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Regierung ignoriert soziale Belange

Rede von Steffen Bockhahn,

Steffen Bockhahn
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dieser Haushaltsentwurf ist nicht vom Ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, sondern eher einer gegen sie.

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! Rita Pawelski (CDU/CSU): Schlaumeier! Dorothee Bär (CDU/CSU): Nur weil es kurz vor 10 ist, muss das Niveau nicht so schlecht sein!)

Dieses Ministerium ist unter anderem für Frauen- und Gleichstellungspolitik zuständig bzw. sollte es sein. Die Gehaltsunterschiede zwischen Frauen und Männern in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor beschämend. Laut Statistischem Bundesamt sind es nach wie vor 23 Prozent, die Frauen für die gleiche Arbeit wie Männer im Schnitt weniger verdienen.

(Rita Pawelski (CDU/CSU): Nein!)

Das heißt, Frauen müssen 84 Tage länger arbeiten, um den gleichen Lohn zu bekommen.

(Norbert Geis (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)

Allerdings hat auch für Frauen das Jahr nur 365 Tage, um korrekt zu sein: in Schaltjahren 366 Tage.

(Markus Grübel (CDU/CSU): Die Statistik muss man richtig angucken, Herr Kollege Bockhorn! Sie unterschreiten Ihre intellektuellen Fähigkeiten erheblich!)

- Mein Name ist Bockhahn, Herr Kollege Grübel. Wenn Sie mir zuhören, können Sie noch etwas lernen.
Das heißt, dass Frauen beim Einkommen generell benachteiligt sind. Wenn wir uns das genauer anschauen, stellen wir fest, dass dies nicht nur mit der Bezahlung am konkreten Arbeitsplatz zu tun hat, sondern natürlich auch mit den Berufsbildern und der Geschlechterverteilung.
Nun gibt sich das Ministerium viel Mühe, mit diversen Programmen Männer in klassische Frauenberufe zu bringen. Das kann man auch richtig finden. Eigentlich müsste der Ansatz aber doch sein, nicht Männer in schlecht bezahlte Frauenberufe zu bringen, sondern Frauenberufe so attraktiv zu machen, dass auch Männer sie für sich attraktiv finden. Das wäre doch einmal ein Ansatz, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Im Übrigen ist ganz erstaunlich, dass nach wie vor nicht wirklich, also richtig ernst gemeint, etwas unternommen wird, um Frauen den Zugang in klassische Männerberufe zu erleichtern. Aber es ist auch relativ klar, warum das passiert; denn natürlich ich weiß, wovon ich rede blockieren Männer gerne, wenn andere sich nähern und wenn es darum geht, den eigenen Platz, das eigene Revier zu verteidigen; gerade dann, wenn es um viel Geld geht.
Die Bundesregierung, die Bundesbehörden und die Zusammensetzung der Fraktionen von Union und FDP sind abschreckende Beispiele dafür, wie es nicht laufen sollte. Die Frauenquote bei Ihnen ist abenteuerlich schlecht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Meine Damen und Herren, nach wie vor gibt es ein ganz großes Karrierehemmnis. An ihm konnten alle schönen Reden hier nichts verändern. Dieses Karrierehemmnis ist so ziemlich das Schönste, was einem passieren kann. Es sind Kinder. Ja, das Elterngeld ist ein kleiner Erfolg. Aber Sie haben diesen kleinen Erfolg in den Jahren, in denen Sie jetzt regieren, bereits noch kleiner gemacht. Sie konzipieren eine vernünftige Maßnahme, fangen damit an und kündigen sogar an, sie auszubauen. Aber anstatt das zu tun, kürzen Sie.
Das Erste, was Sie getan haben, war die Umsetzung der klugen Idee, Empfängern von Hartz IV diese Leistung gleich erst mal zu streichen.

(Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unerhört!)

Das ist nach wie vor etwas ganz Unsoziales und etwas Unanständiges, weil Sie damit Kinder von Geburt an unterschiedlich machen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Kollegin Ziegler hat vorhin schon kurz das Betreuungsgeld, liebevoll auch Herdprämie genannt, angesprochen.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Das wird nur von Leuten gemacht, die Familienpolitik kaputt machen wollen, Herr Kollege! So ist es!)

Das ist ja nicht etwa nur eine schöne Idee, um irgendwem zu helfen, sondern es ist eine gigantische Ausrede. Außerdem steckt dahinter ein Rollenbild und ein Familienmodell, die, mit Verlaub, definitiv nicht in das 21. Jahrhundert gehören.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dorothee Bär (CDU/CSU): Es können auch Männer zu Hause bleiben! Es heißt: Wahlfreiheit!)

Auf der einen Seite sorgen Sie damit nämlich dafür, dass gerade in strukturschwachen Regionen der Kitaausbau gar nicht vorangetrieben werden muss, weil es die Inanspruchnahme nicht gibt. Damit können Sie dann begründen, dass es keine Bedarfe gebe und man deswegen gar nicht die Plätze für 35 Prozent der Kinder vorhalten müsse.
Das alleine wäre schon schlimm genug. Das eigentliche Drama ist aber

(Dorothee Bär (CDU/CSU): So eine perfide Denke!)

Über kranke Denke sollten wir beide uns besser nicht unterhalten, Frau Bär. Das geht nämlich nicht zu Ihren Gunsten aus. Aber davon abgesehen

(Dorothee Bär (CDU/CSU): „Kranke“ habe ich nicht gesagt, sondern „perfide“! Schauen Sie bitte einmal ins Protokoll!)

Hören Sie doch einmal zu. Ich weiß, dass Sie ein lautes Organ haben. Aber Sie sind ja nachher auch noch an der Reihe. Dann können Sie versuchen, sich verständlich zu machen. Das ist in Ordnung.

(Rita Pawelski (CDU/CSU): Sie hat höchstens eine laute Stimme! Ein lautes Organ hat sie nicht!)

Lassen Sie mich also noch einmal zu dem kommen, was ich wirklich absurd finde, weil es eine soziale Ausgrenzung sondergleichen ist, nämlich zu dem, was Sie mit dem Betreuungsgeld tun.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Reden wir jetzt einmal über den Haushalt für nächstes Jahr!)

Sie stellen nämlich sozial benachteiligte Familien mit geringem Einkommen vor die Frage, 150 Euro zu nehmen oder sich für einen Kitaplatz zu entscheiden, den sie sich nicht leisten können.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Diejenigen, die sich das nicht leisten können, bekommen es doch bezahlt!)

Vor diese Wahl stellen Sie sozial benachteiligte Familien. Das hat aber weder etwas mit dem Anspruch auf frühkindliche Bildung zu tun, noch ist es familienpolitisch sinnvoll. Dies ist definitiv der falsche Weg. Der richtige Weg wäre, dass Sie überall in Deutschland bezahlbare Kitas schaffen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dorothee Bär (CDU/CSU): Genau! Weil die Eltern sich nicht um ihre Kinder kümmern können! Das ist Ihre Denke! Sie glauben, dass das Kind in der Einrichtung besser aufgehoben ist als zu Hause! Das denken Sie!)

Nun möchte ich Ihnen einmal einige Beispiele nennen, wie das laufen kann.
Ein schlechtes Beispiel kommt aus Mecklenburg-Vorpommern, dem bekanntlich schönsten Bundesland der Welt. Dort regiert die SPD noch zusammen mit der CDU. In Mecklenburg-Vorpommern beträgt das Durchschnittseinkommen 1 500 Euro brutto, und ein Krippenplatz kostet 300 Euro im Monat - 300 Euro im Monat bei einem Durchschnittsbruttoeinkommen von 1 500 Euro: Ich kann mir nicht vorstellen, wer sich das leisten können soll.

(Zuruf von der CDU/CSU: Da habt ihr doch mal mit regiert!)

Allerdings darf ich Ihnen auch sagen: In Berlin sieht es ganz vorbildlich aus. Dort haben wir eine rot-rote Landesregierung. Die Krippenbeiträge in Berlin sind erstens sozial gestaffelt und zweitens

(Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Da gibt es die höchste Kinderarmut! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Wissen Sie, was ich wirklich abenteuerlich finde? Sie reden hier in einer ganz abwertenden Art und Weise über soziale Leistungen. Das macht deutlich, dass Ihnen die sozialen Belange dieses Landes einen Dreck wert sind. Dafür sollten Sie sich schämen, meine Damen und Herren. Das ist abenteuerlich.

(Beifall bei der LINKEN Lachen bei der CDU/CSU)

Sie können sich das ruhig anhören. In Berlin sind die Kindergärten für die Eltern komplett kostenfrei, weil es einen Anspruch gibt, dass frühkindliche Bildung umgesetzt wird, dass frühkindliche Bildung für alle Kinder gewährt wird, dass Chancengleichheit tatsächlich real ist.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Weil Bayern das bezahlt! So sieht es nämlich aus! Haben Sie schon einmal etwas vom Ausgleich gehört? Bayern bezahlt!)

Das ist vernünftige Familienpolitik. Davon können Sie noch eine Menge lernen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte etwas zum Thema Rechtsextremismus sagen. Ich komme, wie gesagt, aus Mecklenburg-Vorpommern, wo letztes Wochenende Wahlen stattgefunden haben.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Elf Minuten! Das ist ein Witz!)

- Sie sollten sich langsam wieder dämpfen. 6 Prozent der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern, die überhaupt zur Wahl gegangen sind, haben sich für die rechtsextreme NPD entschieden.
Herr Staatssekretär Kues, ich muss mit einigem Erschrecken noch einmal vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen, was Sie vorhin auf meine Zwischenfrage gesagt haben. Wenn es Ihnen nicht egal ist, wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, dann finde ich solche Äußerungen absurd, abenteuerlich und gemeingefährlich. Fahren Sie nach Gnoien, Lassan, Lübtheen und Lalendorf und fragen Sie die Menschen, die dort tagtäglich unter Nazis leiden, ob es ihnen recht wäre, wenn jemand, der sich heute für Demokratie und Toleranz und gegen Rechtsextremismus einsetzen will, das nicht tun darf, weil es Ihnen nicht genehm ist. Eine solche Ignoranz kann man nur haben, wenn man nicht oft genug nach draußen kommt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN Rita Pawelski (CDU/CSU): Hat denn jemand das Gegenteil gesagt?)

Ich verweise darauf, dass es besonders junge Männer ohne Perspektive waren, die die neuen Nazis gewählt haben. Bei den unter 30-Jährigen haben gerade die Männer die NPD gewählt. Das Traurige daran ist, dass Sie genau die Maßnahmen, die dazu geeignet sind, die Abwanderung und Perspektivlosigkeit junger Menschen in Ostdeutschland zu beenden, gestrichen und eingestellt haben.
Schöne Projekte in der Zivilgesellschaft sind in Ordnung. Wir brauchen aber endlich auch Projekte, die aus Ihrem Haus zu finanzieren wären und sich mit guten Strukturen, hochqualifiziertem Personal und anständigen Sachmittelbudgets genau dieser Arbeit in den schwierigen Bereichen zuwenden, die wir als Zivilgesellschaft schon lange nicht mehr erreichen. Das ist eine Aufgabe, und das hat der letzte Sonntag einmal mehr deutlich gemacht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es gibt aber auch einige Bereiche, von denen man sagen kann, dass es eine gute Idee war, zum Beispiel die Mehrgenerationenhäuser. Sie sind ein Beleg für eine gut funktionierende Zivilgesellschaft. Sie sind ein Ort, an denen sich verschiedene Generationen begegnen und viele gute Projekte stattfinden.

(Dorothee Bär (CDU/CSU): Wer hat es verlängert? Wir! Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): Eine Initiative der CDU/CSU!)

- Das bestreite ich doch gar nicht. Sie können auch mal etwas Gutes machen. Das habe ich nicht abgestritten. Ich habe schließlich gesagt, dass Sie gut angefangen haben. Warum Sie aber jetzt 6 Millionen Euro streichen und damit definitiv das Aus für viele Mehrgenerationenhäuser besiegeln, habe ich noch nicht richtig verstanden.
Projekte wie die Mehrgenerationenhäuser sind eine Möglichkeit, um völlig ideologiefrei etwas für Demokratie und Toleranz und damit auch gegen Rechtsextremismus zu tun. Das hätten Sie vorher bedenken müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch auf die Mittel eingehen, die Sie für die Jugendpolitik zur Verfügung stellen. Nach wie vor auch das hat Kollegin Ziegler schon angesprochen vermissen wir von der Bundesregierung ein integriertes Konzept zur Jugendpolitik. Das gibt es einfach nicht.
Wenn man sich fragt, was Sie im Bereich der Jugendpolitik machen, dann muss man feststellen, dass inzwischen ein Drittel Ihres Budgets für die Qualifizierungsoffensive aufgewendet wird. Ich habe selten etwas gegen Qualifizierungsmaßnahmen. Die Schwierigkeit besteht aber darin, sich darüber zu informieren, was Sie darunter verstehen.
Wenn Sie die Suchfunktion auf der Website Ihres eigenen Ministeriums nutzen, Herr Kues, um zu erfahren, was Sie unter dem Begriff „Qualifizierungsoffensive“ angezeigt bekommen, dann ist das Ergebnis: null Treffer. Das scheint mir eine sehr genaue Angabe zu sein. Denn die Qualifizierungsoffensive macht inzwischen ein Drittel aller Maßnahmen der Jugendpolitik aus.
Was aber wird konkret getan? Es wird nicht etwa etwas dafür getan, die Träger von Programmen im Kinder- und Jugendplan weiter zu qualifizieren oder junge Menschen in den Bereichen Demokratie und Toleranz oder Organisationsarbeit auszubilden. Das alles findet nicht statt. Vor allem findet etwas statt, das definitiv nicht in Ihr Ressort gehört, nämlich Erwachsenenförderung. Erwachsenenförderung gehört aber aus meiner Sicht ins BMAS und nicht in dieses Ministerium.
Kurzum: Es ist eigentlich eine gute Nachricht, dass das Budget dieses Ministeriums gewachsen ist. Denn es hat große gesellschaftliche Aufgaben. Aber es ist traurig, zu sehen, wie schlecht Sie die zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen und dass Sie mehr ideologische Scheuklappen haben, als Sie es mir jemals vorwerfen können.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär (CDU/CSU): Wir haben überhaupt keine Ideologien! Wir haben Ideale! Das ist der Unterschied!)