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Rede zur Altersarmut in Deutschland

Rede von Dagmar Enkelmann,

Rede vor dem Deutschen Bundestag

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Aus dem Plenarprotokoll des Deutschen Bundestages,
16. Wahlperiode, 102. Sitzung, Mittwoch, den 13. Juni 2007
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Kollegin Dagmar Enkelmann, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Bundestag schon einmal
einen Politiker erlebt, der am Rednerpult stand - das war damals noch in Bonn -
und sagte: Die Rente ist sicher. - Er hat dann auch noch Plakate geklebt.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Sie ist auch sicher!
- Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hat er
gestern noch einmal gesagt!)
Er sieht das heute ein bisschen anders. Ich denke, von daher sind Zweifel durchaus
angebracht. (Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, in dieser Debatte mogeln Sie sich um eine Kernforderung
in der jüngsten OECD-Studie herum, nämlich um die Aufforderung an die
Bundesrepublik, dass Deutschland der Rentenentwicklung bei Geringverdienern
besondere Aufmerksamkeit widmen soll.
(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Die Studie
ist eine Woche alt und geht über 45 Jahre,
Frau Kollegin!)
Genau an dieser Stelle steht Deutschland auf dem letzten Platz der 30 verglichenen
Staaten.
(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Die DDR
ist nicht mehr drin!)
Es war wenig davon zu hören, was Sie dagegen tun wollen. Ich frage mich, wie blind
man eigentlich sein muss, um nicht zu sehen, was so offenkundig ist. Ich denke,
man braucht nicht erst die OECD-Studie, um zu wissen, dass es in diesem reichen
Land Altersarmut gibt, dass es also längst Menschen gibt, die in Armut leben. Das
ist in einem so reichen Land wie der Bundesrepublik ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Wer mit offenen Augen durch unser Land geht, der sieht das auch. Die
Lebensmitteltafeln berichten zum Beispiel darüber, dass eben nicht nur die Hartz-IVEmpfängerinnen
und -Empfänger und die Alleinerziehenden, sondern zunehmend
auch Ältere zu den Tafeln kommen und um Hilfe bitten. Die Wohlfahrtsverbände
machen darauf aufmerksam, dass dieses Problem deutlich zunimmt.
Als Politiker sind wir an dieser Stelle gefordert, über die Ursachen der Zunahme von
Altersarmut zu reden. Vor allen Dingen müssen wir schnellstens gegensteuern.
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(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Nur 2 Prozent der über 65-Jährigen sind
auf Sozialhilfe angewiesen!)
Eine Studie des „Mitteldeutschen Rundfunks“ hat vor kurzem unter anderem die
Alterseinkommen in Ost und West verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen,
dass die Alterseinkommen im Osten etwa 20 Prozent unter denen im Westen liegen.
So viel zur Legende vom reichen Ostrentner!
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:
Was hätten die denn in der DDR bekommen,
die Ostrentner?)
Wo liegen die Gründe? Ganz offensichtlich funktioniert das traditionelle
Rentenmodell vor allen Dingen im Osten nicht. Zwei Säulen greifen nicht, die
Betriebsrente und die private Vorsorge. Eine private Vorsorge ist im Osten kaum
vorhanden. Auch sollten wir nicht vergessen, dass jemand, der arbeitslos wird und in
Hartz IV fällt, zuerst seine private Vorsorge aufzubrauchen hat, bevor er überhaupt
soziale Leistungen bekommen kann. Außerdem führen zunehmende
Rentenabschläge zu massiven Rentenkürzungen. Immerhin gehen inzwischen vier
von zehn Beschäftigten mit Einbußen vorzeitig in Rente.
Das Problem Altersarmut ist nicht nur ein Problem des Ostens; es ist zunehmend
auch ein Problem im Westen. Auch im Westen ist eine dramatische Zunahme der
Altersarmut zu verzeichnen. Die Kollegin von den Grünen hat auf die dramatische
Zunahme im Niedriglohnbereich, also bei den Mini- und Midijobs, aufmerksam
gemacht.
Das ist eine der Ursachen für die deutliche Zunahme der Altersarmut. Auch im
Westen sind die Säulen Betriebsrente und private Vorsorge längst brüchig
geworden. Nur noch etwa 40 Prozent der Beschäftigten sind überhaupt betrieblich
rentenversichert. Vor kurzem war zu lesen: Müntefering sägt an Betriebsrente. Da
ging es um die Pläne, die Sie angesprochen haben, Herr Kolb.
(Widerspruch des Abg. Anton Schaaf [SPD])
Also auch die Säule Betriebsrente wird weiter abgetragen. Wo funktionieren denn
diese drei Säulen am Ende noch?
(Wolfgang Meckelburg [CDU/CSU]: Sie wünschen
sich wieder in Ihre alte Welt zurück! -
Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Von
Fakten keine Ahnung!)
Ganz klar ist eines geworden: Die Bundesregierung hat die Dramatik der Situation
nicht erfasst. Nehmen wir einmal die Rentenanpassung dieses Jahres, die 0,54
Prozent ausmacht: Die Rentner jubeln und verneigen sich voller Dankbarkeit vor der
Bundesregierung.
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(Dr. Ralf Brauksiepe [CDU/CSU]: Was gab es
in der DDR für Renten?)
Diese 0,54 Prozent gleichen natürlich nicht die gestiegenen Lebenshaltungskosten
aus. Sie sind auch kein Ausgleich für die gestiegenen Beiträge zur
Krankenversicherung.
Aber endlich, nach drei Nullrunden, gibt es den lang ersehnten Zuschlag. 0,5
Prozent mehr zu haben oder nicht zu haben ist schon eine ganze Menge; bei dem
einen oder anderen sind es sogar 2 Euro oder mehr.
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Es
wurde doch erklärt, dass das nach der Lohnentwicklung
geht!)
Meine Damen und Herren, so ist der Altersarmut nicht beizukommen. Es ist zutiefst
ungerecht, wenn Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, im Alter
beim Sozialamt betteln müssen.
(Beifall bei der LINKEN - Anton Schaaf
[SPD]: Müssen sie ja auch nicht! Grundsicherung!)
Wir fordern von der Bundesregierung ein Konzept für eine nachhaltige Verhinderung
von Altersarmut und ein Konzept für eine existenzsichernde Rente. Dies bedeutet
eben nicht nur, genug zu essen und zu trinken zu haben; ein Leben in Würde im
Alter bedeutet auch, an Kultur teilhaben zu können, sich einmal ein gutes Buch
leisten zu können und an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Dazu gehört also
schon ein bisschen mehr.
Wir wollen eine Erwerbstätigenversicherung, in die alle einzahlen. Wir wollen eine
Verbreiterung der Basis für die Rentenversicherung. Wir wollen, dass künftig
Abgeordnete des Europaparlaments, des Bundestags und von Landtagen in die
gesetzliche Rentenversicherung einzahlen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vor allen Dingen wollen wir den Ausbau der sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigung. Das ist eine wichtige Grundlage für die Rentenversicherung.
Schließlich verlangen wir von der Bundesregierung endlich einen Fahrplan für die
Angleichung der Renten im Osten an die im Westen.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN)