, vielleicht gerade weil diese Frage im Raum steht, ihre Anbauanmeldungen für dieses Jahr zurückgezogen. Die Skepsis ist berechtigt, denn die Grüne Gentechnik ist eine Risikotechnologie; durch sie eingetretene Schäden sind nicht oder kaum zu beheben. (Beifall bei der LINKEN) Diskussionen auf der Ebene der Totschlagargumente Technologiefeindlichkeit versus blinder Fortschrittsglaube bringen uns aber nicht weiter. Neben ethischen Aspekten und der Abhängigkeit von den Saatgutmultis gehört vor allem die Bewertung der Risiken auch in Abwägung möglicher Nutzen in das Zentrum dieser Debatte. Die anfängliche Euphorie bei der Agro-Gentechnik wird ohnehin zunehmend von nüchterner Skepsis abgelöst. So konnte zum Beispiel in den neuesten Genmaisstudien im Oderbruch wie auch schon in den USA kein positiver Ertragseffekt nachgewiesen werden. Prinzipiell ist unsere Gesellschaft bereit, Risiken im Kontext des Lebensalltags einzugehen. Trotz der Verkehrstoten wird niemand ernsthaft den Straßenverkehr infrage stellen. Wenn zum potenziellen Risiko aber auch noch ein sehr fraglicher Nutzen kommt, dann ist das einfach zuviel. Die Menschen haben deswegen die völlig berechtigte Erwartung an die politischen Entscheidungsträger, dass die ökologischen und die gesundheitlichen Risiken des Anbaus gentechnisch veränderter Pflanzen mit Abschluss eines Zulassungsverfahrens objektiv geklärt sein müssen. Es macht mich daher sehr nachdenklich, dass sich die EU-Kommission jetzt zu tief greifenden Änderungen des Zulassungsverfahrens veranlasst sieht. Dabei sind die von den EU-Kommissaren für Verbraucherschutz, Markos Kyprianou, und für Umwelt, Stavros Dima, vorgeschlagenen Korrekturen alles anderes als nur Schönheitsreparaturen. Er geht unter anderem um den Umgang mit divergierenden wissenschaftlichen Gutachten, die Ablehnung wissenschaftlich fundierter Einwände und die Klärung spezifischer Protokolle zum Sicherheitsnachweis. Dieser Vorgang stellt aus unserer Sicht alle bisher erfolgten Zulassungen ganz grundsätzlich infrage übrigens auch über die von den Grünen in ihrem Antrag vorgebrachten Argumente hinaus. Vizepräsidentin Petra Pau: Frau Kollegin Tackmann, lassen Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Höfken zu? Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Ja. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe mich aus wirklich sachlichem Grund gemeldet. Fast alle Ihre Ausführungen kann ich wirklich begrüßen. Ich war gestern in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern und frage mich, ob Sie als Beteiligte in der SPD/PDS-Landesregierung bereit sind, diese Auffassung auch durchzusetzen; denn ich muss wirklich sagen: Die Versuche, die dort von der Uni Rostock gemacht werden, gehen an die Grenzen dessen, was man mit der Freiheit der Forschung im Hinblick auf die Rechte der Menschen im Umfeld dieser Forschungseinrichtungen Recht auf Eigentum, Recht auf freie Berufsausübung und Ähnliches wirklich noch verantworten kann. Dort wird nämlich gentechnisch veränderter Raps getestet und es werden zudem noch sehr umstrittene Versuche mit einer Medikamentenkartoffel zum Zwecke der Impfstoffherstellung mithilfe von Choleragenen durchgeführt. Meine Frage an Sie lautet: Sind Sie bereit, dafür zu sorgen, dass in diesem Land eine andere Haltung zur Agro-Gentechnik eingenommen wird? Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): Vielen Dank, Frau Höfken. Sie kennen sicherlich die Meinung von Professor Methling zu diesen Fragen, der hier ganz dezidiert anderer Meinung ist als beispielsweise der Landwirtschaftsminister Till Backhaus. Sie kennen auch die Zwänge, in die man in Koalitionen teilweise gerät. Sie können sich sicher sein, dass wir ganz bestimmt versuchen, Einfluss darauf zu nehmen, dass auch in Mecklenburg-Vorpommern Vernunft in diesen Dingen einkehrt. (Beifall bei der LINKEN Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Forschungsfreies Land oder wie?) Im Übrigen ist natürlich klar, dass Daten, auf deren Grundlage die Risikobewertung erfolgt, öffentlich zugänglich sein müssen. Das ist selbstverständlich. Auch die Tatsache, dass in neun Fällen EU-Mitgliedstaaten nationale Schutzmaßnahmen nach § 23 der EU-Freisetzungsrichtlinie erlassen haben, zeigt die Brisanz der Zulassungssituation. Die Risiken sind also nicht wegzudiskutieren. Deshalb greifen Landwirte inzwischen zur Selbsthilfe und schaffen gentechnikfreie Zonen. Auch der Wahlkreis von Minister Seehofer gehört dazu, wie die Zeitungen schreiben. Unbeirrt davon hält Herr Seehofer aber an seiner abenteuerlichen Haltung fest, man müsse gentechnisch veränderte Pflanzen anbauen, damit das Risiko bewertet werden kann. Ich halte ein solches politisches Abenteuer Freilandversuche mit 88 Millionen Menschen und mit einer unwiederbringlichen Natur angesichts der vorliegenden bedenklichen Daten für unverantwortlich. Vielen Dank. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Risiken der Grünen Gentechnik - Seehofers politisches Abenteuer
Rede
von
Kirsten Tackmann,