"Rede von Klaus Ernst (DIE LINKE.) zur Aktuellen Stunde "Haltung der Bundesregierung zu den sozialen Auswirkungen der Erhöhung des gesetzlichen Renteneintrittsalters"."
"Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eben wurde uns von Herrn Müntefering der Vorschlag gemacht, man solle sich doch sachkundig machen. (Zuruf von der SPD: Das wäre auch notwendig!) Bei euch vielleicht. Ich lese heute im "Tagesspiegel": "Das Vorziehen der Rente mit 67 ist zum jetzigen Zeitpunkt entweder überflüssig oder nicht besonders sozial.“ Ich zitiere weiter: "Wenn es uns nicht gelingt, Ältere in Arbeit zu bringen, ist das für Arbeitslose eine Rentenkürzung. Und für Einkommensschwache, die früher sterben, verkürzt sich die Rentenbezugsdauer." Das ist von eurem Experten, nicht von unserem Experten. Vielleicht machen Sie sich, Herr Müntefering, einfach einmal die Mühe, sich mit Ihren eigenen Experten zu unterhalten. Dann werden Sie nicht solche Vorschläge machen, wie Sie sie gegenwärtig auf die Tagesordnung bringen. Wir haben als Ergebnis der Politik der letzten sieben Jahre die Situation in diesem Lande - das nehmen Sie offenbar nicht zur Kenntnis -, dass die Bürger dann, wenn sie das Wort Reform hören, die Geldbörse zuhalten. Sie haben Recht und sie haben Anlass dazu. Denn alles, was Sie ihnen zumuten, sind Belastungen, die nicht für Sie selber, aber immer für die anderen wirksam werden. Die Renteneingriffe der letzten Jahre waren enorm: Kürzung von anrechenbaren Zeiten, zusätzliche Abgaben auf Renten, Nullrunden über mehrere Jahre und jetzt das Heraufsetzen des Rentenalters. Ich kenne all diese Vorschläge und Sie auch, Herr Müntefering. Alle können Sie in den Konzepten des Bundesverbands der Deutschen Industrie nachlesen. Genau in dessen Interesse machen Sie Politik, aber nicht für das Volk. Das mit aller Klarheit. Eins zu eins haben Sie die Forderungen des Bundesverbands der Deutschen Industrie in Ihren Koalitionsvertrag übernommen. Nun zu Ihrer Glaubwürdigkeit. Im Wahlprogramm der SPD von 1998 hieß es: Die Kürzung des Rentenniveaus würde viele Rentnerinnen und Rentner zu Sozialhilfeempfängern machen ... So darf man mit Menschen, die ein Leben lang hart gearbeitet haben, nicht umgehen. Im Wahlprogramm 2005 heißt es: Unser Ziel ist, das faktische Renteneintrittsalter an das gesetzliche Eintrittsalter von 65 Jahren heranzuführen. Jetzt, gut vier Monate nach der Wahl, gilt nichts mehr, was Sie Ihren Wählern versprochen haben. (Elke Ferner [SPD]: 2009!) Da muss ich in Richtung CDU/CSU sagen: Sie waren wenigstens ehrlich. Sie haben es vorher gesagt. Die anderen aber nicht. Das ist das, was die Bürger an unserem jetzigen System verurteilen. Sie können Ihnen nicht mehr glauben. Ihre Aussagen haben die Halbwertszeit von Einwegunterwäsche. Das ist das Problem, liebe Kolleginnen und Kollegen. Nun zur Union: Im Wahlprogramm heißt es: Sobald es die Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt erlauben, kommt auch eine schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters in Frage. 5 Millionen Arbeitslose stellen wohl eine tolle Lage auf dem Arbeitsmarkt dar. Die haben wir nämlich gerade. (Zuruf von der CDU/CSU: Wir reden von 2029!) Aber jetzt beschließen Sie es. Sind Sie so prophetisch, um jetzt schon zu wissen, was in zehn Jahren los ist? Ich kann nur sagen: Wenn man so Politik macht und die Aussagen von vor zwei Jahren, vor einem Jahr und sogar drei Monaten nicht mehr ernst nimmt, dann kann ich nur noch sagen: Furchtbar. (Klaus Uwe Benneter [SPD]: Purer Populismus!) Im Koalitionsvertrag heißt es, nachdem ein Renteneintrittsalter von 67 Jahren angekündigt wird: Dies gibt sowohl den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern als auch den Unternehmen Planungssicherheit. Diese Planungssicherheit haben Sie in Ihrem Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 versprochen. Mittlerweile sind drei Monate vergangen und schon gilt das nicht mehr, weil sich das neue Traumpaar Merkel/ Müntefering verständigt hat, die Erhöhung des Renteneintrittsalters um sechs Jahre vorzuziehen. Das ist die Planungssicherheit, die Sie diesem Volk zumuten. Die Wirkungen, die Sie erzielen, sind doch ganz einfach - jeder weiß es: Nur 39 Prozent der über 55-Jährigen haben einen Job; von den über 60-Jährigen haben nur 20 Prozent einen Job. Wenn Sie das Renteneintrittsalter jetzt heraufsetzen, dann heißt das nichts anderes, als dass Sie die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes II verlängern. Jeder weiß, dass ein über 55-Jähriger in diesem Land heutzutage eher das Bundesverdienstkreuz bekommt, als dass er einen Job findet. Das liegt übrigens nicht daran, dass der Kündigungsschutz nicht schwach genug ist. Die allermeisten über 55-jährigen Arbeitslosen haben früher gearbeitet und haben ihren Arbeitsplatz irgendwann verloren, offensichtlich deshalb, weil der Kündigungsschutz nicht ausreicht. Das sage ich auch Ihnen von der FDP. Was Sie vorhaben - Rente mit 67 -, heißt nichts anderes als Kürzung der Einkommen eines großen Teils der Bevölkerung. Viele halten längere Arbeitszeiten nicht aus. Sie müssten sich vielleicht wieder einmal in die Betriebe zu den Nacht- und Schichtarbeitern begeben. Ich habe gedacht, dass es in der SPD noch den einen oder anderen geben müsste, der das tut. Leider ist das nicht so. Ich komme zum Schluss. Was Sie machen, ist keine Generationengerechtigkeit. Ich halte Ihr Vorhaben für sehr schwierig. Ein Kirchenlehrer im vierten Jahrhundert, der heilige Augustinus (Lachen bei der CDU/CSU) - das freut euch, nicht wahr; es täte euch gut, einmal nachzulesen -, hat folgenden Satz geprägt: Ein Staat, der nicht durch die Gerechtigkeit definiert wäre, wäre nur eine große Räuberbande. Wir müssen aufpassen, dass unser Staat dazu nicht verkommt."
Rente mit 67 bedeutet keine Generationengerechtigkeit
Rede
von
Klaus Ernst,