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Rede zu Protokoll zum Antrag der SPD-Bundestagsfraktion „Zugänge schaffen und Teilhabe erleichtern – Die einfache Sprache in Deutschland fördern“

Rede von Rosemarie Hein,

Es betrifft 7,5 Millionen Menschen in Deutschland oder jeden Siebenten im Alter zwischen 15 und 65 Jahren. So viele Menschen, die in Deutschland leben, können nicht oder nicht gut lesen und schreiben.

Es gibt für sie zu wenig Hilfen.

Es wäre sicher eine große Erleichterung, wenn Texte in Zeitungen, im Bundestag, in den Landtagen, in Ämtern und Behörden oder auch vor Gericht in einfacher Sprache veröffentlicht würden.  

Das erleichtert ganz sicher vielen Menschen sich zurecht zu finden.

Das ist wichtig für Menschen, die nicht gut lesen und schreiben können.

Das ist auch wichtig für Menschen, die eine andere Muttersprache gelernt haben.

Und selbst für Touristen aus dem Ausland ist es nicht schlecht.

Einfach zu sprechen und zu schreiben ist durchaus anspruchsvoll. Denn manche und mancher von uns wird beim Lesen von Vorlagen und Gesetzen auch schon gefragt haben: Kann man das nicht auch einfacher sagen? Texte in einfacher Sprache werden also durchaus von jedem Menschen besser verstanden.

Insofern sollte man nicht den Eindruck erwecken, die einfache Sprache sei nur etwas für jene, die nicht so klug sind.

Sich in einfacher Sprache auszudrücken, strengt ungeheuer an.

Also: Einfache Sprache in die Ämter und Behörden!

Projekte entwickeln, in denen Lesen und Schreiben gelernt wird.

Barrierefreiheit auch in der Sprache!

So lauten im Wesentlichen die Forderungen der SPD.

Ist damit also alles gut?

Keinesfalls. Ich bin auch nach mehrmaligem Lesen etwas ratlos, warum der Antrag jetzt, gerade zu diesem Zeitpunkt, gestellt wurde.

Hier wird der Eindruck erweckt, wenn man alles in einfacher oder leichter Sprache schreiben würde, dann wäre den vielen, die nicht gut lesen und schreiben können, genug geholfen.

Im Forderungsteil des Antrages findet man auch Forderungen nach einer besseren wissenschaftlichen Erforschung zu den Ursachen der schlechten Beherrschung der Schriftsprache.

Doch die verschiedenen betroffenen Gruppen werden kaum berücksichtigt. Es werden auch keine unterschiedlichen Wege angestrebt, mit denen das Lesevermögen und die Fähigkeit zu schreiben, verbessert werden können.

Vielmehr entsteht der Eindruck, der Zustand der schlechten Lese- und Schreibfähigkeit eines großen Teils der Bevölkerung wird einfach hingenommen. Warum das so ist, wird nicht gefragt. Die „einfache Sprache“ scheint das einzige Mittel dagegen zu sein. 

Das aber wäre fatal.

Manche Menschen, die nur eingeschränkt lesen und schreiben können, haben eine geistige Beeinträchtigung. Für sie ist die Möglichkeit, Texte in leichter oder einfacher Sprache lesen zu können, eine große Leistung. Sie brauchen ihr Leben lang solche Hilfen, um mitreden zu können.

Es gibt auch Menschen, die mit einer anderen Muttersprache aufgewachsen sind und die nur die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Auch ihnen kann über einfache Sprache gut geholfen werden. Aber sie könnten die deutsche Sprache irgendwann gut beherrschen.

Doch es gibt auch Menschen, die schlecht lesen und schreiben können, weil sie in der Schule nicht genügend gefördert werden konnten.

Und schließlich gibt es Menschen, die nach einem erfolgreichen Schulabschluss das Lesen und Schreiben wieder verlernt haben.

In den wenigsten Fällen bedeutet die fehlende oder schlechte Beherrschung der Schriftsprache, dass man sie nicht lernen kann.

Darum muss man sorgfältiger nach den Ursachen für die verschiedenen Formen von Analphabetismus suchen. Dann können auch Wege gefunden werden, mit denen die sichere Beherrschung der Sprache in Wort und Schrift erreicht werden kann.

Wir haben dazu schon einen Antrag vorgelegt (Bundestags-Drucksache 17/8766 „Niemanden abschreiben – Analphabetismus wirksam entgegentreten, Grundbildung für alle sichern“).

Diese Wege müssen mindestens in der Schule beginnen. Dazu braucht man eine größere Aufmerksamkeit bei Lehrerinnen und Lehrern. Dazu braucht man aber auch mehr Zeit, sich besonders mit den Kindern zu befassen, die es schwerer haben, lesen und schreiben zu lernen.

Es ist zu spät, wenn sich die Politik erst dann bemüht, wenn festgestellt wurde, wie groß der Anteil der Bevölkerung ist, der nicht gut lesen und schreiben kann.

Im SPD-Antrag erscheint es aber so, als ob man sich mit dem schlechten Befund der LEO-Studie über die Lese-und Schreibfähigkeit der Bevölkerung abfinden muss. Und nun sucht man nur nach Möglichkeiten der Reparatur. Das ist uns zu wenig.

Wir wollen erreichen, dass alle Menschen von Anfang an einen guten Zugang zur Sprache erhalten. Sie sollen gut lesen und schreiben lernen. Denn die Fähigkeit, gut zu lesen und zu schreiben, ist wichtig für die volle gesellschaftliche Teilhabe oder für beruflichen Erfolg.

Darum wollen wir nicht erst dann beginnen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist, sondern schon dort, wo Lesen und Schreiben zuerst gelernt wird: in der Schule. Und wir wollen verhindern, dass einmal Gelerntes wieder verlernt wird.

Darum müssen wir mehr darüber wissen, wann, wo, wie und warum Lesen und Schreiben nicht richtig gelernt wird oder aber auch die Fähigkeit wieder verloren geht.

Darauf müssen auch die Hilfen aufbauen. Und das werden unterschiedliche Hilfen sein. Das müssen Schulen wissen, aber auch Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, Ämter und Behörden. Dann erst können unterschiedliche und für jede besondere Gruppe sinnvolle Wege gefunden werden, die geeignet sind, die Lese- und Schreibfähigkeit zu erhalten oder zu verbessern. Die „einfache Sprache“ ist nur ein Bestandteil dieser möglichen Hilfen. Uns reicht das nicht.

Inzwischen ist mir auch eingefallen, warum der Antrag gerade heute und so kurzfristig gestellt wurde: Am Montag findet im Bundestag die internationale Parlamentarierkonferenz zum Abschluss der UN-Weltdekade für Alphabetisierung statt. Und da möchte die SPD halt ein wenig glänzen. Ein Schaufensterantrag ist es also. Er ist sehr durchsichtig und leider auch sehr oberflächlich. Doch das Problem bleibt uns auch nach diesem Antrag erhalten.