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Resozialisierung ist die beste Rückfallprävention

Rede von Halina Wawzyniak,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir reden hier nicht über irgendetwas, sondern über den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung. Das heißt, wir reden über den schwersten und schwerwiegendsten Eingriff, den das deutsche Strafrecht zur Verfügung stellt. Ich finde, es ist dem Thema völlig unangemessen, dass der Gesetzentwurf erst Dienstagabend zwischen 19.30 und 21 Uhr im Intranet abrufbar war, ein Gesetzentwurf mit 98 Seiten und Begründung. Als Krönung kommt hinzu, dass der Gesetzentwurf in Teilen anders aussieht als die Eckpunkte und die Presseerklärung der Justizministerin. Ich finde das nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN)

Reden wir über die Sicherungsverwahrung, dann reden wir über ein hoch sensibles und emotional aufgeladenes Thema. Ob Bild, BZ oder ein ehemaliger Bundeskanzler, das Prinzip „Wegsperren für immer“ hat Hochkonjunktur, mindestens seit 1998. Dabei wäre es Aufgabe der Politik, insbesondere der Rechtspolitik, über schwierige Themen sachlich und seriös zu debattieren. Das schließt populistische und stammtischorientierte Reden und Gesetze aus.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Sicherungsverwahrung wird in der Praxis tatsächlich eher als zusätzliche Strafe wahrgenommen. Sie ist das wissen Sie alle ein rechtlich höchst umstrittenes Instrument. Die Strafverteidiger-Vereinigung und der RAV fordern die Abschaffung der Sicherungsverwahrung als Fremdkörper im Strafrecht. Sie sind nicht allein. Es handelt sich nicht um eine vom Himmel gefallene Debatte, die der Strafrechtswissenschaft unbekannt ist. 1934 unter den Nazis eingeführt, fristete die Sicherungsverwahrung nach der Strafrechtsreform 1975 eher ein Schattendasein. Seit 1998, ergänzt 2002 und 2004, erlebte sie eine Renaissance. Alle Parteien außer der FDP und der Linken haben sich daran beteiligt. Nunmehr beteiligt sich auch die FDP an dieser Renaissance.

Nach der Koalitionsvereinbarung sollte die Sicherungsverwahrung den Ausnahmecharakter beibehalten und auf schwerste Fälle beschränkt sein. Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf sage ich Ihnen: Die Koalitionsvereinbarung ist das Papier nicht wert, auf dem sie steht.

(Beifall bei der LINKEN - Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das ist aber nichts Neues!)

Schon jetzt ist die Sicherungsverwahrung nicht Ultima Ratio. Entgegen dem medial vermittelten Bild sind eben nicht nur Gewalt- und Sexualstraftäter betroffen. Auch Straftäter, die wegen Betrugs- und Diebstahlsdelikten, Brandstiftung und in geringem Maße sogar wegen Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verurteilt worden sind, sitzen in Sicherungsverwahrung. Voraussetzung für die Sicherungsverwahrung ist ein Hang zu gefährlichen Straftaten. Nach dem BGH handelt es sich um einen „eingeschliffenen inneren Zustand“, der immer wieder zu Straffälligkeit führt. Voraussetzung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung ist die Einschätzung im Rahmen einer Prognose-Entscheidung.

Die Hamburger Oberärztin Marianne Röhl bringt es auf die Formel: „Die Hälfte der Patienten sitzt zu Unrecht ein, aber welche Hälfte es ist, das weiß ich nicht.“ Genau das ist der Punkt. Niemand kann eine sichere Prognose über zukünftige Straffälligkeit treffen. Trotzdem werden Menschen ihrer Freiheit beraubt.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen wir zum Gesetzentwurf. Trotz all dieser offenen Fragen wollen Sie die Sicherungsverwahrung de facto ausweiten. Sie sind da ganz offen und erwähnen das auf Seite 53 des Gesetzentwurfs. Ich finde das sehr bemerkenswert; denn Sie benennen im Gesetzentwurf überhaupt keinen Anlass für die Ausweitung. Mit dem Prinzip der Ultima Ratio hat Ihr Gesetz jedenfalls nichts zu tun. Das kann man auch nicht mit Rückfallzahlen und Gefährlichkeit begründen; denn dafür gibt es keine empirische Grundlage, ganz im Gegenteil. Sie alle kennen die Studie von Michael Alex. Nicht nur diese Studie geht davon aus, dass sich die Quote der Rückfalltäter auf 10 bis 15 Prozent beläuft.

Was macht Ihren Gesetzentwurf so inakzeptabel? Beginnen wir mit der anfänglichen Sicherungsverwahrung. Sie ist nach dem Gesetzentwurf nicht letztes Mittel der Kriminalpolitik. Nach dem Gesetzentwurf sind Anlassstraftaten für die Anordnung der Sicherungsverwahrung noch immer der Bandendiebstahl und der Wohnungseinbruchsdiebstahl. Richtig absurd wird es, wenn man sich darauf beruft, dass die Straftaten des 28. Abschnittes des StGB ebenfalls dazugehören. Das sind unter anderem Brandstiftungsdelikte und unterlassene Hilfeleistung. Ihr Anspruch ist, die Sicherungsverwahrung für schwerste Fälle zu regeln. Wenn aber die erwähnten Delikte als Anlassstraftaten in Betracht kommen, dann offenbart das ein eigenartiges Verständnis von schwersten Fällen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die vorbehaltene Sicherungsverwahrung ist der eigentliche Ausbau der Sicherungsverwahrung. Der schon angesprochene Hang muss jetzt nur noch wahrscheinlich und nicht mehr sicher sein. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit eines Hangs zu schweren Straftaten reicht aus, um das Damoklesschwert der Sicherungsverwahrung über dem Strafgefangenen schweben zu lassen.

Die Neue Richtervereinigung um nur ein Beispiel zu nennen fordert die komplette Abschaffung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung und bezweifelt, dass hier die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geforderte Verknüpfung zwischen Verurteilung und Freiheitsentzug noch gegeben ist.

Kommen wir zur nachträglichen Sicherungsverwahrung. Hierbei handelt es sich um eine Mogelpackung. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung gilt nämlich nur für Neufälle. Das heißt, erst wenn das Gesetz in Kraft getreten ist und danach Straftaten begangen werden, wird sie angewendet. In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie, bis sie sich auswirke, dauere es fünf bis zehn Jahre. Viel absurder ist aber, dass die Altfälle noch nach der alten Regelung in Sicherungsverwahrung gebracht werden können.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Es sind nicht die Altfälle!)

Sie regeln also ein Gesetz neu, wenn aber heute einer eine Straftat begeht, wird er noch nach den alten Regelungen in Sicherungsverwahrung gebracht.
(Christine Lambrecht (SPD): Das ist genau umgekehrt!)
Das ist nicht umgekehrt, wir können aber gern im Detail darüber noch einmal reden.

Sie lassen die Katze aus dem Sack, indem Sie erklären, dass die Ausweitung der primären und vorbehaltenen Sicherungsverwahrung die nachträgliche Sicherungsverwahrung ersetzt, und über Umwege setzen Sie rechtstaatliche Hürden herab. Ich zitiere aus dem Gesetzentwurf: „Schließlich lässt sich durch den Ausbau der primären und vorbehaltenen Sicherungsverwahrung für „Neufälle“ auch die bei der nachträglichen Sicherungsverwahrung … nahezu vorprogrammierte Situation vermeiden, dass ein vom Gericht als gefährlich eingestufter Straftäter entlassen werden muss, weil die hohen, aber rechtstaatlich gebotenen Anordnungsvoraussetzungen … nicht erfüllt sind.“

Der Höhepunkt des Gesetzes ist allerdings das Unterbringungsgesetz.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Ja, das Gesetz besteht nur aus Höhepunkten!)

Damit umgehen Sie das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Soweit mir ersichtlich, trifft dieses Unterbringungsgesetz außer in den Reihen der Koalition auf einhellige Ablehnung. Die Neue Richtervereinigung wirft Ihnen vor, Sie verlassen damit den Boden der verfassungs- und menschenrechtlichen Vorgaben. Und tatsächlich wollen Sie mit diesem Unterbringungsgesetz eine Tätergruppe, die nach den Vorgaben der Europäischen Menschenrechtskonvention in Freiheit zu belassen ist, durch den weiten Begriff „psychische Störung“ wieder einsperren.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Den haben wir nicht erfunden!)

Schon in Freiheit befindliche Personen wollen Sie wieder in Anstalten bringen. Und Sie erklären nicht einmal das dogmatische Problem, das Sie haben, wenn jemand als schuldfähig mit einer Strafe belegt, später aber als psychisch krank eingestuft wird.

(Dr. Günter Krings (CDU/CSU): Nein, gestört! Das ist ein schmaler Grat!)

Das macht alles überhaupt keinen Sinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Unterbringungsgesetz ist die neue Form der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Mit diesem Gesetzentwurf lösen Sie kein tatsächliches oder vermeintliches Problem, sondern Sie wälzen es auf Richterinnen und Richter und die forensischen Sachverständigen ab. Es wird herumgedoktert. Das Mindeste wäre gewesen, eine Expertenkommission einzurichten, wie die Linke sie bereits in der letzten Wahlperiode gefordert hat. Richtiger Opferschutz sieht anders aus, denn erst mit der Entlassung der Verurteilten beginnt die Arbeit.


Lassen Sie mich mit dem Greifswalder Appell zur Reform der Sicherungsverwahrung enden. Darin heißt es: „Auch wenn es nicht leicht ist, muss unsere Gesellschaft zum Schutz unserer verfassungsrechtlichen Grundwerte mit der kritischen Situation leben, dass vereinzelt Menschen in die Freiheit entlassen werden, auch wenn sie im Hinblick auf ihre Rückfallgefahr nicht als vollkommen unbedenklich eingestuft werden können.“

(Lars Lindemann (FDP): Das ist doch nicht Ihr Ernst!)

Dieser Gesetzentwurf macht dies nicht, dieser Gesetzentwurf weitet das Instrument aus. Sie machen es sich zu leicht und gefährden leichtfertig ein weiteres Stückchen Rechtsstaat.

(Beifall bei der LINKEN)