Rede zur aktuellen Stunde zu anstehenden Sicherheitsüberprüfungen der deutschen Atomkraftwerke
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir erleben seit Monaten – und im Moment mit wachsender Geschwindigkeit – eine Achterbahnfahrt in Sachen Atomenergie und energetischer Nutzung von Atomtechnik. Ich möchte Sie an den 28. Oktober letzten Jahres erinnern. Da haben wir in diesem Haus trotz massiver Bedenken vieler Kolleginnen und Kollegen mehrheitlich die Laufzeiten verlängert. Wir haben die Laufzeiten nach einem Verfahren verlängert, das mit den Produzenten, den Atomkonzernen ausgekungelt war. Man hätte meinen können, dass eine Sicherheitsüberprüfung der Kraftwerke vorgenommen worden wäre, bevor man zu einem solchen Schritt kommt. Am 11. März haben wir dann die unfassbare dreifache Katastrophe von Japan erlebt, nicht nur Erdbeben und Tsunami, sondern auch die atomare Katastrophe in Fukushima. Ich möchte betonen, auch wenn sie heute nicht mehr die Headline in allen Nachrichten bestimmt: Diese Katastrophe ist beileibe nicht beendet. Wir kennen bis heute nicht ihren Ausgang.
Gregor Gysi sagte letzte Woche: Die Vorkommnisse in Fukushima sind „eine Zäsur, ein Zivilisationsbruch in der Geschichte des industriell-kapitalistischen Zeitalters“. – Er hat recht. Zu diesem Schluss komme ich, wenn ich tagtäglich die Nachrichten, die noch immer reich an Hiobsbotschaften sind, verfolge. Das Ganze hat einen ungewissen Ausgang und auf jeden Fall fatale Folgen für viele Japanerinnen und Japaner. Jetzt liegt ein Papier vor, erstellt im Zusammenhang mit dem dreimonatigen sogenannten Moratorium. Die Arbeitsgruppe Reaktorsicherheit hat erste Überlegungen angestellt. So weit, so gut. In dem Papier steht viel Vernünftiges. Bei manchem frage ich mich allerdings, wieso man das nicht schon längst im Vorfeld des Oktobers auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Es steht dort zum Beispiel, dass eine Erdbebenauslegung oder eine Hochwasserauslegung nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfolgen soll. Was ist denn, bitte schön, daran so Besonderes? Weiter hinten liest man, dass eine Notsteuerstelle selbst im Falle einer atomaren Kontamination betretbar und bedienbar sein muss. Ich behaupte: Das ist eigentlich etwas Normales. Das erwarten die Menschen mit Fug und Recht. Wie gesagt, in diesem Papier steht viel Vernünftiges. Es wird auch angemerkt, dass man die Ereignisse von Fukushima abwarten, vielleicht nachsteuern und noch das eine oder andere aufnehmen muss. Aber eines wird auch deutlich: Selbst wenn man alles, was in diesem Papier aufgeführt ist, wirklich eins zu eins umsetzen würde, und nicht alles wieder weichspült und das eine oder andere herausstreicht, weil die Maßnahme ach so teuer wird, weil sie nicht leistbar ist oder weil sie die Gewinne der Konzerne schmälert, bleibt die energetische Nutzung von Atomenergie ein unsicheres Verfahren; denn Menschen sind nun einmal fehlbar, und zwar sowohl bei der Planung als auch bei der Umsetzung von Dingen, sie sind fehlbar in ihrem Handeln. Daher kann uns das beste Sicherheitskonzept – die Japaner hatten Sicherheitskonzepte, die uns immer als beispielgebend hingestellt wurden – nicht davor bewahren, dass es zu solch unfassbaren Katastrophen kommt. Wenn man sich die Geschichte atomarer Unfälle anschaut, dann stellt man fest, dass es meistens Lappalien oder Dinge, auf die kein Mensch vorher gekommen ist, waren, die zu den Unfällen geführt haben.
Auch wenn Sie jetzt solche engagierten Papiere in Ihrem Haus erarbeiten, was ich, wie gesagt, zuerst einmal gut finde, frage ich mich schon: Wieso müssen wir wochenlang bohren und fragen, was es mit der Auffälligkeit im Kühlkreislauf des Kraftwerks Grafenrheinfeld auf sich hat, wo Ultraschallaufnahmen gezeigt haben, dass es einen Riss in den Rohren geben könnte? Es behauptet niemand, dass es tatsächlich einen Riss gibt, aber es könnte einen geben. Es dauerte Monate, bis Sie das AKW heruntergefahren haben, um genauer nachzuschauen. Ich möchte weiterhin an die Probleme in Philippsburg in den letzten anderthalb Jahren erinnern, die heute deutlich wurden. Die Frage wird sein, wie wir nach dem dreimonatigen Moratorium damit umgehen und wie es weitergeht. Die Menschen erwarten klare Positionen. Sie wollen aus der Atomenergie aussteigen, und zwar unverzüglich und unumkehrbar.
Dass Sie es mit viel Gegenwind zu tun haben, erleben Sie im Moment Montag für Montag bei den Mahnwachen, und das werden Sie am kommenden Samstag bei den Großdemos erleben. Sie erleben es auch dadurch, dass heute die Bravo nach 55 Jahren zum ersten Mal in ihrer Geschichte ein Poster mit einem politischen Inhalt bringt. Wir werden die Proteste auf jeden Fall begleiten und weiter Druck machen.
Ich danke.