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Rede von Ulla Jelpke zu Protokoll gegeben am 01.06.2017

Rede von Ulla Jelpke,

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll einem Rahmenbeschluss des Rates der Europäischen Union vom Jahr 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität nachgekommen werden. Dafür soll der bestehende § 129 Strafgesetzbuch über die Bildung einer kriminellen Vereinigung angepasst werden.

Schon der Name des § 129 ist eine Mogelpackung. Denn es handelt sich mitnichten um einen Paragrafen zur Bekämpfung krimineller Vereinigungen wie der Mafia. Vielmehr haben wir es in erster Linie mit einem Verfolgungsinstrument gegen eine radikale politische Opposition zu tun, das den Ermittlungsbehörden zahlreiche Sondervollmachten im Bereich Telekommunikationsüberwachung, Verwanzung von Wohnungen und dem Einsatz verdeckter Ermittler einräumt.

Von 1871 bis 1945 richtete sich der § 129 StGB noch gegen eine „staatsfeindliche Verbindung“ – die politische Stoßrichtung wurde schon im Namen deutlich. Verfolgt wurden damit unter Bismarck die Sozialdemokratie und nach dem Ersten Weltkrieg die KPD. In den 1950er-Jahren sahen sich die erst wenige Jahre zuvor aus den KZs der Nazidiktatur freigekommenen Kommunisten in der Bundesrepublik wieder mit dem § 129 konfrontiert. Doch diesmal wurde ihnen durch die Neubenennung des Paragrafen nicht einmal mehr ein politisches Ziel zugebilligt, vielmehr wurden sie kurzerhand zu Kriminellen erklärt.

Aktuelle Zahlen liegen leider keine vor. Aber für die Zeitspanne von 1990 bis 2008 hatte ich einmal eine Kleine Anfrage gestellt. Und siehe da: Kein einziges der während dieser 18 Jahre geführten insgesamt 108 Ermittlungsverfahren nach § 129 StGB richtete sich gegen die organisierte Kriminalität. Dagegen wurde allein 100 Verfahren gegen die kurdische PKK geführt. Der Grund dafür ist der bislang geltende Vereinigungsbegriff, der einen Gruppenwillen, voraussetzte, dem sich die Handlungen des einzelnen Mitgliedes unterordnen. So funktionieren zwar manche politische Vereinigungen. Doch kriminelle Zusammenschlüsse sind in der Regel anders strukturiert. Sie werden von einem autoritären Boss oder Paten geführt und haben kein übergeordnetes Ziel – von der Raffgier der Beteiligten einmal abgesehen.

Mit der nun zur Abstimmung stehenden Änderung des § 129 sollen Gruppierungen unabhängig von ihrer Organisationsstruktur erfasst werden. Damit ließe sich dieser Paragraf zwar tatsächlich auch gegen die meisten Vereinigungen der organisierten Kriminalität anwenden. Doch weiterhin bleibt die rechtliche Problematik bestehen, dass mit diesem Paragrafen nicht konkrete Straftaten kriminalisiert werden, sondern bereits die bloße Mitgliedschaft in einer Vereinigung zur vermeintlichen Begehung von Straftaten. Schon der bloße Zusammenschluss ist strafbar, auch wenn noch niemand durch eine konkrete Tat geschädigt wurde. Wir haben es hier also mit einer regelrechten Gesinnungsjustiz zu tun. Und diese Vorfeldstrafbarkeit lange vor der eigentlichen Tat wird nun auch noch auf alle möglichen nicht hierarchischen Gruppierungen ausgeweitet.

Eine solche Gummiverordnung öffnet der Justizwillkür bei der Verfolgung und Ausforschung unliebsamer Oppositionsmilieus – von Atomkraftgegnern bis zu Globalisierungskritikern – Tür und Tor. Dies ist umso mehr zu befürchten, als sich die Bundesregierung der vom EU-Rahmenbeschluss vorgegebenen Eingrenzung des Begriffs der kriminellen Vereinigung auf einen Zusammenschluss mit dem Ziel, „sich unmittelbar oder mittelbar einen finanziellen oder sonstigen Vorteil zu verschaffen“, verweigert. Denn durch eine solche Einschränkung – und das wird in der Gesetzesbegründung offen eingestanden – würden die Möglichkeiten der Wohnraumüberwachung bei anderen bislang unter den § 129 Strafgesetzbuch fallenden Straftaten weggefallen. Umgekehrt müssten bei Übernahme der Definition aus dem Rahmenbeschluss auch auf Steuerhinterziehung und Geldwäsche angelegte Finanzinstitute nach § 129 angeklagt werden – oder Manager von Automobilkonzernen, die sich zu dem betrügerischen Zweck zusammengeschlossen haben, Hunderttausende fälschlich als abgas­arm deklarierte Autos unter das Volk zu bringen.

Im Klartext: Die Bundesregierung will einerseits die White Collar Hooligans in den Chefetagen schonen und andererseits ihren Schnüffelparagrafen mit seinen zahlreichen Sondervollmachten nicht aus der Hand geben.

Die Linke würde es sehr begrüßen, wenn tatsächlich gegen die organisierte Kriminalität vorgegangen würde. Schon jetzt gibt es dafür eine ausreichende gesetzliche Grundlage. Doch allzu oft fehlt der nötige Wille, insbesondere bei der Verfolgung auch der Kriminellen in Nadelstreifen.

Einer Ausweitung des § 129 und damit auch seines großen Bruders, des berüchtigten 129a gegen terroristische Vereinigungen, kann die Linke aber nicht zustimmen. Wir fordern vielmehr die Abschaffung dieser Gesinnungs- und Ausforschungsparagrafen.