Während der Debatte im Deutschen Bundestag zum Thema ”Religionsfreiheit” sprach Annette Groth, menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE:
Annette Groth (DIE LINKE):
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Als linke, ökumenisch geprägte Protestantin begrüße ich die heutige Debatte über die Glaubens- und Gewissensfreiheit als ein elementares Menschenrecht. Religion ist für viele Menschen von zentraler Bedeutung. Deshalb müssen sich Staaten gegenüber Religionen und Weltanschauungen neutral verhalten und eine freie Religionsausübung gewährleisten.
Wie einige Vorrednerinnen und Vorredner unterstütze ich ausdrücklich die deutliche Kritik am Minarettverbot in der Schweiz.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Aber auch in Deutschland versuchen Bürgerinitiativen häufig, den Bau von Moscheen zu verhindern. So wird die Religionsfreiheit behindert.
(Beifall bei der LINKEN)
Seit einiger Zeit beobachte ich mit großer Sorge, dass in Deutschland, aber auch in anderen EU-Staaten mit Begriffen wie „islamistisch“ eine ganze Religion diskreditiert wird. Eine solche Kategorisierung trägt dazu bei, dass bei der Mehrheitsgesellschaft Ressentiments gegen Muslime geschürt werden. Als Reaktion auf diese Diskriminierung und Stigmatisierung könnten Muslime in die Arme von Extremisten getrieben werden. Deshalb hat sich die US-Regierung kürzlich von Begriffen wie „radikaler Islam“ und „islamistischer Terror“ ganz verabschiedet.
Verehrte Damen und Herren, zu einer fortschrittlichen Menschenrechtspolitik gehört die Analyse der tieferen Ursachen von religiösen Konflikten. Oft zeigt sich, dass Diskriminierungen oder Gewaltakte gegen eine bestimmte Religion der Katalysator für soziale und ökonomische Konflikte sind. Wenn Angehörige einer Religion von der Politik bevorzugt werden, werden bei anderen Religionsgemeinschaften Ressentiments geschürt. Dann wird Religion als Machtinstrument missbraucht.
Herr Kauder sowie andere Rednerinnen und Redner haben den Fall Orissa bereits erwähnt. An den Überfällen waren Mitglieder der Lokalregierung und der indischen Volkspartei BJP, deren Mitglieder nationalistische Hindus sind, beteiligt. Ein Grund für diese gewaltigen Ausschreitungen sind die große Armut und der seit Jahren geschürte Hass auf Andersgläubige. Viele der 35 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner Orissas leben in großer Armut. Diese sozialen Verhältnisse machen es religiösen Hasspredigern leicht, die Frustration über die sozialen Ungerechtigkeiten auf andere zu lenken.
Im Bundesstaat Karnataka hat die regierende BJP kürzlich ein Gesetz verabschiedet, das den Religionswechsel weg vom Hinduismus verhindern soll. Dieses Gesetz stellt „unredliche Bekehrung“ unter Strafe und legt fest, dass jeder Übertritt zum Christentum den Behörden gemeldet werden muss. Mit der toleranten indischen Verfassung ist dieses Gesetz eigentlich nicht vereinbar. Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie solche Diskriminierungen, ganz gleich, ob sie Muslime, Christen oder andere Religionsgemeinschaften betreffen, in ihren Gesprächen mit Indien deutlich verurteilt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Verehrte Damen und Herren, die Regierung in Orissa hat auf die Armut mit einer zerstörerischen Industrialisierung reagiert. Durch die Ansiedlung eines Stahlwerks mit 4 Milliarden Euro Umsatz wurde eine fundamentale Veränderung der betroffenen Region eingeleitet. Das Stahlwerk verbraucht riesige Wassermengen und zerstört die Lebensgrundlage von vielen Bäuerinnen und Bauern. Dadurch wird die Wut vieler Betroffener noch mehr gesteigert.
Es gibt in vielen Ländern ähnliche Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Religionen. Ich habe Orissa als Beispiel gewählt, weil hier exemplarisch der Zusammenhang zwischen Armut und religiösem Fanatismus aufgezeigt wird. Wenn durch das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien viele Millionen armer Bäuerinnen und Bauern ihre Existenzgrundlage verlieren, weil billige subventionierte Lebensmittel aus der EU den indischen Markt zerstören, befürchte ich, dass die Hassprediger noch mehr Zulauf und Gehör finden könnten als bisher. Deswegen müssen wir auch durch eine gerechte Handelspolitik dazu beitragen, dass Armut sich nicht weiter verschärft.
Die Linke fordert von der Bundesregierung eine Menschenrechtspolitik, die sich für alle Verfolgten und Bedrohten, egal welcher Religionsgemeinschaft sie angehören, einsetzt.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)