Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
In Brandenburg, dem Bundesland, aus dem ich komme, lebt jeder achte Erwachsene und sogar jedes vierte Kind in Armut, Tendenz steigend. Zu diesem Ergebnis kam man im offiziellen Lebenslagenbericht, den die Große Koalition in Brandenburg gestern vorgestellt hat.
Im Jahr 2005 umschrieb Bundesministerin von der Leyen ihre Ziele auf der Startseite der Homepage ihres Ministeriums mit den Sätzen: Wir müssen uns besser um die Kinder kümmern, die auf der Schattenseite des Lebens geboren werden. Denn gerade in jungen Jahren werden die entscheidenden Weichen für ihr späteres Leben gestellt. Familie muss wieder ein Erfolgsmodell in der Gesellschaft werden. Dafür setze ich mich ein.
Das alles ist Schnee von gestern. Jedes vierte Kind in Brandenburg, ein Viertel der Kindergartengruppe meiner Tochter ist Beweis dafür. Heute haben wir eine Ministerin, bei der nur noch die weitausschweifende Handbewegung alle Familien zusammenzuführen vermag. Frau von der Leyen, mit Ihrer Politik tun Sie das nicht.
(Ilse Falk (CDU/CSU): Na, na, na! Otto Fricke (FDP): Und Sie sind die Sonne?)
Mit Ihrer Politik werfen Sie so viel Schatten, dass die Zahl der Kinder, die darin stehen, größer geworden ist. Mit den Instrumenten, die Sie vollmundig als Mittel zur Armutsbekämpfung ankündigten, wurden die Armutsrisiken noch weiter verschärft. Dieser Haushalt, mit dem die Bundesregierung in das Wahljahr 2009 gehen will, erscheint mir wie die Fortsetzung der Unendlichen Geschichte: Dort wächst die Dunkelheit wegen der Fantasielosigkeit der Menschen, hier wächst der Schatten aufgrund der Tatenlosigkeit der Regierung. Das ist leider bittere Realität und kein Kinderfilm.
(Beifall bei der LINKEN)
Sicher, Frau Ministerin, Sie haben in den Köpfen der Menschen viel bewegt. Das Wort „Rabenmutter“ für berufstätige Frauen ist im Sprachgebrauch zum Glück kaum noch zu finden. Auch Väter gehen heute selbstbewusst in die Elternzeit, weil sie nicht nur finanziell aufgefangen werden, sondern dafür auch eine gesellschaftliche Anerkennung erfahren. Doch dass die Einführung des Elterngeldes mit einer Schlechterstellung der Familien einherging, die wenig oder kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit haben, wurde nicht nur von der Linksfraktion kritisiert.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Darum haben wir auch für diesen Haushalt einen Änderungsantrag eingebracht, mit dem wir vorschlagen, die Bezugszeit des Elterngeldes zu erhöhen und jedem Elternteil einen individuellen Anspruch einzuräumen. Dies würde eine Weiterentwicklung der sogenannten Vätermonate bedeuten, und Frauen und Männer würden gerechter an der Erwerbs- und Erziehungsarbeit beteiligt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Um das Elterngeld sozialgerechter zu gestalten, fordern wir hinsichtlich der Bezugsdauer eine Gleichbehandlung aller Familien und eine Anhebung der Mindestleistungen. Frau von der Leyen, mit einem solchen Schritt würden Sie allen Familien und nicht nur denen auf der Sonnenseite den Start erleichtern. Kindertagesbetreuung und Elterngeld sind nicht voneinander zu trennen; denn junge Familien brauchen auch nach der Elterngeldzeit eine ganztägige Kinderbetreuung, und zwar nicht nur in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen, sondern auch in den übrigen Bundesländern. Da diese bekanntermaßen größer an Zahl und Einwohnern, aber kleiner an Zahl der Kindertagesangebote sind, sehen wir auch hier einen erhöhten Nachholbedarf.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sehen aber nicht die logischen Schlussfolgerungen der Bundesregierung. Der Umfang des Sondervermögens, das gemeinsam mit dem Bundesfinanzminister zur Beschleunigung eingerichtet wurde, ist ungenügend. Die von der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mittel reichen für ein flächendeckendes Kindertagesstättennetz nicht aus von einem gebührenfreien Ganztagsangebot ganz zu schweigen.
Auch mit dem Ausbauziel, dass 35 Prozent der Kinder bis zum Jahr 2013 einen Platz erhalten, bleiben viele Fragen offen. Wie sollen berufstätige Mütter, zum Beispiel in Niedersachsen, Beruf und Familie bis dahin unter einen Hut bringen? Es bleibt auch die Frage, aus welchen sozialen Strukturen die übrigen 65 Prozent der Kinder kommen, die bei diesem Ausbauziel eben nicht vorgesehen sind. Wenn wir die Kindertagesstätten völlig zu Recht als einen wichtigen Teil des Bildungsweges betrachten, dann muss dieser auch für alle zugänglich sein.
(Beifall bei der LINKEN)
In unserem Änderungsantrag fordern wir daher, dass die Ausgaben des Bundes für den Ausbau der Kindertagesbetreuung aufgestockt werden. Diese Mittel sind wichtig, um die Kommunen und die gemeinnützigen Träger bei dieser Aufgabe zu unterstützen.
Es ist für mich aber nicht nachvollziehbar, dass die Debatte zur Gemeinnützigkeit von Ihnen, Frau Ministerin, immer noch unter dem Zeichen der Förderung privat-gewerblicher Anbieter geführt wird und das trotz breiter Kritik und einer merklichen Abschwächung bei der Gesetzgebung.
Noch in der Debatte zum Kinderförderungsgesetz hieß es aus der SPD-Fraktion Zitat:
Öffentliche Gelder für Kinderbetreuung sollen auch in Zukunft nicht zur Maximierung des Gewinns von privat-gewerblichen Trägern eingesetzt werden.
(Ina Lenke (FDP): So ein Quatsch!)
In der Ausgabe des Informationsmagazins des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste vom 27. Oktober 2008 erklärte die Ministerin hingegen Zitat:
Das bedeutet, dass das Kriterium der Gemeinnützigkeit bei der öffentlichen Förderung keine Rolle mehr spielen darf.
(Ina Lenke (FDP): Richtig! Genau!)
Das ist hü und hott. Die gemeinnützigen Träger der freien Jugendhilfe brauchen eine klare Antwort. Sie haben auch mittels einer Kleinen Anfrage meiner Fraktion die Möglichkeit, diese Antwort zu geben. Vielleicht bekommen wir ja endlich einmal eine Antwort, die zur Erhellung beiträgt.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir sagen: Die Bildung unserer Kinder gehört nicht an den Markt.
(Ina Lenke (FDP): Ach! Es gibt Privatschulen; warum soll es nicht auch privatgewerbliche Kinderbetreuung geben?)
Gewinnorientierung und gleiche Teilhabemöglichkeiten aller Kinder sind nicht miteinander vereinbar. Auch der Ausbau der Kindertagesbetreuung braucht einen Schutzschirm, und zwar einen, der den Gesetzen des Marktes nicht unterworfen ist.
(Beifall bei der LINKEN)
Kinderbetreuung ist Armutsbekämpfung. Sie gewährleistet die Erwerbstätigkeit der Eltern. Der Ausbau der Kindertagesbetreuung wirkt auch maßgeblich gegen die vorhandene Ausgrenzung von Kindern im Bildungswesen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Golze, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Lenke?
Diana Golze (DIE LINKE):
Ja, sehr gern.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön, Frau Lenke.
Ina Lenke (FDP):
Frau Golze, Sie haben sich sehr stark gegen die privatwirtschaftliche Kinderbetreuung ausgesprochen. Das gilt zum Beispiel für den Fall, dass eine Erzieherin sich selbstständig macht und einen Kindergarten eröffnet. Ich sehe überhaupt keinen Unterschied darin, ob eine Erzieherin ihren Lohn letztendlich aus ihrem Gewinn erhält oder als Angestellte eines Kindergartens. Ich frage Sie: Würden Sie auch private Schulen wie die Waldorfschulen abschaffen? Wenn Sie nämlich gegen privatgewerbliche Kindergärten oder Kitas sind, dann müssten Sie auch gegen private Schulen sein.
(Sönke Rix (SPD): Die sind doch nicht privatgewerblich! Weitere Zurufe von der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Golze.
Diana Golze (DIE LINKE):
Ob Waldorfschulen privatgewerblich sind, sei einmal dahingestellt. Schon in meiner letzten Rede zu diesem Thema hatte eine FDP-Kollegin Fragen gestellt, die mich doch sehr an ihrem Verständnis von privatgewerblichen Angeboten zweifeln ließen. Frau Lenke, bei Ihnen hätte ich das jetzt nicht erwartet. Mir geht es darum, dass allen Kindern der Zugang zu einem qualitativ hochwertigen Angebot gewährleistet wird
(Ernst Burgbacher (FDP): Uns auch!)
und nicht nur den Kindern von Eltern mit einer dicken Brieftasche.
(Ina Lenke (FDP): Das wollen wir auch nicht!)
Ich möchte nicht, dass öffentliche Gelder in solche privatgewerblichen Angebote gesteckt werden, um zur Gewinnmaximierung der Träger beizutragen.
(Beifall bei der LINKEN)
Mir geht es um die Stärkung gemeinnütziger Angebote, um die Stärkung von öffentlichen und gemeinnützigen Trägern. Damit ist die Frage, denke ich, beantwortet.
(Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sechs, setzen!)
Es ist viel von Chancen die Rede. Ich denke aber, es geht eher um das Wort „Teilhabe“.
Zur Teilhabe an Bildung für alle Kinder gehört, dass die zusätzlichen Leistungen für Schülerinnen und Schüler, die in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften leben, bis zum Abitur und nicht nur bis zur zehnten Klasse gezahlt werden. Geschieht dies nicht, bekommt das Wort „Chance“ glücksspielhaften Charakter.
Die Kinder, deren Eltern die Schulmaterialien nicht bezahlen können, werden benachteiligt; denn Bildungskosten sind im ALG-II-Regelsatz nicht berücksichtigt.
Für die Fraktion Die Linke steht die Bekämpfung der Kinderarmut nicht erst an letzter Stelle wie bei dem eingangs erwähnten Internetauftritt des Ministeriums. Zur Erinnerung, Frau von der Leyen: Es war eines Ihrer Hauptziele, die Kinderarmut zu bekämpfen. Auch hier kann ich nur feststellen: Selbst mit den Änderungen beim Kindergeld und dem überarbeiteten Kinderzuschlag haben Sie in diesem Haushalt Ihr Ziel verfehlt.
Der Kinderzuschlag war in seiner Ursprungsform zu bürokratisch. Dies belegt allein die hohe Ablehnungsquote. Wie eine schallende Ohrfeige muss sich nun für die Betroffenen der Satz lesen Zitat: Flexibel können die Eltern dann wählen, ob sie lieber ALG II oder den Kinderzuschlag in Anspruch nehmen wollen. Im Moment sieht es so aus, dass viele der Betroffenen aus dem System des Grundsicherungsamts herausfallen, bevor sie in das System der Familienkasse aufgenommen worden sind. Da erhält das Wort „Flexibilität“ doch wirklich einen sehr faden Beigeschmack.
Die Chance, den Kinderzuschlag zu einem wirksamen Mittel gegen Kinderarmut zu machen, haben Sie vertan, Frau von der Leyen. Der Kinderzuschlag ist unzureichend. Deshalb haben wir auch hierzu einen Änderungsantrag eingebracht. Unser Hauptproblem ist, dass die Gruppe der Alleinerziehenden davon weiterhin nicht profitieren wird. Die Gruppe der Alleinerziehenden ist es auch, die gemeinsam mit Familien im Hartz-IV-Bezug von der längst überfälligen Kindergelderhöhung nicht profitieren wird, da diese ihnen angerechnet wird auf Unterhaltsvorschuss und ALG II. Bei einem Viertel der Kindergartengruppe meiner Tochter wird also diese Kindergelderhöhung nicht ankommen.
Vielleicht können Sie in diesem Zusammenhang erklären, warum Sie in diesem Haushalt beim Unterhaltsvorschuss Kürzungen vornehmen konnten. Das wurde nämlich dadurch möglich, dass die Anrechnung gleich wieder als positive Einnahme zugrunde gelegt wurde. Das ist eine Linke-Tasche-rechte-Tasche-Politik.
(Otto Fricke (FDP): Das ist Gesetzeslogik! Da gibt es Väter, die ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen!)
Die Kinder werden davon nicht profitieren. Sie stehen wieder einmal auf der Schattenseite. Doch auch für die Familien, die nicht in derartige Anrechnungsfallen rutschen, ist diese Kindergelderhöhung nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. 10 Euro für das erste und das zweite Kind decken nicht einmal ansatzweise den Wertverlust, den das Kindergeld seit seiner letzten Erhöhung erfahren hat. Auch aus diesem Grund ist die Staffelung der Kindergelderhöhung ab dem dritten Kind nicht zu erklären.
Ich komme zum Schluss. Im dritten Jahr der Großen Koalition und der Familienministerin von der Leyen ist in der Debatte um die Rolle von Familien viel geschehen. Die Zahl der von Armut betroffenen Kinder haben Sie aber nicht verringert, wie Sie es versprochen haben; Sie haben sie stattdessen vergrößert. Das Wort Schattenkabinett bekommt in diesem Zusammenhang eine völlig neue Bedeutung.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN; Johannes Singhammer (CDU/CSU): Haben Sie schon mal etwas davon gehört, dass es 1,5 Millionen neue Arbeitsplätze gibt? Diese Arbeitsplätze werden von Vätern und Müttern wahrgenommen!)

Rede zum Einzelplan 17 (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) des Bundeshaushaltes 2009
Rede
von
Diana Golze,