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Richard Pitterle: Große Koalition redet Versagen der Finanzverwaltung schön

Rede von Richard Pitterle,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste auf der Tribüne! Heute werde ich noch einmal über den größten Steuerskandal in Deutschland sprechen, und ich freue mich sehr, dass ich aufseiten der Linken an dessen Aufdeckung und Aufklärung maßgeblich beteiligt war. Zugleich ist dies meine Abschiedsrede. Für die nächsten vier Jahre werden Sie von mir verschont werden.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen Kolleginnen und Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss, dem Finanzausschuss und dem Rechtsausschuss, aber auch bei meinem Kollegen aus dem Wahlkreis, Clemens Binninger, für die wertschätzende Zusammenarbeit bedanken.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kein Dank gebührt allerdings den politisch Verantwortlichen, die es zugelassen haben, dass der Staat jahrelang durch die sogenannten Cum/Ex-Geschäfte ausgeplündert wurde. Natürlich stellt sich die Frage: Wie konnte das passieren?

Wir von der Linken wollten zusammen mit den Grünen dieser Frage nachgehen und haben deswegen vor ungefähr anderthalb Jahren hier im Bundestag den Untersuchungsausschuss zu den Cum/Ex-Geschäften durchgesetzt. Seitdem hat sich mehr und mehr gezeigt, dass das bitter nötig war. Durch unsere Arbeit ist das Thema auf die Agenda gekommen, fleißige Journalistinnen und Journalisten haben angefangen, zu graben, und bei den Staatsanwaltschaften laufen die Ermittlungen inzwischen auf Hochtouren. Das alles haben wir Oppositionsfraktionen von Linken und Grünen in Teamarbeit ins Rollen gebracht, und darauf können wir sehr stolz sein.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Meine Damen und Herren, Cum/Ex-Geschäft klingt kompliziert, ist aber eigentlich denkbar einfach. Im Prinzip heißt das nämlich: einmal zahlen und doppelt oder gleich mehrfach wieder kassieren. Und das ging vereinfacht gesagt so: Cum/Ex-Geschäfte waren Aktiengeschäfte, die um den Dividendenstichtag herum stattfanden. Das ist der Tag, an dem die Dividende auf die Aktie ausgezahlt wird. Daher kommt der lateinische Name Cum/Ex. Das heißt auf Deutsch „mit“ und „ohne“ und steht für mit und ohne Dividende.

Man hat nun einen Zustand hergestellt, in dem von außen gesehen eine einzelne Aktie scheinbar mehrere Eigentümer gleichzeitig hatte. Für die auf die Aktie anfallende Dividende wurde dann nur einmal Kapitalertragsteuer gezahlt, aber jeder dieser scheinbaren Eigentümer erhielt dafür jeweils eine Bescheinigung, mit der er sich die Steuer zurückerstatten lassen konnte. Der Fiskus nimmt also einmal Kapitalertragsteuer ein und erstattet sie mehrfach zurück – ein milliardenschweres Minusgeschäft auf unser aller Kosten, Geld, das wir von der Linken deutlich sinnvoller hätten verwenden wollen, zum Beispiel für die Sanierung von Schulen und Krankenhäusern und vieles mehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Schlimmste an der Geschichte ist, dass diese Tricksereien seit Jahrzehnten bekannt waren. Bereits in den 1990er-Jahren gab es Fachaufsätze zu diesem Thema, und im Jahr 2002 wurde das Bundesfinanzministerium auch noch einmal durch den Bankenverband ausdrücklich auf dieses Problem hingewiesen. Und trotzdem hat es noch bis zum Jahr 2012 gedauert, bis die Cum/Ex-Geschäfte durch eine Gesetzesänderung wirksam unterbunden wurden.

Mit diesem Versagen aufseiten des Bundesfinanzministeriums haben wir uns im Untersuchungsausschuss genau auseinandergesetzt, und was dabei zutage gefördert wurde, war schlicht haarsträubend: Die gut bezahlten Beamten mussten zugeben, dass das Ministerium unterbesetzt war, dass sie die Thematik damals schlichtweg nicht verstanden haben oder sich gleich gar nicht zuständig fühlten. Stattdessen hat man dem Bankenverband blind vertraut und dessen damaligen Gesetzesvorschlag zur Eindämmung der Cum/Ex-Geschäfte fast wortgleich in das Jahressteuergesetz 2007 übernommen – ein kapitaler Fehler.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn dem Bankenverband ging es einzig und allein darum, die Haftungsrisiken für die deutschen Banken zu minimieren. Über ausländische Banken waren Cum/Ex-Geschäfte aber immer noch möglich, und darauf wurde durch den Bankenverband auch ausdrücklich hingewiesen. Im Jahressteuergesetz 2007 konnte dann auch der dümmste Finanzhai noch einmal nachlesen, dass man fröhlich Cum/Ex-Geschäfte über das Ausland machen konnte. Und so geschah es dann auch: Die Cum/Ex-Party kam so richtig in Gang. Über die Jahre bildete sich eine regelrechte Cum/Ex-Mafia, ein Netzwerk aus Beratern, Banken und Investoren. In diesem Dunstkreis finden sich auch illustre Namen wie die von Investor Carsten Maschmeyer oder Drogeriekönig Erwin Müller. Auch die Deutsche Bank, die renommierte Rechtsanwaltskanzlei Freshfields oder die Allianz-Versicherung haben in diesem Reigen eine Rolle gespielt. Nennenswerte Gegenwehr aus dem Bundesfinanzministerium über all die Jahre: Fehlanzeige!

Die von uns betriebene Aufklärung hat noch einen weiteren Totalausfall offengelegt: die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, kurz BaFin. Die BaFin soll als Bankenaufsicht eigentlich auch nachschauen, dass bei den Banken alles mit rechten Dingen zugeht. Doch weit gefehlt: Nach eigenen Angaben hat man sich fast ausschließlich um die Frage der Solvenz der Banken gekümmert. Steuerrechtliches hat nicht interessiert. Das ist doch wohl eine gewaltige Schieflage. Jedem Bratwurstverkäufer, der einmal die Wurst fallen lässt, entzieht man die Gewerbeerlaubnis. Aber wenn Banker Geschäfte auf Kosten des Staates machen, soll das in Ordnung sein? Das ist nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Auch wenn ich in den nächsten vier Jahren nicht mitwirken kann, verspreche ich Ihnen: Die Linke wird hier immer wieder den Finger in die Wunde legen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, dass Sie angesichts dieser katastrophalen Fehlleistungen beim Bundesfinanzministerium und der BaFin in Ihrem Abschlussbericht behaupten, das Ministerium und die BaFin hätten sich nichts vorzuwerfen, lässt einem die Haare zu Berge stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Möglicherweise wollen Sie nur Ihre Herren Finanzminister Steinbrück und Schäuble schützen, aber das lässt die Opposition Ihnen so nicht durchgehen. Die politische Verantwortung liegt bei diesen beiden Bundesfinanzministern.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Frage ist am Ende: Wie verhindern wir, dass sich so etwas noch einmal ereignet? Hier will ich kurz drei Punkte nennen.

Erstens. Die Ministerien dürfen sich Gesetzentwürfe nicht einfach von den jeweiligen Lobbyverbänden schreiben lassen, sondern müssen stattdessen die Abgeordneten des Bundestages frühzeitig mit einbinden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Interessenvertreter an einem Gesetzentwurf beteiligt sind, so muss das im Entwurf auch entsprechend gekennzeichnet sein.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens. Banken dürfen nicht nur mit Samthandschuhen angefasst werden. Wenn sich eine Bank an illegalen Geschäftspraktiken beteiligt, sollte sie auch mit Lizenzentzug rechnen müssen. Die BaFin muss hier endlich durchgreifen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Drittens. Wir brauchen deutlich mehr Personal in der Finanzverwaltung und endlich auch eine spezialisierte Bundesfinanzpolizei, die gegen eine solch organisierte Finanzkriminalität vorgehen kann.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir alle wissen, dass windige Finanzhaie schon nach dem nächsten Steuertrick suchen, um sich die Taschen zu füllen. Wir sind es den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern schuldig, dass diese Finanzhaie es nie wieder so einfach haben, wie es bei den Cum/Ex-Geschäften der Fall war.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)