Sehr geehrter Herr Präsident!
sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Das Kapitalanleger-Musterverfahrens-Gesetz – ein Gesetz, das geschädigte Anleger in die Lage versetzen soll, gemeinsam ihre Ansprüche schneller und kostengünstiger durchsetzen zu können.
Wie wichtig ein solches Gesetz grundsätzlich ist, haben wir letzte Woche wieder gesehen: Die Commerzbank hatte Studienkredite vergeben, aber Kreditnehmerinnen und Kreditnehmern nicht rechtzeitig über das Auslaufen ihres Darlehens informiert. Stattdessen hat die Bank sofort nach Ende der Laufzeit ihre Forderungen fällig gestellt und Überziehungszinsen von mehr als 18 Prozent kassiert. Die ehemaligen Studentinnen und Studenten waren überrascht und wurden durch die Commerzbank unter Druck gesetzt, entweder den ganzen Kreditbetrag auf einmal zurückzuzahlen oder das Umschuldungsangebot zu den Bedingungen der Commerzbank anzunehmen.
An diesem Praxisfall sieht man deutlich, dass es der Möglichkeit einer sogenannten Sammelklage bedarf: Denn der Schaden ist für die einzelne Kreditnehmerin bzw. den einzelnen Kreditnehmer eher gering, vielleicht nur 500 oder 800 Euro, und deshalb zieht nicht jede/jeder vor Gericht. Dagegen sprechen schon die relativ hohen Kosten aufgrund der niedrigen Streitwerte, die jede/ jeder zunächst vorlegen muss. Doch in der Summe kommt für die Bank aufgrund der Vielzahl der Fälle einiges zusammen.
Deshalb muss in solchen Fällen unbedingt die Möglichkeit bestehen, dass sich Geschädigte zusammenschließen und gemeinsam dagegen vorgehen können.
Der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetzentwurf ist jedoch immer noch von einem erleichterten Zugang zum Musterverfahren weit entfernt. Jede/Jeder muss zunächst selbst Klage einreichen, bevor sie/er sich einem Musterverfahren anschließen kann. Damit trägt sie/er das volle Kostenrisiko und Prozessrisiko. Das Verhältnis von Kostenrisiken zu Chancen einer Klage stellt sich bei kleineren Streitwerten besonders ungünstig dar. So belief sich beispielsweise der durchschnittliche Streitwert einer Klage im Telekom-Verfahren wegen des Vorwurfs eines fehlerhaften Börsenprospekts auf weniger als 5.900 Euro.
Wenn jede/jeder klagen muss, wird aber auch die Vielzahl der Einzelklagen gleichgelagerter Fälle nicht abnehmen, sodass sich an der hohen Belastung der Gerichte nichts ändert. An den Verfahren gegen die Telekom AG waren rund 17.000 Kläger vor dem Landgericht Frankfurt am Main beteiligt.
Dass Sie den Zugang zum Musterverfahren in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht erleichtert haben, ist keine Überraschung: Sie gehen vom Leitbild des Individualismus aus. Oder anders ausgedrückt: Jeder kämpft für sich allein um seine Rechte. Diese von den Tatsachen leider überholte Vision des edlen Zweikampfes der Argumente übersieht, dass nur wenige über eine entsprechend gut gefüllte Geldbörse verfügen, das sie sich das leisten können.
Überall dort, wo eine Gruppe Geschädigter zwar individuell nur einen geringen, aber in der Summe einen Schaden im mehrstelligen Millionenbereich erleidet, versagt dieses Leitbild. Hier ist ein kollektiver Rechtsschutz erforderlich, um allen Geschädigten die Möglichkeit zu eröffnen, ihr Geld zurückzuerhalten. Den finden wir aber nicht in Ihrem Gesetzentwurf!
Weitere Kritikpunkte an Ihrem Gesetzentwurf sind beispielsweise unzureichende Regelungen zur Beschleunigung der überlangen Verfahren und zum Vergleichsabschluss oder die Beschränkung der Rechtsmittel.
Trotzdem erkennen wir auch Ansatzpunkte, den Anlegerschutz weiterzuentwickeln und die Möglichkeit, die bereits auf europäischer Ebene laufenden Bestrebungen, ein allgemeines Instrument des kollektiven Rechtsschutzes zu schaffen, auch in Deutschland zu etablieren. Ihr Gesetzentwurf ist zwar nur ein kleiner Schritt in diese Richtung. Aber das passt ja zu dieser Bundesregierung: Von ihr sind bekanntlich keine großen Schritte zu erwarten. Der Tippelschritt ist ihr Schrittmaß.
Wir sehen aber Chancen und werden uns deshalb bei der Abstimmung enthalten und weiter an der Verbesserung des Anlegerschutzes mitarbeiten, um auf dem offensichtlich langen Weg hin zu einem kollektiven Rechtsschutz für die Opfer von Bankentricks und windigen Finanzhaien voranzukommen.