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Rede zum "Entwurf eines Gesetzes zur Strafbarkeit der gewerbsmäßigen Förderung der Selbsttötung"

Rede von Kathrin Senger-Schäfer,

Rede zur ersten Beratung des Bundestages - Rede zu Protokoll -

Wie die Menschen im Land diskutiert auch die Linksfraktion das Thema Sterbehilfe insgesamt kontrovers. Auch nach der geplanten Anhörung im Rechtsausschuss zum Inhalt des Gesetzentwurfs und zur abschließenden Lesung im Bundestag, ist keine einhellige Fraktionsmeinung der LINKEN zu erwarten.

Wie sollte es auch anders sein, sind doch die Fragen, welche sich dem Thema Sterbehilfe widmen, nicht nur ethisch beziehungsweise moralisch hochsensibel und differenziert zu betrachten, sondern bergen auch jede Menge Missverständnisse.

Allein die Begrifflichkeiten wie „aktive“ und „passive Sterbehilfe“ oder auch „Beihilfe zur Selbsttötung“ bzw. „assistierter Suizid“ werden häufig nicht eindeutig angewandt, abgesehen davon, dass sehr unterschiedliche – auch medizinische – Vorgehensweisen in der Nähe des Lebensendes häufig als Sterbehilfe bezeichnet und missverstanden werden.

Insofern sei mir der Hinweis erlaubt, dass meine Haltung nicht den Standpunkt meiner Fraktion in ihrer Gesamtheit widergibt, sondern vielmehr meine persönliche Meinung zum Thema beinhaltet, die maßgeblich durch meine pflege- und gesundheitspolitische Arbeit geprägt ist.

Insofern plädiere ich mit Nachdruck dafür, dass alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages frei und allein ihrem Gewissen verpflichtet und nach gründlicher persönlicher Abwägung zum Gesetzentwurf ihre Entscheidung fällen können und gegebenenfalls mittels fraktionsunabhängiger parlamentarischer Initiativen die Debatte befruchten.

Meine Position ist es, sich ausdrücklich und entschieden gegen jede Form der aktiven Sterbehilfe und jeglicher Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung auszusprechen.

Menschen, die aussichtslos erkrankt sind, dürfen weder sich selbst überlassen bleiben, noch einer organisierten oder gar kommerzialisierten Sterbehilfe oder Beihilfe zur Selbsttötung ausgeliefert werden, die teilweise dilettantisch von Nicht-Ärzten geführt und ohne jegliches Empfinden für die Sorgfaltspflicht, Sterbewillige in ungeeigneten Räumlichkeiten oder gar auf Parkplätzen unwiederbringlich ihrem Schicksal überlässt.

Weder von Ärzten, noch von Pflegepersonal, noch von privaten Organisationen sollte eine aktive Unterstützung von Selbsttötungen angeboten oder ausgeübt werden.

Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung greift zwar das Verbot der gewerblichen Beihilfe zur Selbsttötung auf und geht somit in die richtige Richtung.

Einmal abgesehen davon, dass der Gesetzentwurf in der Begründung mit ungenauen Formulierungen hantiert – denn es geht hier um Beihilfe zur Selbsttötung, was etwas anderes ist als Sterbehilfe – greift er aber insoweit zu kurz, da eben nicht ausdrücklich jegliche Form der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe gestellt wird, sondern nur die gewerbsmäßige Form.

Jedoch ist eine Grenze in der Praxis nicht haarscharf zu ziehen, die strafrechtliche Ahndung daher äußerst schwierig und Umgehungstatbestände faktisch vorprogrammiert. Es reicht deshalb nicht aus, dass mit dem Gesetzentwurf eine nicht gewerbsmäßige Beihilfe zur Selbsttötung dann straffrei bleibt, wenn der- oder diejenige, welche die Beihilfe leisteten, Angehörige oder eine nahestehende Person sind.

Vor diesem Hintergrund ist auch anzumerken – und findet sich auch in der Begründung des Gesetzentwurfs – dass Studien mehrfach gezeigt haben, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen der Zulassung von kommerzialisierter Beihilfe zur Selbsttötung und einem Anstieg entsprechender Selbsttötungen zwar nicht bewiesen ist, aber dennoch vermutet werden kann. Das allein rechtfertigt ein Verbot.

Nachvollziehbar ist aber nicht, diesen Zusammenhang allein für die kommerzialisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu vermuten. Die Vermutung muss auch für jede andere Form der organisierte Beihilfe zur Selbsttötung gelten beziehungsweise kann sie nicht ausgeschlossen werden und rechtfertigt insofern ebenfalls ein Verbot.
Fakt ist, dass beispielsweise in den Niederlanden nicht nur Menschen durch die Einwirkung Dritter starben, die danach verlangt hatten, sondern jedes Jahr auch einige Hundert, die nicht darum gebeten hatten. Nach ärztlicher Einschätzung konnte keine Besserung ihres Zustandes mehr erzielt werden beziehungsweise wurden medizinische Maßnahmen für sinnlos erachtet, ihre Lebensqualität als gering eingeschätzt oder ihre Angehörigen hatten darum gebeten.

Menschen wollen sterben, weil sie einsam sind, keine Hilfen bekommen, ihren Angehörigen nicht zur Last fallen wollen, Schmerzen haben. Dies sind alles Problemfelder, auf die spezifisch und wirksam reagiert werden könnte, die aber in den Hintergrund gerückt sind. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass der Ausbau der palliativmedizinischen Versorgung nur schleppend vorankommt.

Es muss darauf hingewiesen werden, dass Menschen mit unheilbaren Krankheiten ein Recht auf die bestmögliche Versorgung haben. Es muss gewährleistet sein, dass für sie bis zum Lebensende alles getan wird, damit sie selbstbestimmt und in Würde bis zum Ende leben zu können. Eine gute palliativmedizinische Versorgung und die dazugehörige Pflege und Betreuung sind deshalb wichtige Bausteine, um dieses Ziel zu verwirklichen.

Die palliativmedizinische Versorgung als Teil eines umfassenden Palliative-Care-Konzepts leistet hier Hervorragendes, ebenso, wie die Hospizeinrichtungen.

Bei der palliativmedizinischen Versorgung geht es um die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer voranschreitenden, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung in dem Abschnitt, in der die Erkrankung nicht mehr auf eine kurative – also heilende – Behandlung anspricht und die Beherrschung von Schmerzen, anderen Krankheitsbeschwerden, von psychologischen, sozialen und spirituellen Problemen höchste Priorität besitzen.

Die Palliativmedizin ist fester Bestandteil der hiesigen medizinischen Versorgung. Gerade in Hinblick auf die Diskussion zum Thema ist von größter Bedeutung, dass Palliativmedizin das Ziel hat, todkranke Menschen in ihrer Ganzheitlichkeit zu betreuen. Das bedeutet, die Leiden umfassend zu lindern und dabei die Würde und Eigenständigkeit des Menschen zu achten.

Hier zeigt sich der entscheidende Unterschied zur Sterbehilfe beziehungsweise zur Beihilfe zur Selbsttötung, der darin liegt, dass bei der palliativmedizinischen bzw. Palliativ-Care-Versorgung nicht der Leidende, sondern die Symptome des Leids wie Schmerz und Einsamkeit beseitigt werden. Die Palliativ-Care-Versorgung macht Sterbehilfe und die Beihilfe zur Selbsttötung dadurch weitgehend überflüssig.

Auch die verkürzte Sicht, welche die palliativmedizinischen Versorgung auf die Gabe von Schmerzmitteln reduziert und diese dann womöglich in die Nähe einer wie auch immer gelagerten Form der Sterbehilfe oder auch Beihilfe zur Selbsttötung rückt, ist irreführend.

Deshalb bin ich der Meinung, dass wir den Ausbau und die Sicherstellung der palliativmedizinischen und Hospizversorgung gerade im Zusammenhang mit der heutigen Debatte nicht aus den Augen verlieren dürfen. Es muss vielmehr Aufgabe des Gesundheitssystems sein, ungeachtet jeglicher Marktmechanismen, die Gesundheit jedes Einzelnen zu erhalten, Leiden zu verhindern, Schmerzen zu lindern, Menschen am Lebensende zu begleiten sowie beizustehen und nicht ihr Leben aktiv zu beenden.
Notwendig ist eine flächendeckende palliativmedizinische beziehungsweise Palliativ-Care-Versorgung und auch eine breitere Finanzierung der Pflegeversicherung und einen entsprechenden Ausbau deren Leistungen.

Daneben muss die Hospizbewegung dringend weiter strukturell, finanziell und medial unterstützt werden, damit auch hier eine flächendeckende Versorgung – die nachweislich nicht gegeben ist – gewährleistet werden kann.